Matthäus 25,31-46 (Teil 4) Wann war das? → Matthäus 25,37–40 „Dann werden die Gerechten fragen: Herr, wann haben wir […] Der König wird ihnen dann antworten […] Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan!“

Fettgedrucktes für schnell Leser…

Einleitender Impuls:

Ich weiß nicht, wie’s dir geht – aber ich habe manchmal das Gefühl, dass Gott sich nicht da zeigt, wo ich ihn suche. Sondern dort, wo ich ihn übersehe. Mitten im Alltag. Zwischen den Zeilen. In Begegnungen, die ich fast übersehen hätte. Vielleicht hast du’s ja erlebt: Du wolltest helfen. Wolltest Jesus dienen. Und dann kam alles anders.

Ich denke an zwei Männer, denen ich begegnet bin. Moisés und Javier. Beide lebten auf der Straße. Beide hatten offene Hände. Aber hinter diesen Händen lagen zwei ganz verschiedene Herzen. Moisés? Er hatte viel verloren, ja. Aber seine Würde hatte er sich irgendwie bewahrt. Er lehnte das Essen sogar manchmal ab und sagte: „Gebt’s jemandem, der’s nötiger hat.“ Was ihm Kraft gab, war kein Brot – es war das, was zwischen den Worten mitschwang: Respekt. Zeit. Gebet. Ehrliche Nähe. Irgendwann war er weg. Nicht verloren. Sondern weitergezogen. In ein neues Leben. Er hatte es gewagt.

Javier dagegen – auch er wirkte offen, vielleicht sogar gläubig. Wir halfen ihm. Sprachen mit ihm. Beteten. Er bat um Unterstützung für eine Wohnung. Es klang alles stimmig – bis ich herausfand, dass es das Zimmer gar nicht gab. Kein Mietvertrag. Keine Vermieterin. Nur eine gut gespielte Geschichte. Und als ich ihn zur Rede stellte, gab es kein Eingeständnis. Kein „Tut mir leid“. Nur ein Satz: „Wenn ihr mir nicht helfen wollt, okay. Aber ich bin kein Lügner.“ Und er ging.

Ich stand da. Mit leeren Händen – und einem Herzen, das voller Fragen war. Wie gehe ich mit Enttäuschung um, wenn ich helfen will, aber nicht helfen kann? Wann ist Liebe naiv? Und wann wird Misstrauen zur Mauer?

Und genau hier trifft mich dieser Text. Nicht mit einem Urteil. Sondern mit einer Frage. „Wann…?“ – Das ist kein rhetorischer Trick. Es ist die ehrlichste Reaktion eines Menschen, der geliebt hat, ohne es zu merken. Der nicht wusste, dass seine Tat ein heiliger Moment war. Und das rührt mich. Weil ich merke: Echte Liebe rechnet nicht. Sie erinnert sich nicht. Sie gibt sich hin. Und manchmal – merkt sie erst am Ende, dass sie Christus berührt hat.

Vielleicht fragst du dich heute: Was ist mein Maßstab? Warum tue ich, was ich tue? Und ich frage mit dir. Denn ich glaube: Nicht alles, was wir geben, kommt zurück. Aber alles, was wir aus Liebe tun, bleibt.

Und vielleicht ist das der Punkt: Die Werke, die Jesus zählt, sind keine geistlichen Leistungen – sondern Zeichen innerer Verbundenheit. Keine Pflicht. Keine Strategie. Sondern Reaktionen. Gesten. Unterbrechungen. Wie ein Reflex der Gnade. Und ja – auch Enttäuschungen gehören dazu. Rückschläge. Fragen. Vielleicht sogar Misstrauen.

Aber am Ende zählt nicht, wie oft du richtig lagst. Sondern ob du bereit warst, dich unterbrechen zu lassen. Für einen Menschen. Für Jesus. Für Liebe.

Und das ist das Ende der Serie zu Matthäus 25:31-46. Oder ihr Anfang. Entscheide du

Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:

  1. Wie gehst du mit dem Gefühl um, ausgenutzt oder enttäuscht worden zu sein, wenn du helfen wolltest? Diese Frage möchte herausfordern, ehrliche Rückblicke zuzulassen – auch da, wo du dich vielleicht innerlich verschlossen hast. Sie öffnet einen Raum für Reflexion darüber, wie Verletzungen unsere Haltung zur Hilfe prägen.
  2. Was bedeutet es für dich konkret, „in Liebe und Wahrheit“ zu handeln – in einer Welt, die oft entweder verurteilt oder relativiert? Hier geht’s um die Spannung zwischen Zuwendung und Klarheit. Die Frage soll helfen, deinen Umgang mit Menschen, Erwartungen und geistlichen Prinzipien in deinem Alltag neu zu betrachten.
  3. Woran würdest du erkennen, dass dein Handeln aus der Verbundenheit mit Christus kommt – und nicht aus Pflichtgefühl oder Selbstverwirklichung? Diese Frage zielt auf dein Herz. Sie lädt ein, die Wurzeln deiner Motivation ehrlich zu prüfen, ohne moralischen Druck – aber mit geistlicher Tiefe.

Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:

1. Galater 5,6 – „Glaube zeigt sich in Liebe.“ → Nicht die Richtigkeit deines Tuns, sondern die Beziehung, aus der du handelst, macht den Unterschied.

2. 2. Korinther 5,14 – „Die Liebe Christi drängt uns.“ → Wenn Liebe nicht treibt, sondern trägt – dann wird Helfen nicht zur Last, sondern zur Antwort.

3. Jakobus 2,15–17 – „Glaube ohne Werke ist tot.“ → Aber Werke ohne Herz? Die sind genauso leer. Es geht nicht um Aktion – sondern um Verbundenheit.

4. Johannes 13,35 – „An der Liebe werden sie euch erkennen.“ → Nicht an deiner Schlagfertigkeit. Nicht an deinem Wissen. Sondern daran, wie du mit Menschen umgehst.


Ausarbeitung zum Impuls

Vielleicht brauchst Du keine neuen Antworten – sondern einfach einen ehrlichen Moment. Lass uns beten.

Himmlischer Vater, manchmal bin ich selbst überrascht, wie schwer es mir fällt, Dich im Anderen zu sehen. Besonders dann, wenn der Andere unbequem ist. Oder mühsam. Oder mich nervt. Aber Du sagst: Was wir einem der Geringsten getan haben, das haben wir Dir getan. Und ich frage mich: Wäre ich anders gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass Du es bist? Hätte ich liebevoller reagiert, geduldiger, aufmerksamer? Wahrscheinlich ja. Und das zeigt mir, wie viel in meinem Herzen noch nicht echt ist. Bitte: Mach mein Herz weich für Deine Gegenwart im Verborgenen. Hilf mir, nicht nur zu dienen, wenn ich gesehen werde – sondern wenn keiner hinsieht.

Im Namen Jesu,

Amen.

Mit diesem Gebet im Sinn öffnen wir jetzt den Blick für die letzte, tiefste Linie dieser Szene – den Christus im Geringsten.

Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:

In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.

Also, bereit?

Es ist verrückt, wie still manche Wahrheiten daherkommen. Und wie laut sie dann in einem nachhallen. Der Text in Matthäus 25 endet nicht mit einer triumphalen Geste. Kein himmlisches Feuerwerk, keine finale Belohnungsszene für geistliche Helden. Er endet mit einer Art Verwirrung. Mit einer Frage. „Herr, wann haben wir dich gesehen?“ Und ich denke, genau das ist der Punkt: Die einen fragen es in erstaunter Dankbarkeit. Die anderen in bitterem Erstaunen. Und beide Gruppen zeigen, dass Liebe keine geplante Leistung ist. Sondern ein gelebter Reflex.

Ich erinnere mich an eine Phase in meinem Leben, da war meine Motivation, Gott zu dienen, stark – aber nicht rein. Ich war begeistert von der Bibel, wollte alles richtig machen, radikal leben, mich hingeben. Aber tief in mir drin… war da auch etwas anderes. Ich wünschte mir Segen. Erfolg. Die Bestätigung: „Du machst es gut, Dante.“ Ich lebte – ohne es zu merken – mit einer Schattenmission. Ich tat das Gute, aber nicht immer aus Liebe. Sondern manchmal, um etwas zurückzubekommen. Gunst. Nähe. Vielleicht auch ein bisschen Bedeutung.

Das Problem ist nur: Wenn du gibst, um zu bekommen, bist du blind für das, was du eigentlich tun solltest. Du siehst nicht mehr klar, weil deine Bedürfnisse zu laut schreien. Ich habe das damals nicht gemerkt. Aber irgendwann kam der Punkt, da fühlte ich mich ausgelaugt. Ausgenutzt. Und dann habe ich mich gefragt: „Muss ich wirklich alles für alle machen?“ Diese Frage hat mich nicht bitter gemacht – sie hat mich ehrlich gemacht. Und sie hat mich näher zu Jesus gebracht. Denn die Gegenfrage die mir einfiel war: „warum machst du was du machst!?” Ich brauchte zwar einige Jahre um eine Antwort zu finden, aber die Antwort half mir, meine eigentlichen Bewegründe zu entdecken.

In dieser Zeit, ca. 14 Jahre zurück, haben Raquel und ich uns bewusst entschieden: Einmal die Woche, eine kleine Tüte mit Essen, ein paar nette Worte, vielleicht ein Gebet. Keine große Aktion. Einfach da sein für jemanden auf der Straße.

So trafen wir Javier. Er war offen, wirkte interessiert, sogar geistlich. Er sprach von Hoffnung. Vom Glauben. Von Veränderung. Er bat um Hilfe für ein Zimmer. Wir sagten: „Klar – wenn du etwas Konkretes hast, wir helfen dir.“ Und er kam. Mit einer Adresse. Mit einem Namen. Mit einer Geschichte.

Wir sprachen mit der Vermieterin. Bzw. ich telefonierte mit ihr. Alles klang stimmig. Er wollte mir den Tag das Zimmer sogar zeigen. Wir klingelten – keiner da. Klingt plausibel. War gelogen. Und ich wusste es noch nicht.

Ein paar Tage später hatte ich diesen Impuls. Kennst du das? So ein innerer Druck, der nicht laut ist, aber auch nicht verschwindet. „Fahr nochmal zu der Wohnung.“ Ich hatte keine Lust. Aber ich fuhr. Fand – wie bestellt – direkt vor dem Haus einen Parkplatz. Ich klingelte. Die Frau öffnete. Ich sagte: „Wir hatten doch telefoniert…“ – Sie schaute mich an und sagte: „Ich habe mit niemandem gesprochen.“ Und als ich den Namen Javier nannte, sagte sie: „Ach… dieser junge Mann. Er hat mir mal beim tragen des Einkaufs geholfen. Aber bei mir geschlafen? Ein Zimmer? Nein. Ich vermiete hier nichts.“

Ich war sprachlos. Nicht wegen der 100 Euro die wir ihm bereits gegeben hatten. Sondern weil ich merkte: Das alles war gespielt. Als wir uns später trafen, bat ich ihn: „Zeig mir doch heute dein Zimmer.“ Er sagte: „Klar, lass hingehen. Ich hab den Schlüssel zwar nicht, aber die Vermieterin ist bestimmt da.“ Ich konfrontierte ihn, ganz vorsichtig: „Javier… wollen wir wirklich zu dieser Adresse? “ – ja war seine Antwort. „Ich war heute schon dort! und das habe ich erlebt…“ Seine Reaktion? Keine Einsicht. Keine Reue. Nur: „Wenn ihr mir nicht helfen wollt, okay. Aber ich bin kein Lügner.“ Und er ging. Lies mich alleine zurück.

Ich stand da. Mit leeren Händen. Und einem vollen Herzen – voll von Enttäuschung. Nicht nur über ihn. Sondern über mich. Weil ich geglaubt habe. Weil ich geben wollte. Und weil ich plötzlich misstrauisch wurde.

Und dann… war da Moisés.

Auch er lebte auf der Straße. Auch ihm begegneten wir regelmäßig. Aber bei ihm war alles irgendwie anders. Ein Mann, der nicht alles verloren hatte – aber fast. Er war freundlich, offen, bescheiden. Lebte auf der Straße wegen Drogen Probleme. Aber… Manchmal lehnte er das Essen ab: „Gebt es jemandem, der es mehr braucht.“ Was ihn wirklich starkte, war kein Brot. Es war die Würde die wir ihm unbewusst gaben. Zeit. Gebet. Respekt. Wir behandelten ihn wie einen Bruder – und irgendwann war er weg. Nicht einfach verschwunden. Sondern aufgebrochen. Ein neuer Job, ein Leben, das wieder Fahrt aufnahm. Es war nicht spektakulär. Aber es war echt.

Was Jesus in Matthäus 25 sagt, ist schwer. Nicht, weil es kompliziert ist – sondern weil es so ehrlich ist. Weil es uns zwingt, nicht über andere nachzudenken, sondern über uns selbst. Über unsere Haltung. Über die Frage, ob wir wirklich lieben – oder nur handeln. Ob wir Gottverbunden handeln oder Selbstgetrieben. Und noch wichtiger! Wie gehen wir mit Rückschlägen um? Lehmen sie uns oder wie verarbeiten wir sie?

Und dabei wurde mir klar: es geht in der Bibel immer um Beziehung. Um Verbundenheit mit Gott, mir Selbs und meinem Gegenüber. Es geht um das erkennen und verstehen was ist Liebe und Wahrheit und wie sieht die Balance zwischen beiden aus? Liebe ohne Wahrheit ist naiv. Wahrheit ohne Liebe ist kalt. Was wir brauchen, ist beides. Und das lese ich in diesem Text. Dass es nicht um Heldengeschichten geht. Sondern um Unterbrechungen. Um spontane, ehrliche, Gottes geistgewirkte Reaktionen. Um das, was in uns geschieht, wenn wir nicht mehr auf uns schauen, sondern auf den anderen.

Ich glaube, dass unser Handeln aus unseren Werten entsteht. Und unsere Werte – aus dem, was uns wichtig ist. Und das ist oft verletzlich. Jeder Mensch handelt aus einem inneren System aus Bedürfnissen, Sehnsüchten, Prägungen. Wer liebt, geht ein Risiko ein. Und wer hilft, wird manchmal enttäuscht. Aber: Wenn die Liebe Christi uns drängt, dann handeln wir nicht aus Angst. Sondern aus Gnade.

Das ist es, was mich antreibt. Auch heute noch. Nicht perfekt. Nicht ohne Rückschläge. Aber getragen von dem Wunsch: nicht einfach irgendetwas zu tun. Sondern IHN zu sehen – in den anderen. Und mich selbst nicht zu verlieren.

Was das konkret heißt für das Gericht und die Unterscheidung, die Jesus am Ende vornimmt, schauen wir uns jetzt im theologischen an.

Der Text:

Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).

Matthäus 25,40

ELB 2006: Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.

SLT: Und der König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!

LU17: Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

BB: Und der König wird ihnen antworten: ›Amen, das sage ich euch: Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind –, das habt ihr für mich getan.‹

HfA: Der König wird ihnen dann antworten: ›Das will ich euch sagen: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan!‹

Der Kontext:

In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.

Hier wiederhole ich was ich bereits im Teil 1bis 3 geschrieben hatte…

Kurzgesagt… Jesus erzählt seinen Jüngern, was am Ende der Geschichte passieren wird – wenn er wiederkommt und die große Abrechnung folgt. Kein Gleichnis mehr, kein Bild – sondern eine Szene, die sitzt. Er spricht nicht über irgendein Jüngerschafts-Tutorial, sondern über das, worauf alles hinausläuft. Und wie man daran erkennt, wem man wirklich begegnet ist.

Previously on Matthäus: Jesus hat gerade mit seinen Jüngern auf dem Ölberg gesessen – Blick auf den Tempel, Blick in die Zukunft. Es war eine lange Antwort auf eine eigentlich einfache Frage: „Wann wird das alles geschehen?“ Und: „Woran kann man erkennen, dass du kommst?“ Was dann folgt, ist keine Endzeitkarte mit Uhrzeit, sondern ein Mix aus Warnungen, Gleichnissen und Bildern. Immer wieder geht es um das Eine: Wach sein. Bereit sein. Echt sein. Nicht aus Angst, sondern aus Treue. Das Ende ist keine Überraschung für den, der lebt, als käme der Herr wirklich zurück.

Und genau an dieser Stelle kommt die Szene, die wir hier vor uns haben. Kein Gleichnis mehr, sondern der direkte Blick auf das Gericht. Jesus malt eine Szene wie aus einem Königssaal – mit Thron, Versammlung und Urteil. Es ist der Abschluss der sogenannten Endzeitrede, auch bekannt als die „Ölbergrede“ – die längste private Rede Jesu im Matthäusevangelium.

Der geistig-religiöse Kontext ist geprägt von Spannung. Jesus steht kurz vor seiner Verhaftung. Er weiß, was kommt. Die Jünger ahnen es nicht. Aber der Ton wird ernster, klarer, direkter. Er redet nicht mehr in verschlüsselten Bildern, sondern in endgültigen Linien. Der Menschensohn – das ist er selbst – wird kommen in Herrlichkeit. Nicht mehr als Lehrer auf staubiger Straße, sondern als Richter und König. Und vor ihm werden „alle Völker“ versammelt – das meint im matthäischen Kontext wohl eine Mischung aus den nichtjüdischen Nationen und der großen, globalen Menschheit. Kein innerjüdischer Familienkreis mehr, sondern das Ganze. Es ist der universale Maßstab, der hier sichtbar wird.

Diese Szene steht nicht für sich allein. Sie bildet den letzten Teil einer Serie von vier Elementen: der Wächter, die zehn Jungfrauen, die Talente – und jetzt das Gericht. In allen vorherigen Bildern ging es um Vorbereitung, Erwartung, Treue. Jetzt aber geht es um Konsequenz. Die Entscheidung wird nicht mehr getroffen – sie wird offengelegt.

Was das Ganze so greifbar macht: Es ist kein Lehrtext, sondern eine Erzählung. Kein theologisches Traktat, sondern ein Bild, das man vor sich sieht. Ein König trennt Menschen – wie ein Hirte Schafe und Ziegen. Und der Maßstab ist verblüffend unspektakulär: Es geht nicht um Bekenntnisse, sondern um Brot. Nicht um Glaubensbekenntnisse, sondern um Gastfreundschaft. Es geht um das, was man getan oder eben nicht getan hat – und wer da eigentlich vor einem stand.

In dieser Szene steckt Spannung – nicht im Sinne eines dramatischen Finales, sondern in der stillen Frage, die mitschwingt: Habe ich’s gemerkt, als du da warst? Nicht im Tempel. Nicht im Gebet. Sondern in der Bedürftigkeit eines anderen Menschen. Diese Frage liegt wie ein feiner Nebel über der Szene.

Und ja, es geht um Gericht. Aber nicht um ein anonymes Gericht von oben – sondern um eines, das durch Begegnung entstanden ist. Jesus als der Verborgene, der uns begegnet ist. Darum wirkt die Szene nicht wie ein Donnerurteil, sondern wie ein Spiegel: Es war immer er. Und wir haben es entweder gesehen – oder eben nicht.

Damit haben wir den Boden bereitet. Jetzt gehen wir einen Schritt tiefer – zu den Schlüsselwörtern des Textes, die uns zeigen, wie dicht und bewusst diese Szene gebaut ist.

Die Schlüsselwörter:

In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.

Matthäus 25,40 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):

καὶ ἀποκριθεὶς ὁ βασιλεὺς ἐρεῖ αὐτοῖς· Ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἐφʼ ὅσον ἐποιήσατε ἑνὶ τούτων τῶν ἀδελφῶν μου τῶν ἐλαχίστων, ἐμοὶ ἐποιήσατε.

Übersetzung Matthäus 25,40 (Elberfelder 2006):

Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.


Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter

  • βασιλεὺς (basileus) – „König“: Dieses Wort verweist nicht nur auf einen politischen Herrscher, sondern trägt in Matthäus eine theologisch aufgeladene Funktion. Es steht hier als Selbstbezeichnung des Menschensohns bei seinem endzeitlichen Kommen in Herrlichkeit. Der Titel reflektiert sowohl königliche Autorität als auch richterliche Vollmacht im Kontext des göttlichen Gerichts.
  • ἀποκριθεὶς (apokritheis) – „antwortete“: Aorist Passiv Partizip. Dieser Begriff signalisiert nicht einfach eine wörtliche Reaktion, sondern im matthäischen Kontext oft eine gewichtige göttliche Antwort, die mit einer autoritativen Beurteilung verbunden ist. Die Formulierung verweist auf ein gerichtliches Urteil mit Folgen.
  • Ἀμὴν λέγω ὑμῖν (Amēn legō hymin) – „Wahrlich, ich sage euch“: Diese Formulierung dient in den Evangelien als formelhafter Verstärker. Das hebräische אָמֵן („Amen“) fungiert als Bekräftigungswort, während „ich sage euch“ Jesu göttliche Autorität in der Mitteilung unterstreicht. Diese Kombination tritt besonders häufig in Jesu programmatischen Aussagen auf und markiert hier den Wendepunkt: Was folgt, ist nicht Verhandlungssache, sondern theologische Tatsache.
  • ἐφʼ ὅσον (eph’ hoson) – „soweit wie“ / „insofern wie“: Diese Konstruktion leitet eine kausal-analoge Bedingung ein. Semantisch betont sie die Verbindung zwischen einer scheinbar kleinen Handlung und einer tiefgreifenden spirituellen Realität. Der grammatische Aufbau macht deutlich: Es geht nicht nur um was man tat, sondern wem gegenüber.
  • ἐποιήσατε (epoiēsate) – „ihr habt getan“: Aorist Aktiv Indikativ 2. Plural von ποιέω. Dieses Verb ist bei Matthäus theologisch stark aufgeladen. Es bezeichnet nicht bloße Aktivität, sondern Identitätsausdruck – ein Tun, das den wahren Zustand des Herzens offenbart. Im Kontext der Gerichtsrede (Kap. 25) fungiert ποιέω als Unterscheidungskriterium zwischen Gerechten und Verlorenen.
  • ἑνὶ τούτων τῶν ἀδελφῶν μου τῶν ἐλαχίστων (heni toutōn tōn adelphōn mou tōn elachistōn) – „einem dieser meiner geringsten Brüder“: Der Ausdruck ist grammatisch komplex und theologisch verdichtet:
    • ἑνὶ: Dativ Singular maskulinum – betont die Individualität.
    • τούτων: Demonstrativpronomen – „dieser hier“: verweist direkt auf eine konkrete Gruppe.
    • ἀδελφῶν μου: „meiner Brüder“ – in Matthäus klar als Bezeichnung für Jesu Jünger gebraucht (vgl. 12,49–50; 28,10). Es geht nicht um beliebige Bedürftige, sondern um die Jüngergemeinschaft.
    • ἐλαχίστων: Superlativ von μικρός („klein“) – wörtlich: „die Allerkleinsten“, also die am meisten übersehenen, entrechteten, bedeutungslos Erscheinenden in der Jüngerschaft. Der Begriff verstärkt nicht nur soziale Geringachtung, sondern auch eschatologische Überraschung: gerade sie sind es, in denen Christus selbst gegenwärtig ist.
  • ἐμοὶ (emoi) – „mir“: Dativ Singular von ἐγώ. In diesem kleinen Wort kulminiert der Text: Es ist Christus selbst, der im leidenden Bruder sichtbar wird. Nicht symbolisch, sondern real – eine personale Identifikation, die Matthäus bereits in 10,40ff andeutet. Der Dativ hebt die persönliche Betroffenheit hervor: Was ihr ihm getan habt, habt ihr mir getan.

Matthäus 25,40 zeigt die Christusidentifikation mit den „geringsten Brüdern“ nicht nur als seelsorgerliche Zusage, sondern als richterliche Maßgabe. Wer ihnen dient, dient Christus selbst – nicht weil sie ihn repräsentieren, sondern weil er sich in ihnen verborgen gegenwärtig macht. Damit durchbricht Jesus jede funktionale Diakonie-Theologie und bringt eine tiefe Ontologie ins Spiel: Der Geringste ist der Ort der göttlichen Offenbarung. Die Handlung an ihm ist kein Werk, sondern eine Begegnung. Und diese Begegnung entscheidet über ewiges Leben oder ewige Trennung. In der Theologie des Matthäus ist dies kein Gleichnis, sondern Gerichtsurteil mit messianischer Autorität. Wer also fragt, wo Christus heute zu finden sei – der muss sich unter die Geringsten beugen. Dort ist er – nicht bloß als Bedürftiger, sondern als König.

Ein Kommentar zum Text Teil 4: Verse 37-46 – Der Christus im Geringsten. Und das große Missverständnis

Theologische Grundlage

Die Antwort der Gerechten überrascht. Nicht, weil sie das Lob des Königs für unverdient hielten, sondern weil sie nicht wussten, dass sie Christus begegnet waren. Die Frage „πότε σε εἴδομεν“ – pote se eidomen, „wann haben wir dich gesehen?“ – wiederholt sich in beiden Gruppen (V. 37 und V. 44). Sie steht im griechischen Original identisch da, bis hin zum kleinsten Artikel. Das ist nicht nur literarisch geschickt, sondern theologisch brisant: Der entscheidende Unterschied im Gericht liegt nicht im Erkennen, sondern im inneren Zustand, der sich im Verhalten gezeigt hat. Beide Gruppen waren überrascht – aber nur eine wird gerecht genannt.

Diese doppelte Überraschung darf nicht moralisiert werden. Sie ist nicht der Beweis dafür, dass das Heil zufällig oder unerkennbar sei, sondern Ausdruck einer tiefen Offenbarungslogik: Das Gericht deckt auf, was vorher verborgen war (vgl. Römer 2,16). Brown nennt diesen Moment „die Enthüllung der wahren Loyalitäten“ – nicht im Sinne einer moralischen Buchführung, sondern einer Bundesethik (also einer Ethik, die auf der Treue zum Bund mit Gott basiert), in der sich Treue gegenüber Christus in konkreter Barmherzigkeit zeigt (Jeannine K. Brown, Teach the Text: Matthew). Ihre theologische Perspektive ist relevant, weil sie Matthäus nicht aus paulinischer Brille liest, sondern aus der matthäischen Logik selbst heraus: Gerechtigkeit – dikaiosynē – meint bei Matthäus eine gelebte Gnade, sichtbar in Handlung. Das bedeutet: Die Werke der Gerechten sind keine Eintrittskarte ins Reich, sondern dessen Spiegel.

Turner spricht in diesem Zusammenhang von einem „Urteil nach Beweislage“: Es geht nicht um Vermutungen, sondern um das, was sichtbar geworden ist (David L. Turner, Matthew). Dabei bleibt er in der Spannung – und benennt sie auch. Das Tun ist nicht Grund des Heils, aber auch nicht irrelevant. Es ist Offenbarung. Diese Sichtweise ist für die adventistische Theologie von Bedeutung, weil sie das Verständnis des Vorwiederkunftsgerichts stützt: nicht als willkürlichen Entscheid, sondern als Offenlegung dessen, was durch Christus im Leben real geworden ist (vgl. Offenbarung 14,6–7).

Powell dagegen verschiebt die Perspektive: Für ihn richtet sich dieses Gericht nicht an die Gemeinde, sondern an „die Völker“ – also die, die dem Christus noch nicht explizit nachfolgen (Mark Allan Powell, God With Us). Er begründet das exegetisch mit dem durchgängigen Gebrauch von ethnēVölker – im Matthäusevangelium für Nichtjuden und Nichtjünger (z. B. Matthäus 24,14; 28,19). Daraus folgt: Der Maßstab des Gerichts ist nicht theologisches Wissen oder kultische Zugehörigkeit, sondern das Verhalten gegenüber den Gesandten Christi. In seinen Worten: „Was jemand den Jüngern Jesu tut, tut er Christus – das ist keine Metapher, sondern theologische Realität.“ Diese Sicht provoziert, weil sie nicht zwischen drinnen und draußen trennt – sondern zwischen Herz und Tat.

Wilkins bleibt ähnlich klar in seiner ekklesiologischen Deutung (also der Lehre von der Kirche): Die „Geringsten“ sind keine beliebigen Armen, sondern die, die im Namen Jesu leiden – nicht weil sie arm sind, sondern weil sie Jünger sind (Michael J. Wilkins, Commentary on Matthew). Auch er betont die Überraschung der Gerechten – und liest sie nicht als Naivität, sondern als Indiz für eine Haltung, die nicht strategisch, sondern echt war. Wilkins schreibt: „Der Menschensohn richtet nicht nach Etikett, sondern nach gelebter Zugehörigkeit.“ Das bedeutet: Nicht jeder, der sich Christ nennt, wird als solcher erkannt – aber jeder, der Christus dient, dient Christus.

Blomberg und Osborne bestätigen diesen Gedanken von der Gerichtsszene als kosmischer Offenbarung: Das Endgericht macht sichtbar, was lange schon wahr war. Das Wort ποιέω – „tun“ – steht in der Aoristform ἐποιήσατε (epoiesate), also im Rückblick. Es zählt nicht der Vorsatz, sondern das, was konkret geworden ist. Dabei betont Blomberg, dass dieses Tun nicht zur Rettung führt, sondern von ihr zeugt: „Die Werke der Schafe sind nicht Grund der Rettung, sondern deren Bestätigung“ (Craig L. Blomberg, Matthew). Osborne schärft das Bild noch: „Nicht die Tat als solche, sondern die Herzenseinstellung dahinter wird am Gerichtstag zum Kriterium gemacht“ (Grant R. Osborne, Commentary on Matthew). Diese Perspektive ist entscheidend, weil sie eine Werkfrömmigkeit ausschließt, ohne das Tun zu entwerten.

Lee und Marsh verschärfen das Urteil – und zwar ekklesiologisch: Die Böcke sind nicht nur jene, die draußen waren, sondern auch jene, die sich als Christen ausgaben, aber das Siegel der Wiedergeburt nicht trugen (Jason K. Lee & William M. Marsh, Matthew). Diese Sicht ist soteriologisch anspruchsvoll (also in Bezug auf die Lehre vom Heil/Erlösung): weil sie nicht die Kirchenzugehörigkeit oder das Bekennen ins Zentrum rückt, sondern das, was Christus in einem Menschen real werden ließ. Sie schreiben: „Heuchler teilen zwar den Stall mit den Schafen, aber sie tragen nicht das Siegel der Wiedergeburt.“ Das heißt: Das Gericht entlarvt nicht die Außenstehenden, sondern die inneren Brüche.

Dabei bleibt das Urteil final: Das griechische Wort für „Strafe“ ist κόλασις (kolasis), verbunden mit αἰώνιος (aiōnios) – ewig. Die Trennung, die Jesus vollzieht, ist kein Appell, sondern Entscheidung. Der Aorist der Verben – ἀπελεύσονται (apeleusontai) – „sie werden hingehen“ – betont die Unaufhebbarkeit. Turner schreibt: „Dieses Gericht ist kein Prozess mit unklarem Ausgang, sondern eine Urteilsverkündung nach klarer Beweislage.“ Und Blomberg ergänzt nüchtern: „Die Hölle ist nicht für Menschen geschaffen – aber sie ist das Ergebnis ihrer Entscheidung gegen das Evangelium.“ (Turner & Blomberg, je eigenes Werk)


Diese Aussage von Blomberg („Die Hölle ist nicht für Menschen geschaffen…“) verdient meiner Meinung nach in meinem adventistischen Rahmen eine kurze Klärung. Denn anders als viele traditionelle Lehrmeinungen lehnt die adventistische Theologie die Vorstellung einer ewigen Qualhölle im Sinne fortwährender bewusster Pein ab. Stattdessen versteht sie κόλασις αἰώνιος (kolasis aiōnios – „ewige Strafe“) als das endgültige Ergebnis eines Gerichts, das nicht auf ewiger Folter, sondern auf vollständiger Vernichtung beruht – dem sogenannten Annihilationismus. Der Mensch empfängt in dieser Sicht nicht unsterbliche Qual, sondern das gerechte Ende seines selbstgewählten Getrenntseins von Gott (vgl. Offenbarung 20,14–15; Maleachi 3,19). Die „ewige Strafe“ ist ewig in ihrer Wirkung, nicht in ihrer Dauer. Damit bleibt Gottes Gericht gerecht – aber nicht grausam. Und das Evangelium: Einladung zum Leben, nicht Drohung mit endlosem Schmerz.


Und doch: Die Strafe ist nicht das Zentrum. Der Kern des Textes ist die Christusbegegnung – verborgen, unerwartet, real. Was bleibt, ist eine Frage – keine Antwort: Wie oft sind wir an Jesus vorbeigegangen, weil er nicht aussah wie unser Bild von ihm? Wie oft ist er gekommen – durstig, fremd, krank – und wir haben weggeschaut?

Offene theologische Abschlussfrage: Kann Christus dort erkannt werden, wo sein Name nie ausgesprochen wurde – aber sein Wesen gelebt wurde?

Die SPACE-Anwendung*

Die SPACE-Anwendung ist eine Methode, um biblische Texte praktisch auf das tägliche Leben anzuwenden. Sie besteht aus fünf Schritten, die jeweils durch die Anfangsbuchstaben von „SPACE“ repräsentiert werden:

Sünde (Sin)

Vielleicht ist das Schlimmste nicht das, was man tut – sondern das, was man nicht tut, obwohl man es hätte sehen können. Oder sehen müssen. Die Leute zur Linken haben nicht rebelliert. Sie haben nicht gespottet. Sie haben nichts gesagt. Sie haben einfach nichts gemacht. Und genau das ist das Problem. Glaube, der nicht konkret wird, bleibt nicht. Vielleicht ist das einer der erschütterndsten Punkte in Jesu Rede: Beide Gruppen waren überrascht. Beide sagten: „Wann haben wir dich gesehen?“ – Doch nur eine ging ins Reich ein. Der Unterschied? Nicht Erkenntnis, sondern Reaktion. Und genau hier liegt die Sünde – nicht im theologischen Irrtum, sondern in der inneren Blindheit gegenüber dem, was real vor den Füßen lag. Christus war da – aber er passte nicht ins Bild. Und deshalb hat man nichts getan.

Verheißung (Promise)

Man könnte meinen, das ist zu hart. Dass so ein Urteil unsicher macht. Aber ehrlich: Ist es nicht auch tröstlich? Es geht nicht darum, dass du alles verstehst, alles erkennst, alles theologisch korrekt einsortierst. Es reicht, wenn du siehst – und handelst. Die Verheißung liegt nicht im Erklären, sondern im Erkennen dessen, der vor dir steht. Und sei es im falschen Gewand. Im Obdachlosen. Im Krankenzimmer. Im stillen Blick einer, der nichts hat. „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt…“ – das ist nicht nur eine ethische Ansage. Das ist eine Verheißung: Du kannst Christus begegnen – jetzt. Heute. Echt. Nicht in Visionen. Sondern im Gesicht des Anderen.

Aktion (Action)

Vielleicht denkst du: Wieder Barmherzigkeit. Wieder Werke. Wieder dieser Aufruf zum Tun. Ja. Stimmt. Schon wieder. Weil es ohne das kein Evangelium gibt. Die Schrift ist hier nicht monoton – wir sind es, die ständig Auswege suchen, um es nicht zu tun. Also: Was jetzt? Schau hin. Und dann steh auf. Vielleicht ist da jemand in deinem Umfeld, der nicht so aussieht, wie du dir einen „Geringen“ vorstellst. Zu laut. Zu seltsam. Zu nah. Vielleicht ist genau da Jesus. Und was, wenn es keine große Tat braucht? Sondern nur das Eine: nicht wegsehen. Die Hand reichen. Die Tür öffnen. Einen Satz sagen. Einen Teller Essen geben. Nichts davon rettet dich – aber alles davon offenbart, wem du gehörst.

Appell (Command)

Jesus ruft nicht zum Programm, sondern zur Haltung. Aber diese Haltung zeigt sich. Sie muss sich zeigen. Der Appell ist kein: „Tu was, um gut zu sein.“ Sondern: „Tu es, weil du Christus siehst – auch wenn du ihn nicht erkennst.“ Es geht nicht um moralischen Druck, sondern um die Befreiung aus der Apathie. Mach den ersten Schritt. Nicht in eine neue Strategie – sondern in eine alte Wahrheit: Wer barmherzig ist, hat Gott verstanden. Oder besser: ist von ihm verstanden worden.

Beispiel (Example)

Hier haben wir mal wieder zwei biblische Gruppen, die dasselbe sagen – aber verschieden handeln. Die zur Rechten: Petrus, der gefallen ist, ja – aber der in Apostelgeschichte 3 den Bettler ansieht und sagt: „Silber und Gold habe ich nicht – aber was ich habe, das gebe ich dir.“ Er sieht – und handelt. Die zur Linken? Vielleicht wie der reiche Jüngling (Markus 10,17-27). Gutes Leben, gute Fragen, gute Haltung. Aber als es konkret wurde, ist er gegangen. Er hat nicht gesündigt im klassischen Sinn. Er hat nur nichts getan. Und das war genug. Um Jesus zu verlieren.

Im nächsten Abschnitt wechseln wir die Perspektive: Was macht das alles mit mir? Wo trifft es mein Herz? Wo bin ich blind – und wo will ich neu sehen?

Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:

In diesem letzten Schritt habe ich das erstellt was du am Anfang gelesen hast… es ging nicht mehr darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Ich stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.

Zu dem, können dir vielleicht auch diese Fragen helfen:

1. Wann hast du zuletzt gedacht: „Ich hab’s ehrlich nicht gesehen“ – obwohl es rückblickend eine Christusbegegnung war?

Diese Frage zielt auf das Thema der Überraschung beider Gruppen: „Wann haben wir dich gesehen?“ Ich will verstehen, wie du selbst mit der Unsicherheit umgehst, ob du Christus im Alltag erkennst – und was das in dir auslöst. Gab es vielleicht einen Moment, in dem du später gemerkt hast: Das war heilig – aber ich war abgelenkt, zu beschäftigt, zu kritisch? Diese Frage öffnet den Raum für eigene blinde Flecke.

2. Gibt es in deinem Inneren eine Spannung zwischen dem Wunsch, gebraucht zu werden – und der Angst, an den echten Herausforderungen zu scheitern?

Der Text fordert nicht die Großen, sondern die Konkreten: Speise, Kleidung, Besuch. Ich möchte verstehen, ob du in dieser „Einfachheit“ auch eine Schwierigkeit erlebst – z. B. das Gefühl, dass diese einfachen Dinge im Alltag oft schwerer wiegen als große Ideen oder Konzepte. Und was das mit deinem Selbstbild macht.

3. Was ist für dich schwerer auszuhalten: die Vorstellung, andere könnten verloren gehen – oder die, dass du selbst dich getäuscht hast?

Der Text stellt uns unausweichlich ins Licht eines Gerichtes, das trennt – nicht nach Bekenntnissen, sondern nach innerer Verbundenheit, die sich zeigt. Ich frage bewusst nach deiner emotionalen Reaktion auf diesen Kontrast, weil ich glaube, dass hier viele mit ringen – mit Schuld, mit Angst, mit Hoffnung.

Zentrale Punkte der Ausarbeitung

  1. Die Überraschung der Gnade
    • Beide Gruppen, die „Schafe“ wie auch die „Ziegen“, reagieren überrascht: „Wann haben wir dich gesehen?“ Diese Reaktion zeigt: Es geht nicht um bewusste Heldentaten oder große Gesten, sondern um eine innere Haltung, die sich im Alltag zeigt – oder eben nicht.
    • Die Gerechtigkeit Gottes offenbart sich nicht primär im Abrechnen von Taten, sondern in der Offenbarung innerer Wahrheit. Die einen lebten in Verbundenheit mit Jesus – oft ohne es zu merken. Die anderen lebten für sich – trotz religiöser Überzeugung.
  2. Liebe ist kein Projekt, sondern eine Person
    • Jesus identifiziert sich mit den Bedürftigen, den Kleinen, den Unsichtbaren. Was wir ihnen tun, tun wir ihm. Das ist keine moralische Idee, sondern eine geistliche Realität.
    • Es geht nicht um das bloße Tun, sondern um das Warum hinter dem Tun. Die wahren Motive kommen ans Licht. Nicht jeder, der hilft, liebt – und nicht jeder, der liebt, plant sein Helfen.
  3. Der Maßstab ist Beziehung, nicht Religion
    • Die Entscheidung am Ende ist keine Belohnung für Moral, sondern eine Konsequenz gelebter Beziehung. „Meine Brüder und Schwestern“ – das zeigt: Es geht um gelebte Gemeinschaft, nicht um anonyme Hilfeleistung.
    • Die Linie verläuft nicht zwischen Aktiv und Passiv, sondern zwischen verbunden und unverbunden – mit Jesus, mit sich selbst, mit dem Nächsten.
  4. Nicht alles Helfen ist heilig
    • Die Geschichte von Javier (Täuschung trotz Hilfsbereitschaft) und Moisés (Verwandlung durch echte Begegnung) zeigt: Nicht jede ausgestreckte Hand will Heilung – manche wollen Kontrolle. Es braucht Differenzierung. Es braucht Wahrheit und Liebe.
    • Christliche Hilfe ist nicht blind, sondern geisterfüllt. Sie schenkt nicht nur Nahrung, sondern auch Verantwortung und Würde.
  5. Der Text will uns mündig machen
    • Kapitel 25 steht nicht am Anfang des Evangeliums. Wer hier angekommen ist, soll erkennen, dass Glaube zur Reife führt – und Reife zur Verantwortung.
    • Es geht darum, in Christus erwachsen zu werden. Nicht moralisch überladen, sondern geistlich wach.

Warum ist das wichtig für mich?

  • Weil ich mich selbst darin wiederfinde.
    • Ich kenne das Ringen, das Helfenwollen – und das Gefühl, ausgenutzt worden zu sein. Ich habe erlebt, wie gute Absichten kippen können, wenn sie nicht in echter Liebe gründen.
    • Ich habe auch erlebt, dass mein Helfen manchmal eine Flucht war – vor tieferer Nähe, vor echter Selbsthingabe.
  • Weil Jesus mich nicht zur Perfektion ruft – sondern zur Verbundenheit.
    • Ich darf ehrlich sein: Ich helfe nicht immer. Ich liebe nicht immer. Ich verstehe nicht immer. Und doch bin ich eingeladen – immer wieder – mich vom Geist leiten zu lassen.
    • Nicht aus Angst, nicht aus Pflicht – sondern aus der Liebe Christi, die mich drängt.
  • Weil das Gericht kein Drohbild ist, sondern eine Einladung.
    • Jesus kommt. Und seine Gerechtigkeit ist nicht willkürlich – sie ist offenbarte Wahrheit. Sie ruft mich, heute mein Leben zu leben, wie es ihm entspricht. Nicht, um gerettet zu werden. Sondern weil ich gerettet bin.

Der Mehrwert dieser Erkenntnis

  • Ich darf mich nicht über mein Tun definieren, sondern über meine Beziehung zu Christus.
  • Ich darf mutig helfen, ohne naiv zu sein – und ehrlich hinterfragen, ohne hartherzig zu werden.
  • Ich kann aufhören, spirituelle Heldengeschichten zu schreiben – und anfangen, heilige Unterbrechungen zuzulassen.
  • Ich lerne: Das, was zählt, ist das, was bleibt. Und das, was bleibt, ist oft das, was ich gar nicht bewusst getan habe – aber aus Liebe.

Kurz gesagt: Matthäus 25,31-46 stellt mir keine moralische To-do-Liste – sondern eine geistliche Diagnose. Bin ich verbunden – oder nicht? Und die Antwort liegt nicht in meinen großen Plänen. Sondern in meinen kleinen Reaktionen. Heute. Jetzt.


*Die SPACE-Analyse im Detail:

Sünde (Sin): In diesem Schritt überlegst du, ob der Bibeltext eine spezifische Sünde aufzeigt, vor der du dich hüten solltest. Es geht darum, persönliche Fehler oder falsche Verhaltensweisen zu erkennen, die der Text anspricht. Sprich, Sünde, wird hier als Verfehlung gegenüber den „Lebens fördernden Standards“ definiert.

Verheißung (Promise): Hier suchst du nach Verheißungen in dem Text. Das können Zusagen Gottes sein, die dir Mut, Hoffnung oder Trost geben. Diese Verheißungen sind Erinnerungen an Gottes Charakter und seine treue Fürsorge.

Aktion (Action): Dieser Teil betrachtet, welche Handlungen oder Verhaltensänderungen der Text vorschlägt. Es geht um konkrete Schritte, die du unternehmen kannst, um deinen Glauben in die Tat umzusetzen.

Appell (Command): Hier identifizierst du, ob es in dem Text ein direktes Gebot oder eine Aufforderung gibt, die Gott an seine Leser richtet. Dieser Schritt hilft dir, Gottes Willen für dein Leben besser zu verstehen.

Beispiel (Example): Schließlich suchst du nach Beispielen im Text, die du nachahmen (oder manchmal auch vermeiden) solltest. Das können Handlungen oder Charaktereigenschaften von Personen in der Bibel sein, die als Vorbild dienen.

Diese Methode hilft dabei, die Bibel nicht nur als historisches oder spirituelles Dokument zu lesen, sondern sie auch praktisch und persönlich anzuwenden. Sie dient dazu, das Wort Gottes lebendig und relevant im Alltag zu machen.