Matthäus 20,28 Weniger leisten, mehr leben → „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen. Er kam, um zu dienen und sein Leben als Lösegeld hinzugeben, damit viele Menschen aus der Gewalt des Bösen befreit werden.“

Fettgedrucktes für schnell Leser…

Einleitender Impuls:

Hey, vielleicht bist du gerade im Modus „Ich muss noch, ich sollte noch, ich darf auf keinen Fall schlappmachen“. Aber hier sagt Jesus, ohne Drama und ohne Leistungsdruck: „Ich bin nicht gekommen, um mir bedienen zu lassen, sondern um zu dienen.“ Das ist keine neue To-do-Liste – sondern eine Einladung, deine Erwartungen an dich selbst mal loszulassen. Dienen heißt nicht: Jetzt bist du dran mit aufopfern, sondern: Du darfst empfangen, weil schon für dich gegeben wurde.

Manchmal vergessen wir das im Alltagstrott. Wir werden zu Hersteller*innen unserer Wertigkeit, rackern uns ab, um anderen, Gott oder uns selbst zu genügen. Aber das Evangelium ist keine Aktiengesellschaft mit Gewinn- und Verlustrechnung, sondern eine Bewegung der Gnade. Was du gibst, darf aus dem Überfluss kommen – nicht aus Angst oder Pflichtgefühl. Jesus hat nicht ein Stück von sich geopfert, sondern alles. Und gerade dadurch öffnet er den Raum, in dem du einfach nur sein darfst. Mit Kraft oder schwach. Sichtbar oder ganz leise.

Was würde passieren, wenn du heute einfach nur empfängst? Wenn du Dienen nicht mehr als religiöse Selbstaufgabe, sondern als Teil einer göttlichen Bewegung begreifst, in der du empfangen, weitergeben, dich freuen darfst – und Fehler machen auch?

Meine Frage an dich:

Was hindert dich am meisten, dich wirklich beschenken zu lassen – von Gott, von Menschen, vom Leben?

Ich frage das, weil ich glaube: Wer diese Blockade ehrlich anschaut, der findet vielleicht den Mut, wirklich loszulassen. Das Risiko ist, du bleibst mit alten Mustern zurück. Die Verheißung: Du wirst freier, als du es je mit Leistung schaffen könntest.

Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:

  1. Wo merkst du in deinem Alltag, dass Dienen für dich eher Pflicht als Geschenk ist? (Die Frage lädt dazu ein, ehrlich hinzuschauen, wo das eigene Helfen manchmal schwerfällt, und was das vielleicht mit inneren Erwartungen oder Prägungen zu tun hat.)
  2. Wie leicht fällt es dir, Hilfe oder Ermutigung von anderen anzunehmen? (Hier geht es darum, sich selbst zu reflektieren: Bin ich jemand, der gerne gibt, aber beim Empfangen Schwierigkeiten hat? Was macht das mit mir?)
  3. Was wäre, wenn das größte Geschenk Gottes nicht darin liegt, was du tust, sondern dass du empfängst? (Diese Frage soll dich herausfordern, das Grundmuster von Leistung und Verdienen infrage zu stellen – und offen zu lassen, wohin dich diese Perspektive führen könnte.)

Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:

Johannes 13,14–15 – „Füße waschen statt Chef spielen.“ → Dienen beginnt oft mit kleinen Gesten, gerade da, wo niemand es sieht oder erwartet.

Philipper 2,5–7 – „Die Haltung Jesu – pure Hingabe.“ → Glaube wächst, wo ich lerne, meinen Status loszulassen und demütig zu leben.

2. Korinther 12,9 – „Meine Kraft zeigt sich in deiner Schwäche.“ → Du musst nicht glänzen oder alles können. Gottes Kraft kommt da zur Entfaltung, wo du leer bist.

Markus 10,45 – „Nicht bedient werden, sondern dienen.“ → Jesus stellt die Welt auf den Kopf: Der größte Mensch ist der, der sich verschenkt.

Manchmal entsteht Tiefe, wenn du dir Zeit nimmst, das Ganze langsam zu lesen, nachzuspüren und Fragen auch mal unbeantwortet stehen zu lassen. Gönn dir diese 20 Minuten – nur für dich.

Ausarbeitung zum Impuls

Lass uns kurz durchatmen und gemeinsam mit einem einfachen Gebet starten.

Liebevoller Vater, ich danke dir, dich zu hören und uns auf das einzulassen, was du durch diesen Text sagst. Es tut gut zu wissen, dass du ein Gott bist, der nicht auf Macht und Positionen schaut, sondern auf das Herz – und dass du in Jesus gezeigt hast, wie echte Größe durch Dienen sichtbar wird. Danke, dass wir nicht vor dir glänzen oder uns beweisen müssen, sondern dass wir offen sein dürfen – auch mit all dem, was uns schwerfällt zu verstehen. Du kennst unser Tendenz, uns zu vergleichen, uns zurückzunehmen, . Schenk uns offene Augen und ehrliche Herzen, wenn wir uns jetzt mit deinem Wort beschäftigen. Im Namen Jesu, Amen.

Dann lasst uns direkt eintauchen und gemeinsam entdecken, was hinter diesem Text steckt.

Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:

In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.

Also, bereit?

Ich spreche über die Perikope Matthäus 20,20–28. Diesmal nicht als Ausleger, sondern als jemand, der stehen bleibt und hört – für einen Moment einfach Mensch unter Menschen, mit allem, was offen, suchend, auch müde ist. Jesus sagt: „Ich bin gekommen, um zu dienen und mein Leben zu geben.“ Es ist einer dieser Sätze, die mich nicht loslassen, weil sie nicht erklären, sondern eine tiefe Bewegung auslösen. Ich sehe diese Szene vor mir – Die Mutter der Söhne von Zebedäus, die Gutes für ihre Kinder will; Freunde, die Anerkennung suchen; Jünger, die nicht verstehen, was wirklich zählt. Und mittendrin Jesus, der sich nicht zu schade ist, alle Erwartungen zu sprengen.

Was mich anspringt: Diese unaufdringliche Einladung, loszulassen – Kontrolle, Leistungsdenken, die Angst, zu kurz zu kommen. Ich kenne das zu gut: Funktionieren, liefern, stark sein. Doch Jesus stellt meine Grundüberzeugung auf den Kopf. Er fordert nichts von mir, sondern gibt zuerst. Ich sehe mich selbst als einer, der zu oft meint, alles herstellen zu müssen. Dabei sagt er: „Du bist kein Hersteller. Du bist Empfänger – und das darfst du sein, ohne dich zu schämen.“ Das bringt mich zum Stolpern, weil ich mich daran gewöhnt habe, gebraucht zu werden, nützlich zu sein. Was bleibt unausgesprochen? Vielleicht die Angst, dass diese Einladung zum Dienen wieder in den nächsten frommen Druck kippt. Die Sorge, dass ich doch wieder zu kurz komme oder nur dann zähle, wenn ich mich selbst vergesse.

Aber da höre ich etwas anderes, tiefer: „Ich gebe mein Leben als Lösegeld für viele.“ Es ist keine Fremdwährung, kein Tauschhandel – es ist ein Geschenk. Ich muss nicht mein eigenes Leben als Zahlungsmittel auf den Tisch legen. Ich darf empfangen. Und ich darf weitergeben, wenn es dran ist – nicht aus Mangel, sondern aus dem Überfluss, der durch Jesus fließt. Manchmal heißt das, ehrlich einzugestehen, dass ich leer bin. Dass ich es nicht schaffe, dass ich Hilfe brauche, dass ich als Kanal auch auf Empfang gestellt sein muss, nicht nur auf Dauersenden. Die Worte von Warren Wiersbe begleiten mich dabei: „Wir sind keine Hersteller, sondern Verteiler.“ Was für ein Unterschied. Und was für eine Entlastung, wenn man das einmal wirklich annimmt.

Ich spüre: Im Dienen geht es nicht ums Aufreiben, sondern um Teilhabe an etwas, das größer ist als meine To-dos und mein Selbstbild. Das gibt Freiheit – und ist manchmal auch Zumutung. Besonders dann, wenn ich lieber stark wäre, statt schwach. Oder dann, wenn ich im Alltag an meine Grenzen stoße – müde, überfordert, am liebsten raus aus allem. Dann kommt diese Stimme: Du bist gesehen, du bist gemeint, ohne dass du etwas beweisen musst.

Manchmal frage ich mich, wie das praktisch aussieht. Reicht es, einfach da zu sein, auch mit leeren Händen? Oder ist das wieder zu wenig? Ich merke: Es bleibt ein Weg. Was mich trägt, ist die Gewissheit, dass Gott von mir nur das will, was in Liebe möglich ist – nicht mehr. Dass es keine Schablone mehr gibt, sondern Beziehung, Begegnung, echte Bewegung. Ich sehe meine Kinder, denke an die Menschen, die ich liebe: Ich wünsche ihnen, dass sie nie das Gefühl haben, sich erst beweisen zu müssen, um angenommen zu werden. So wie ich mir das selbst wünsche.

Ich höre auch die Stimmen der Müden, der Leistungsgetriebenen, derer, die oft im Schatten stehen: Ihr müsst nichts leisten, um geliebt zu sein. Ich höre die Ambitionierten, die etwas verändern wollen: Echter Einfluss beginnt, wo Kontrolle losgelassen wird. Ich höre die Verletzten, die Zweifelnden: Auch für euch ist dieses Geschenk gemeint – ganz ohne Bedingungen.

Was nehme ich mit? Dienen und Empfangen sind kein Widerspruch, sondern gehören zusammen. Das Evangelium entlässt mich nicht in neue To-dos, sondern lädt mich ein, Teil einer Bewegung zu sein, die von innen nach außen lebt. Ich darf leer sein und trotzdem gebraucht werden. Ich darf geben, weil ich beschenkt bin. Ich darf loslassen, was mich zu sehr bindet. Und ich muss Gott nichts beweisen, weil er längst bewiesen hat, wie ernst es ihm mit mir ist.

Klartext — für alle, die einen Anker brauchen: Was wäre, wenn genau heute gilt: „Du bist gesehen. Du bist gemeint. Du musst nichts bringen, was du nicht hast – es reicht, zu empfangen.“ Was würde sich ändern, wenn du diese Freiheit wagst? Wen würdest du entlasten – dich selbst eingeschlossen? Was wäre, wenn echtes Dienen genau da beginnt, wo du ehrlich zu dir selbst wirst – und nicht mehr aus Angst oder Pflicht lebst, sondern aus einem Ja zu dem, was Gott in dich gelegt hat?

Jetzt ist die Zeit, den Blick zu öffnen: Lass uns gemeinsam tiefer eintauchen, wie diese Einladung zum Dienen und Empfangen unsere Ausarbeitung und unser Leben prägen kann – und was es heißt, wenn Gnade kein Bonus ist, sondern das Fundament von allem.

Der Text:

Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).

Matthäus 20,28

ELB 2006: so wie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.

SLT: gleichwie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.

LU17: so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.

BB: Genauso ist auch der Menschensohn nicht gekommen, um sich dienen zu lassen. Im Gegenteil: Er ist gekommen, um anderen zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele Menschen.«

HfA: Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen. Er kam, um zu dienen und sein Leben als Lösegeld hinzugeben, damit viele Menschen aus der Gewalt des Bösen befreit werden.«

Der Kontext:

In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.

Kurzgesagt… Jesus und seine Jünger sind unterwegs nach Jerusalem – kurz vor dem Finale, mitten auf der Straße. Thema: Wer ist hier eigentlich wirklich groß? Es geht um echte Größe, Macht, Dienst und was das alles im echten Leben bedeutet.

Previously on… Die Jünger haben gerade einen Haufen irritierender Gleichnisse gehört: Arbeiter, die am Ende alle gleich viel bekommen, die Frage nach Lohn und Gerechtigkeit. Es brodelt ein bisschen: Was springt für uns eigentlich raus? Direkt davor hat Jesus angekündigt, dass es jetzt ernst wird – Jerusalem steht bevor, das große Ziel, aber auch der Anfang vom Ende. Die Stimmung? Zwischen Hoffnung, Unsicherheit und ein bisschen Gruppenzoff – weil jeder irgendwie wissen will, ob er bei Jesus am besten dasteht.

Der geistige und religiöse Kontext? In der damaligen Welt zählt Rang und Status. Wer dient, steht unten. Wer herrscht, sitzt oben. Die Jünger träumen noch von Positionen, während Jesus längst vom Leiden redet. Für die meisten klingt das, was Jesus hier sagt, wie ein schlechter Deal: Nicht sich bedienen lassen, sondern selbst dienen – das ist damals so unsexy wie heute. Noch schärfer: Jesus spricht von „sein Leben geben als Lösegeld für viele“. Damit stellt er das religiöse Denken seiner Zeit völlig auf den Kopf: Nicht Belohnung durch Leistung, sondern Freiheit durch Hingabe.

Wer ist beteiligt? Jesus, seine engste Crew und ein paar neugierige Mitläufer. Die Szene spielt zwischen den Welten: Alte Denkmuster gegen neue Perspektiven. Die Jünger checken es noch nicht ganz, sind aber spürbar aufgewühlt. In den Köpfen hängt die große Frage: Was passiert, wenn das Reich Gottes wirklich anbricht? Wer darf vorne sitzen – und was kostet das eigentlich?

Soweit der Hintergrund. Im nächsten Schritt schauen wir uns die Schlüsselwörter und Formulierungen im Text an – die haben es oft richtig in sich und sind der Türöffner zum Verständnis der ganzen Szene.

Die Schlüsselwörter:

In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.

Matthäus 20,28 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):

ὥσπερ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου οὐκ ἦλθεν διακονηθῆναι ἀλλὰ διακονῆσαι καὶ δοῦναι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ λύτρον ἀντὶ πολλῶν.

Übersetzung Matthäus 20,28 (Elberfelder 2006):

so wie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele

Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter

  • ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου (ho huios tou anthrōpou) – „der Sohn des Menschen“: Im jüdischen Sprachraum tief verwurzelt, meist als Selbstbezeichnung Jesu. Es klingt die ganze Spannbreite menschlicher Existenz mit, aber auch der apokalyptische Richter aus Daniel 7. Gemeint ist der Messias, der zwar Macht hat, aber hier als Dienender auftritt – im Kontrast zu irdischen Herrschern.
  • διακονηθῆναι (diakonēthēnai) – „bedient werden“: Passiv von διακονέω (dienen, bedienen). Hier nicht nur „Service“, sondern Ausdruck von Status und Macht: Wer sich bedienen lässt, steht oben. Jesus stellt dieses Prinzip auf den Kopf.
  • διακονῆσαι (diakonēsai) – „dienen“: Aktiv. Das griechische Wort steht ursprünglich für das Kümmern um Tische, also sehr praktische, handfeste Hilfe – aber auch für soziale Verantwortung. Im Neuen Testament wird daraus der Leitbegriff für christliche Lebens- und Gemeindehaltung: Autorität wird an Dienst und Fürsorge geknüpft, nicht an Herrschaft.
  • δοῦναι (dounai) – „geben“: Infinitiv aorist aktiv von δίδωμι, klassisch für ein freiwilliges, endgültiges Überlassen oder Hingeben. Hier keine Notlösung, sondern ein Akt bewusster Selbsthingabe.
  • ψυχὴν (psychēn) – „Leben“: Mehr als nur „biologisches Leben“ – im Griechischen schwingt Seele, Identität, Existenz, das „Ich“ mit. Jesus gibt nicht einfach Zeit oder Kraft, sondern sein ganzes Sein, alles, was ihn ausmacht.
  • λύτρον (lytron) – „Lösegeld“: In der Antike das Wort für eine Zahlung, um Sklaven oder Gefangene freizukaufen. Hier hoch geladen: Jesus gibt sein Leben als „Preis“, damit andere frei werden. Theologisch steht im Hintergrund die Idee vom Erlösen und Befreien – nicht als Tauschgeschäft, sondern als tiefe Stellvertretung.
  • ἀντὶ (anti) – „für, anstelle von“: Deutet auf das Prinzip der Stellvertretung. Was Jesus gibt, gilt an Stelle von anderen, nicht nur für sie. Der Begriff ist scharf und intensiv: Da nimmt einer den Platz von vielen ein.
  • πολλῶν (pollōn) – „viele“: Im Kontext meist als „eine große Menge“, manchmal aber auch synonym für „alle“ im Sinne von „die vielen Menschen“. In Verbindung mit Jesaja 53 („mein Knecht, der für viele stirbt“) anklingend: Erlösung für eine Vielzahl – offen, wer dazugehört, aber die Tür steht weit auf.

Im nächsten Schritt steigen wir tiefer in den theologischen Kommentar ein und fragen, was diese Schlüsselbegriffe für die Botschaft des Textes und unsere Vorstellung von Größe, Dienst und Erlösung bedeuten.

Ein Kommentar zum Text:

Theologische Grundlage

Es gibt Texte, die lassen einen nicht mehr los, weil sie jede fromme Routine aufbrechen. Matthäus 20,20–28 ist einer davon. Wer diese Perikope liest, stößt sofort auf eine Spannung, die weit über das Antike hinausreicht: Menschliche Wünsche nach Anerkennung, Rang und Kontrolle stoßen auf einen Jesus, der jede Hierarchie unterwandert. Ich lade dich ein, die Verse selbst zu lesen – langsam, offen, und immer wieder an den Stellen zu verweilen, an denen innere Unruhe aufkommt.

Im Zentrum der Szene steht der Versuch, das Reich Gottes mit den Maßstäben menschlicher Macht zu verbinden. Die Mutter der Zebedäussöhne bittet um Ehrenplätze für ihre Söhne. Diese Anfrage ist in der damaligen Kultur weder überraschend noch besonders verwerflich – Status und Anerkennung waren das soziale Kapital der Zeit. Wie R. T. France festhält, ist dieses Statusdenken „eine menschliche Konstante“, die sich durch alle Zeiten zieht (France, Matthew: An Introduction and Commentary). Es ist bemerkenswert, dass Matthäus gerade die Mutter sprechen lässt, während Markus in seiner Parallelüberlieferung die Söhne selbst reden lässt. Für France spiegelt das eine tiefe, familiär verwurzelte Ambition, die sich bis ins engste Umfeld Jesu zieht. Was das bedeutet? Es bleibt offen, wie tief diese Suche nach Bedeutung und Einfluss selbst die Vertrautesten Jesu prägt – und wie leicht sie auch uns betrifft.

Jesus antwortet mit einer doppelten Korrektur. Zuerst spricht er von einem „Becher“ – potērion (ποτήριον) – als Symbol für Leiden und Bestimmung. Im Alten Testament steht der Becher oft für das Tragen von Gericht und Leid (vgl. Jesaja 51,17; Jeremia 25,15). Im Judentum war das „den Becher trinken“ ein Bild für das Annehmen des eigenen Schicksals – meist nichts Angenehmes. Jesus fragt die Jünger, ob sie seinen Becher trinken können, was sie vorschnell bejahen. Grant Osborne macht klar: „Der Becher steht für den Weg des Leidens und Gerichts – Nachfolge bedeutet, diesen Becher zu teilen, auch wenn man das Ausmaß nicht ahnt“ (Osborne, Matthew). Damit wird deutlich: Wer Jesus nachfolgt, betritt keinen Weg des Triumphes, sondern geht den Pfad des Dienens und der Leidensbereitschaft. Warum ist das wichtig? Weil Nachfolge in diesem Sinn nicht als Privileg, sondern als Bereitschaft zur Hingabe verstanden werden muss. Wahre Größe bedeutet, den Weg der Selbstverleugnung bewusst zu gehen.

An zweiter Stelle verweist Jesus auf die göttliche Souveränität: Die Plätze zur Rechten und Linken sind „für die bereitet, denen sie zugedacht sind“ (vgl. Vers 23). David L. Turner betont: „Nicht einmal Jesus selbst vergibt die Ehrenplätze – sie sind allein Sache des Vaters.“ (Turner, Matthew). Was hier ausgesagt wird, ist eine radikale Relativierung aller menschlichen Anspruchshaltungen. Für die Jünger – und für uns – bedeutet das: Berufung und Würde im Reich Gottes sind Geschenk, kein Anspruch und kein Produkt eigener Leistung.

Nun spitzt sich der Konflikt zu: Die anderen Jünger reagieren „unwillig“ – aganakteō (ἀγανακτέω) – auf das Anliegen der Brüder. Das Wort trägt die Bedeutung von echtem Ärger oder Empörung. Der Streit um Rangordnungen ist damit kein Einzelfall, sondern ein Grundproblem aller Gemeinschaften, die mit Macht und Anerkennung ringen. Jesus greift diesen Streit auf und konfrontiert ihn mit dem Gegenmodell des Reiches Gottes. Im Urtext steht: „Die Herrscher der Heiden herrschen über sie“ – katakyrieuō (κατακυριεύω). Dieses Verb meint ein autoritäres, oft unterdrückendes Herrschen. Jesus sagt klar: „Bei euch soll es nicht so sein!“ Der Satz wirkt wie ein Schnitt – alles, was weltliche Hierarchie, Dominanz und Macht betrifft, wird für die Nachfolger Jesu ausgehebelt.

Das Gegenmodell ist der diakonos (διάκονος) – Diener – und noch stärker der doulos (δοῦλος) – Sklave. Beide Begriffe sind im damaligen Kontext mit tiefster Demut und Selbsterniedrigung verbunden. Jeannine K. Brown hebt hervor: „Jesus entzieht dem Dienen jedes Stigma. Wer groß sein will, muss Diener werden – echte Nachfolge beginnt mit Selbstverleugnung und Zuwendung zum Anderen.“ (Brown, Matthew (Teach the Text Commentary Series)). Warum ist das entscheidend? Weil Jesus damit jede Form geistlichen Karrieredenkens bricht. Für mich als jemand, der auf die Bedeutung des Dienstes in der christlichen Gemeinschaft Wert legt, liegt darin ein Prüfstein: Was bedeutet es, Dienst als Herzschlag von Leitung und Gemeinde zu begreifen, ohne dass daraus ein neuer religiöser Leistungsdruck wird? Es bleibt die Gefahr, dass selbst der Dienst zum Machtspiel oder zur Selbstdarstellung verkommt.

Hier setzt eine weitere theologische Tiefe an, die für mich zentral ist: Das Dienen ist keine Schwäche, sondern die eigentliche Würde des Menschen nach Gottes Bild. Im Lichte des Erlösungsplans – der Soteriologie, also der Lehre vom Heil und der Erlösung – wird deutlich: Christus lebt vor, dass göttliche Größe in der Hingabe liegt, nicht im Beherrschen. Diese Sichtweise durchzieht die Bibel: Schon in Jesaja 53, dem sogenannten Gottesknechtslied, wird die Erlösung Israels durch das stellvertretende Leiden eines Einzelnen vorbereitet. Im Griechischen verwendet Matthäus das Wort lytron (λύτρον) – Lösegeld – als Ausdruck für das, was Jesus gibt: „um sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (dounai tēn psychēn autou lytron anti pollōn – δοῦναι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ λύτρον ἀντὶ πολλῶν). Osborne und France weisen beide darauf hin, dass dieser Begriff in der damaligen Welt für die Freilassung von Sklaven oder Gefangenen verwendet wurde (Osborne, Matthew; France, Matthew: An Introduction and Commentary). Die Rede von „Lösegeld“ meint nicht einen Tauschhandel zwischen Gott und einem Gegner, sondern steht für das freiwillige, stellvertretende Opfer Christi, durch das Menschen befreit und in Gemeinschaft mit Gott versöhnt werden (vgl. Jesaja 53,10–12; Markus 10,45).

Warum ist das mehr als nur antikes Bild? Für mich, der im Glauben an Erlösung durch Christus verwurzelt ist, zeigt sich darin die zentrale Bewegung des Evangeliums: Erlösung ist ein Befreiungsgeschehen, das sich aus Liebe und Hingabe speist, nicht aus religiösem Verdienst oder menschlichem Anspruch. Brown bringt das pointiert auf den Punkt: „Jesu Leben als Lösegeld für viele ist keine theologische Mechanik, sondern Freisetzung, Versöhnung, neue Gemeinschaft.“ (Brown, Matthew). Das erklärt, warum der Begriff „für viele“ (anti pollōn – ἀντὶ πολλῶν) nicht als Begrenzung zu verstehen ist. Im hebräischen Denken, auf das Matthäus anspielt, steht „viele“ für die große Gemeinschaft derer, die sich einladen lassen – also eine offene Tür, keine exklusive Auswahl (vgl. Römer 5,18–19).

An dieser Stelle knüpft auch die adventistische Theologie an, ohne sie explizit benennen zu müssen: Die Sendung Jesu, sein Dienst und sein Opfer, bilden das Vorbild für eine Gemeinschaft, die im Dienst an der Welt ihre Identität findet. Das bedeutet: Leitung, Gaben, Selbstverwirklichung – all das wird vom Vorbild Jesu her neu geordnet. Größe misst sich am Maß der Bereitschaft, das eigene Leben – psychē (ψυχή) – für andere einzusetzen. Die psychē ist mehr als bloß „Seele“ oder „Leben“ im biologischen Sinn; sie steht für das ganze Wesen, Identität, Wille und Hingabe. „Jesus gibt nicht einfach Zeit oder Kraft, sondern sein ganzes Sein, alles, was ihn ausmacht“, schreibt France. Hierin wird für mich das Ziel der Nachfolge sichtbar: Nicht einen Platz oben erobern, sondern bereit sein, für andere den Weg des Dienens zu gehen – bis zur Selbsthingabe.

Sproul sieht hier die Spannung zwischen menschlichem Anspruch und göttlicher Gnade besonders klar: „Die Jünger meinen, sie hätten sich Ehrenplätze verdient – aber Gott schuldet uns nichts. Alles, was wir empfangen, ist reine Gnade.“ (Sproul, Matthew: An Expositional Commentary). Diese Erkenntnis bewahrt davor, Dienst zu einer neuen Form des Leistungsevangeliums zu machen.

Für mich als Theologen mit adventistischem Horizont ist ein weiterer Aspekt zentral: Das Leben Jesu – sein Dienst, seine Hingabe, sein Leiden – sind nicht bloß Vergangenheit, sondern Gegenwart und Auftrag für die Gemeinde, die auf sein Kommen wartet. Die Paränese, also die ermahnende und praktische Anleitung zur Lebensführung, leitet sich direkt daraus ab: Nachfolge bedeutet, den Weg Jesu heute weiterzugehen. Nicht um den Preis der eigenen Identität, sondern gerade um sie zu gewinnen (vgl. Matthäus 16,24–25).

Die Autoren stimmen in einem Punkt überein: Das Evangelium dreht jede Ordnung um, nach der Menschen sonst Größe, Erfolg oder Status messen. Brown: „Jesus identifiziert sich bewusst mit den Dienenden und macht ihre Position zum Maßstab göttlicher Größe.“ (Brown, Matthew). Catena Aurea (Thomas von Aquin u. a.) bringt die Linie der Kirchenväter auf den Punkt: „Die Nachfolger Jesu sind immer in Gefahr, Größe mit Macht zu verwechseln, doch das Kreuz bleibt das Maß aller Nachfolge.“ (Catena Aurea, Commentary on the Four Gospels). Für mich ist das ein Prüfstein: Wenn ich beginne, in Macht und Anerkennung zu denken, laufe ich Gefahr, das Wesen der Nachfolge Jesu zu verlieren.

Der Text verschweigt nicht, wie tief das Bedürfnis nach Anerkennung sitzt – und wie sehr sich dieses Bedürfnis auch ins geistliche Leben einschleicht. Die Perikope ist keine moralische Lektion, sondern eine Einladung zu geistlicher Unruhe und Selbstprüfung. Was bleibt offen? Für mich bleibt die Frage, wie sich Dienst, Hingabe und das Ringen um echte Nachfolge in einer Zeit leben lassen, die alles zur Bühne macht – auch den Glauben. Die Spannung bleibt, weil echte Nachfolge keine Lösung, sondern einen Weg eröffnet: den Weg, auf dem Größe nicht durch Macht, sondern durch Dienen und Geben sichtbar wird.

Offen bleibt: Wie gelingt es, in einer leistungsorientierten, von Status getriebenen Gesellschaft das Dienen als Zeichen göttlicher Würde zu leben, ohne dabei sich selbst oder andere zu überfordern?