Fettgedrucktes für schnell Leser…
Einleitender Impuls:
Was, wenn Nachfolge kein harter Verzicht ist, sondern die Einladung zu einem Leben, das weit größer ist, als du es dir je ausmalen konntest? Jesus ruft nicht in einen düsteren Tunnel, sondern in ein Licht, das alles durchdringt – sogar die eigene Angst und die alten Grenzen.
Jesus selbst sagt das – direkt, ohne Umwege. Es sind seine Worte, nicht nur fromme Gedanken. Mich fasziniert, wie offen er spricht: Nicht nur zu den Überfliegern, nicht nur zu Frommen – zu allen. Sein Ruf ist wie ein Weckruf aus der Komfortzone. Was, wenn genau da, wo ich mich verliere, Gott mir mehr Leben schenkt, als ich es festhalten könnte? Das Kreuz, von dem Jesus spricht, ist nicht das Ende, sondern der Aufbruch. Es ist der Moment, in dem du merkst: Du musst nicht mehr dein kleines Leben verteidigen, sondern kannst loslassen – und entdecken, was möglich wird, wenn Christus dich ruft.
Und: Du trägst dieses Kreuz nicht allein. Jesus verspricht an anderer Stelle: „Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid – ich will euch Ruhe schenken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir … Mein Joch ist leicht.“ (Matthäus 11,28–30). Sein „Joch“ – das Kreuz – ist ein gemeinsamer Weg. Du bist nicht alleine, wenn du dich einlässt.
Wer täglich das Kreuz auf sich nimmt, sagt Ja zu Gottes größtem Abenteuer: Ein Leben in Freiheit, jenseits von Selbstoptimierung und Angst, getragen von einer Liebe, die keine Bedingungen stellt. Was für eine Vorstellung – nicht mehr Sklave eigener Ansprüche, sondern frei für das, was Gott durch dich tun will. Nachfolge ist kein graues Pflichterfüllen, sondern ein Raum, in dem aus Bruchstücken etwas ganz Neues wächst.
Vielleicht hast du es bisher wie ich erlebt: Manchmal wollte ich die Kontrolle behalten, nichts riskieren. Doch mit Jesus zu gehen, heißt, sich auf den Weg einzulassen – ins Unbekannte, ins Vertrauen, mitten ins Leben. Nicht mehr festhalten, sondern empfangen. Nicht mehr drehen um mich selbst, sondern offen werden für Gottes Möglichkeiten. Das Abenteuer Nachfolge beginnt heute, jetzt – und ist alles andere als gewöhnlich.
Du musst nicht alles verstehen oder schon alles können. Schon, dass du dich danach sehnst, reicht als Start. Was würde sich in deinem Leben verändern, wenn du Nachfolge nicht mehr als Last, sondern als göttliche Entdeckung siehst – als Einladung, aus alten Sicherheiten hinauszutreten und mehr zu erwarten, als du dir selbst zutraust? Ich glaube, das ist das eigentliche Wunder von Nachfolge: Gott fängt da an, wo du denkst, es sei schon alles gelaufen.
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Wo in deinem Leben hast du zuletzt gespürt, dass es Zeit ist, nicht mehr auszuweichen? (Mit dieser Frage möchte ich dich einladen, ehrlich auf einen Punkt zu schauen, an dem du dich selbst zurückhältst oder etwas vor dir herschiebst – vielleicht aus Angst, vielleicht aus Gewohnheit. Sie soll nicht drücken, sondern helfen, aufzudecken, was dich gerade beschäftigt.)
- Wie sieht es für dich konkret aus, „dein Kreuz täglich zu tragen“ – und woran merkst du, dass du es nicht allein schaffen musst? (Hier geht es darum, die große Idee des Kreuztragens auf deinen Alltag herunterzubrechen: Wo bist du eingeladen, Verantwortung zu übernehmen oder ehrlich zu sein – und wo darfst du dir Hilfe holen, anstatt alles allein zu stemmen?)
- Was überrascht dich daran, dass Nachfolge nicht zuerst ein Sieg über Schwäche, sondern ein mutiges Bleiben in der eigenen Wahrheit ist? (Diese Frage will einen unerwarteten Blick öffnen: Es geht nicht um Heroismus, sondern um das ehrliche Dasein vor Gott und Menschen – vielleicht ist das gerade die echte Stärke, die du bisher unterschätzt hast.)
Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:
Matthäus 11,28–30 – „Kommt her zu mir, alle…“ → Gott lädt dich ein, Lasten abzugeben – du musst sie nicht mehr allein tragen. Nachfolge heißt, ehrlich zu werden, nicht perfekt.
Philipper 3,7–14 – „Vergiss, was hinter dir liegt.“ → Der Blick nach vorn bedeutet manchmal, Altes loszulassen. Wer Jesus folgt, darf auch eigene Fehler loslassen – und sich auf das Ziel konzentrieren.
2. Korinther 12,9–10 – „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ → Nicht deine Leistung macht dich stark, sondern Gottes Nähe gerade in deinen Schwächen. Du musst dich nicht verstecken.
Offenbarung 14,12 – „Hier ist Geduld der Heiligen.“ → Dranbleiben lohnt sich – selbst, wenn der Weg schwer ist. Vertrauen und Ausdauer führen zur Hoffnung, auch wenn nicht alles sofort sichtbar wird.
Manchmal lohnt es sich, 20 Minuten zu investieren und sich neu auf die Kraft dieses Textes einzulassen. Vielleicht findest du darin einen Gedanken, der dich begleitet, wenn alles andere zu laut wird.
Ausarbeitung zum Impuls
Bevor wir einsteigen, lass uns kurz gemeinsam zur Ruhe kommen und Gottes Einladung, diesen Moment mit uns zu gestalten annehmen. Wenn du magst, bete mit – ich bete.
Lieber Vater, danke, dass wir heute hier sind – nicht, weil wir alles im Griff haben, sondern weil du uns einlädst. Danke, dass du uns nicht nach Leistung beurteilst, sondern nach unserem Herzen. Du siehst, wie oft wir uns zwischen Selbstsicherheit und Unsicherheit bewegen – und dass Nachfolge manchmal mehr kostet, als wir bereit sind zuzugeben. „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst…“ – das klingt nicht nach Leichtigkeit, sondern nach ehrlichem Ringen. Danke, dass du uns nicht überforderst, sondern uns auf deinem Weg begleitest. Hilf uns zu entdecken, was es heißt, dir auch im Alltag nachzugehen – mit allem, was uns beschäftigt. Im Namen Jesu,
Amen.
Lass uns jetzt gemeinsam eintauchen und schauen, was diese Worte für uns heute bedeuten könnten.
Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:
In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.
Also, bereit?
Ich spreche über die Perikope Lukas 9,23–27 – einen Text, der für mich nicht Theorie ist, sondern ein Spiegel, manchmal auch ein Stachel, auf jeden Fall eine Einladung, an die eigenen Grenzen zu gehen. Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Ich sehe mich beim Lesen dieses Verses nicht als neutraler Beobachter, sondern als jemand, den das Thema „täglich“ trifft – und zwar nicht im Modus der religiösen Routine, sondern da, wo mein Leben wirklich aus dem Ruder gelaufen ist. Ich sehe die Brüche, die Umwege, das Aufbegehren gegen das Leben, gegen mich selbst, gegen Gott. Ich sehe die Stationen meines Lebens, in denen ich nicht das Kreuz auf mich genommen, sondern anderen die Lasten aufgeladen habe, in denen Wut, Opferrolle und das Gefühl, fremdbestimmt zu sein, mein Handeln geprägt haben.
Was höre ich? Ich höre nicht nur die Stimme Jesu, sondern auch all die Stimmen aus meiner Vergangenheit. Die Sätze, die mich abwerten oder klein machen wollen, die eigenen inneren Ankläger. Aber auch das eine Wort aus dem Evangelium: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben“ (Matthäus 11,28). Ich höre, wie viel unausgesprochen bleibt – der Schmerz über verpasste Gelegenheiten, das Nicht-Wollen, die Müdigkeit, immer wieder aufzustehen. Ich höre, wie schwer es ist, ehrlich zuzugeben, dass Nachfolge nicht immer gelingt, dass ich oft lieber den leichten Weg wählen würde, dass ich es manchmal gar nicht will. Doch ich höre auch, dass Jesus genau diese Anteile sieht, nicht wegredet, sondern einlädt, das Kreuz, sprich: meine Brüche, meine Schuld, mein Versagen, nicht zu verstecken, sondern zu tragen – ehrlich, nicht heldenhaft.
Was fühle ich? Überforderung, manchmal Ohnmacht, aber auch Erleichterung. Denn das Kreuz ist kein Symbol für religiöse Härte, sondern die Einladung, endlich aufzuhören, sich zu rechtfertigen. Ich fühle, dass das „täglich“ nicht den Perfektionismus meint, sondern den Mut, auch nach Rückfällen und Fehlern wieder aufzustehen, mich mit leeren Händen Gott zu stellen. Es gibt Tage, da gelingt mir das, und Tage, da bleibt alles Theorie. Aber genau das ist für mich Nachfolge: Nicht das Hochhalten von Idealen, sondern der ehrliche Weg durch Schatten und Licht, durch Scheitern und Versöhnung. Ich spüre die Spannung zwischen dem alten Reflex, die Schuld abzuschieben, und der neuen Freiheit, sie nicht mehr zu verstecken – weil einer da ist, der sie getragen hat, sichtbar, am Kreuz (σταυρός – stauros).
Was bleibt unausgesprochen? Wie sehr Nachfolge auch heute ein Risiko ist – sich zu öffnen, sich verletzlich zu zeigen, eigene Grenzen zu akzeptieren und trotzdem loszugehen. Ich spüre, dass ich oft Angst habe, mich wirklich darauf einzulassen. Die Botschaft des Evangeliums fordert mich heraus, aber sie tröstet mich auch, weil sie mir den Druck nimmt, perfekt sein zu müssen. Ich darf, ja, ich soll mit meinem gebrochenen Herzen kommen. Ich spüre, wie sehr der Text von mir will, dass ich ehrlich werde – nicht nur vor Gott, sondern auch vor mir selbst.
Was nehme ich mit? Dass Nachfolge ein Prozess ist, bei dem ich immer wieder lerne, nicht wegzulaufen – weder vor mir, noch vor Gott, noch vor anderen. Dass das Kreuztragen nicht nur Verzicht und Verlust bedeutet, sondern auch Annahme und Heimat. Ich nehme mit, dass es okay ist, nicht fertig zu sein. Dass die ehrlichsten Schritte oft die sind, bei denen ich mich selbst aushalte – mit Wut, Schwäche, Sehnsucht und der Hoffnung, dass Christus genau da, in diesem Ringen, bei mir ist.
Jetzt lade ich dich ein, gemeinsam mit mir tiefer einzutauchen und all die Schichten dieses Textes freizulegen – ohne Angst vor Brüchen, ehrlich, mit offenem Herzen.
Der Text:
Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).
Lukas 9,23-24
ELB 2006: Er sprach aber zu allen: Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz täglich auf und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten.
SLT: Er sprach aber zu allen: Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz täglich auf sich und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.
LU17: Er sprach zu allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.
BB: Zu allen sagte Jesus: »Wer zu mir gehören will, darf nicht an sich selbst denken. Er muss sein Kreuz täglich auf sich nehmen und mir nachfolgen. Denn wer sein Leben unbedingt bewahren will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.«
HfA: Zu allen sagte Jesus: »Wer mir nachfolgen will, darf nicht mehr an sich selbst denken, sondern muss sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben um meinetwillen aufgibt, wird es für immer gewinnen.«
Der Kontext:
In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.
Kurzgesagt: Lukas 9,23-24 spielt mitten in einer bewegten Zeit. Jesus steht mit seinen Jüngern an einem Scheideweg – das große „Wer bist du eigentlich?“ schwebt im Raum. Der Messias wird erkannt, aber keiner ahnt, was das für alle bedeutet.
Previously on Lukas: Bisher war Jesus wie ein Magnet unterwegs: Er heilt, predigt, isst mit Außenseitern, diskutiert mit Religiösen. Die Leute merken, dass mit ihm irgendetwas anders ist. Gerade erst hat er Tausende mit ein paar Broten satt gemacht. Jetzt kommt das große Frage-Spiel: „Für wen halten mich die Leute?“ Die Antworten reichen von „Irgendein Prophet“ bis „vielleicht Elia“. Dann Petrus, mutig wie immer: „Du bist der Christus Gottes!“ – und die Stimmung kippt. Ab jetzt geht’s nicht mehr nur um Wunder und kluge Sprüche, sondern um Nachfolge, Risiko, und eine andere Art von Macht, als alle erwartet haben.
Der geistig-religiöse Kontext ist spannend. Die Menschen sind von römischer Fremdherrschaft genervt und warten auf einen Befreier – einen, der mal richtig aufräumt. Die Erwartungen an den Messias sind riesig: Viele wollen einen Helden, der die Römer vertreibt, andere hoffen auf einen neuen Propheten oder spirituellen Erneuerer. In diese Stimmung platzt Jesus mit einer völlig anderen Botschaft: Nachfolge bedeutet nicht, auf den großen Triumphzug zu warten, sondern sich auf einen Weg einzulassen, der Opfer, Unbequemlichkeit und echtes Vertrauen verlangt. Der Satz vom „Kreuz aufnehmen“ war für damalige Ohren nicht fromm, sondern verstörend. Jeder wusste: Das Kreuz ist das brutalste Hinrichtungsmittel der Römer – es stand für Scham, Ausgrenzung und Tod. Jesus nimmt dieses Bild und sagt: „Wenn du wirklich mit mir gehen willst, musst du bereit sein, alles aufzugeben – nicht nur einmal, sondern immer wieder, Tag für Tag.“
Mitten in dieser brodelnden Erwartungshaltung und der Ahnung, dass das alles nicht ohne Schmerz ablaufen wird, lädt Jesus seine Jünger (und alle, die’s hören wollen) dazu ein, neu zu denken, neu zu vertrauen – und mit ihm einen Weg zu gehen, der keine Garantien auf Glück und Ruhm verspricht, sondern echten Sinn. Das war damals für viele schwer zu verdauen – und ist es heute manchmal immer noch.
Als Nächstes steigen wir ein in die Schlüsselbegriffe aus dem Text – welche Worte eigentlich den Ton angeben und was sie bedeuten.
Die Schlüsselwörter:
In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.
Lukas 9,23–24 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):
Ἔλεγεν δὲ πρὸς πάντας· Εἴ τις θέλει ὀπίσω μου ἔρχεσθαι, ἀρνησάσθω ἑαυτὸν καὶ ἀράτω τὸν σταυρὸν αὐτοῦ καθʼ ἡμέραν, καὶ ἀκολουθείτω μοι.
ὃς γὰρ ἂν θέλῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ σῶσαι, ἀπολέσει αὐτήν· ὃς δʼ ἂν ἀπολέσῃ τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ, οὗτος σώσει αὐτήν.
Übersetzung Lukas 9,23–24 (Elberfelder 2006):
Er sprach aber zu allen: Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz täglich auf und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten.
Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter
- ἀρνησάσθω (arnēsasthō) – „verleugne“: Imperativ Aorist, 3. Person Singular. Grundbedeutung: sich von etwas distanzieren, etwas abstreiten, sich selbst absagen. Im Kontext: Nicht Selbsthass, sondern eine bewusste Aufgabe der eigenen Selbstbestimmung, des Anspruchs auf Selbstrechtfertigung und Egozentrik. Wer sich „selbst verleugnet“, stellt seine Wünsche und Ziele hintan zugunsten von Jesu Auftrag und Gemeinschaft.
- σταυρός (stauros) – „Kreuz“: Wörtlich: das römische Folterinstrument. Semantisch steht es für den absoluten Tiefpunkt an Schande, Leiden und Ohnmacht – für das, was im Alltag als „zum Tode verurteilt“ galt. Pragmatisch: Jesus spricht nicht von allgemeinen Lebensschwierigkeiten, sondern von einer bewussten Bereitschaft, Ablehnung und Opfer als Konsequenz echter Nachfolge in Kauf zu nehmen. Lukas fügt als Einziger das Wort „täglich“ hinzu: Es ist kein einmaliger Heroismus, sondern ein Lebensstil.
- ἀκολουθείτω (akoloutheitō) – „folge mir nach“: Imperativ Präsens, 3. Person Singular. Kontinuierlich, andauernd, ein Nachgehen, Dranbleiben, Mitgehen. Jemandem „nachfolgen“ meint in der Antike, sich seinem Rabbi, Lehrer oder Meister ganz anzuschließen, sich mit seiner Agenda zu identifizieren und im Alltag in seine Fußstapfen zu treten. Das ist viel mehr als nur intellektuelle Zustimmung – es ist Lebensbeteiligung.
- ψυχή (psychē) – „Leben“ / „Seele“: Hier doppeldeutig: Zum einen das irdische Leben, zum anderen das tiefste Ich, die Existenz, das wahre Selbst. Das Wort kann „Atem“, „Seele“, „Person“ oder einfach „das eigene Leben“ bedeuten. Jesus spielt mit diesem Spannungsfeld: Wer krampfhaft versucht, seine „Seele“ (sein Leben, seine Selbstverwirklichung) zu sichern, verliert sie am Ende – weil er das Eigentliche verpasst.
- σῴζω (sōzō) – „retten“: Bedeutet retten, heil machen, befreien, bewahren – sowohl im physischen wie im geistlichen Sinne. Im Kontext: Wahres Heil und echte Rettung gibt es nicht durch Besitzstandswahrung, sondern durch Hingabe, Vertrauen und das Loslassen des eigenen Anspruchs. Wer sich hingibt, wird „gerettet“ – nicht weil Verlust so toll wäre, sondern weil nur im Geben das Leben aufblüht.
- ἀπόλλυμι (apollymi) – „verlieren“: Heißt: zugrunde gehen lassen, verlieren, zugrunde richten, vernichten. Im Text meint es nicht nur den Tod, sondern das Scheitern an der eigenen Lebensstrategie. Wer sein Leben festhalten will, läuft Gefahr, das Eigentliche zu verlieren.
Mit diesen Schlüsselwörtern ist die Tür geöffnet zur theologischen Tiefenbohrung: Gleich geht’s darum, wie die großen Themen Nachfolge, Selbstverleugnung und „Kreuz tragen“ in die Gesamtbotschaft Jesu passen.
Ein Kommentar zum Text:
Es gibt Bibelstellen, bei denen man nicht umhinkommt, sich selbst zu hinterfragen – Lukas 9,23–27 ist eine davon. Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Keine Einladung zum spirituellen Wohlfühlprogramm, sondern ein Ruf, der verstört, herausfordert, die Sicherheiten des Alltags und der eigenen Frömmigkeit erschüttert. Lukas schreibt für eine Gemeinde, die sich nicht mehr an der Oberfläche des Glaubens bewegt, sondern wissen will, worauf alles hinausläuft.
Um diesen Anspruch zu erfassen, hilft der Blick auf die Struktur des Textes. Die Verse sind konzentrisch angelegt, spiegeln sich um das Thema „sich selbst“ (ἑαυτὸν – heauton) und universalisieren die Einladung – „wer“ (ὃς γὰρ ἂν – hos gar an) ist das Grundwort der Mitte. Der literarische Bau des Abschnitts macht deutlich: Nachfolge beginnt und endet an der Frage nach Identität, Selbstannahme und Zugehörigkeit. Wer das nicht sieht, überliest das zentrale Paradox: Man kann die ganze Welt gewinnen und doch sich selbst verlieren.
Der Hintergrund ist konkret: Jesus spricht in eine Welt, in der das Kreuz (σταυρός – stauros) das tödliche Ende war – öffentlich, entehrend, für Schuldige reserviert. Nachfolge, so verstehe ich das, bedeutet nicht nur die Bereitschaft, äußerlich zu leiden, sondern vor allem die Bereitschaft, sich ehrlich der eigenen Schuld und Bruchstückhaftigkeit zu stellen. „Das Kreuztragen ist kein singuläres Märtyrertum, sondern ein bewusster Lebensstil, der täglich neu entschieden wird“ (Garland & Arnold, Luke). Das heißt: Nachfolge ist kein Ausnahmezustand, sondern Alltag. Jeden Tag eine neue Entscheidung, den eigenen Stolz, die Selbstrechtfertigung und das Bedürfnis, sich vor Gott und Menschen gut dastehen zu lassen, zurückzulassen.
Das griechische Wort für „verleugnen“ – ἀρνησάσθω (arnēsasthō) – meint nicht Selbstverachtung, sondern eine bewusste Distanz zum eigenen Ego. Es ist die Anerkennung, dass ich nicht Zentrum meines Lebens bin. Green erklärt: „Sich selbst verleugnen heißt, die bisherige Identität, Familie und soziale Position zu verlassen und Teil der neuen Gemeinschaft Gottes zu werden“ (Green, The Gospel of Luke). Hier kommt die Frage nach Identität ins Spiel: Was gibt meinem Leben Gewicht – mein Name, mein Ruf, mein Besitz, oder das, was Christus mir zuspricht? Im Sinne von Sola Scriptura (der alleinigen Autorität der Schrift) zeigt sich: Die Aufforderung zur Selbstverleugnung findet sich nicht nur hier, sondern auch in Matthäus 16,24 und Markus 8,34. Überall wird deutlich: Die Nachfolge Jesu verlangt, das eigene Leben Gott anzuvertrauen und auf äußere Sicherheiten zu verzichten (vgl. Philipper 3,7–14).
Das Kreuz ist das Symbol des Bruchs mit dem alten Leben und der neuen Zugehörigkeit zu Christus. France beschreibt es so: „Das Kreuz steht für radikale Selbstaufgabe, nicht für private Schwierigkeiten oder Probleme“ (France, Luke). Das Kreuz, wie Jesus es meint, ist keine Metapher für Alltagsstress. Es meint die Bereitschaft, öffentlich als jemand zu stehen, der Schuld bekennt, der loslässt, was ihn trennt – von Gott, von anderen, auch von sich selbst. Für mich ist dieses Motiv anschlussfähig an den Gedanken der biblischen Soteriologie – also der Lehre vom Heil, von Vergebung, von Erlösung. Es ist ein Ende der Selbstrechtfertigung: Ich muss mich nicht mehr beweisen, nicht vor Gott, nicht vor Menschen. Der Ruf Jesu befreit mich von der Last, perfekt zu erscheinen, und erlaubt, das eigene Kreuz zu tragen, die eigenen Fehler und Begrenzungen mitzunehmen – und trotzdem zu gehen.
Die chiastische Struktur (also der symmetrische Aufbau des Textes) verstärkt diese Dynamik. „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten“ (σῶσαι – sōzai / ἀπολέσει – apolesei). Diese Paradoxie ist ein Gegenprogramm zu allen Sicherungsstrategien. Garland & Arnold formulieren: „Jesus fordert eine Umwertung aller Werte: Wahres Leben gibt es nur im Loslassen, nicht im Festhalten“ (Garland & Arnold, Luke). Das Neue Testament bestätigt diese Logik an vielen Stellen (vgl. Johannes 12,24–25; Römer 6,6–8). Der Mensch gewinnt das wahre Leben nicht, indem er es krampfhaft zu behalten sucht, sondern indem er es für Christus aufgibt. Für mich ist das eine beständige Herausforderung: Der eigene Wert ergibt sich nicht aus Besitz oder Erfolg, sondern aus der Gemeinschaft mit Christus – und in der Hoffnung, dass sein Weg, der durch Leiden zur Herrlichkeit führt, auch mein Weg sein kann (vgl. Offenbarung 14,4.12).
Die Stimmen der gelesenen Autoren betonen die Ernsthaftigkeit dieser Nachfolge. Craddock erklärt: „Lukas allein fügt das Wort ‚täglich‘ hinzu, was die Nachfolge zu einer kontinuierlichen Lebenshaltung macht, nicht zu einer einmaligen heroischen Tat“ (Craddock, Luke). Liefeld & Pao ergänzen: „Christsein heißt nicht einmal zu verzichten, sondern beständig neu Ja zu Christus und seinem Weg zu sagen“ (Liefeld & Pao, Luke). Das fordert mich heraus. Was ist mit den Tagen, an denen ich das Kreuz nicht spüre, sondern nur den Alltag, das Nachgeben, die Müdigkeit? Green bringt es auf den Punkt: „Nachfolge ist kein heroischer Einmalakt, sondern ein täglicher Prozess der bewussten Entscheidung gegen die Selbstsicherung und für Jesus“ (Green, The Gospel of Luke). Das ist für mich mit dem Prozess der Heiligung verknüpft (vgl. Galater 2,20; Hebräer 12,1–3).
Wer ist eingeladen? Die Antwort des Textes ist eindeutig: Alle. Es gibt keinen elitären Jüngerkreis. Das „wer“ (ὃς γὰρ ἂν – hos gar an) ist inklusiv. Nachfolge ist offen, aber nicht billig. Das erklärt auch die Spannung, die alle Autoren betonen. Es gibt keinen Glauben ohne die Bereitschaft, sich öffentlich zu Christus zu bekennen – auch gegen gesellschaftliche oder familiäre Widerstände. „Wer sich jetzt vor Christus schämt oder ihn verleugnet, wird am Ende selbst von ihm abgelehnt. Das letzte Urteil fällt Christus, nicht die Welt“ (Geldenhuys, Commentary on Luke). Liefeld & Pao betonen: „Wer sich jetzt von Jesus distanziert, wird im Gericht keinen Anteil an ihm haben. Die Zugehörigkeit zu Christus hat ewigen Wert – menschlicher Erfolg ist vergänglich“ (Liefeld & Pao, Luke). Das ist keine Drohung, sondern ein Ernst, der mich fragt: Wo stehe ich, wenn es unbequem wird? Wer entscheidet am Ende, was zählt – die Menschen oder Christus?
In meinem Glaube hat diese Perspektive eine konkrete Entsprechung. Das Kreuztragen wird nicht auf religiöse Alltagsfrömmigkeit begrenzt, sondern ist Teil der Nachfolge. Das schließt ein: die Bibel nicht nur zu haben sondern zu lesen, den Sabbat nicht nur als Checkpoint zu durchleben, sondern als Zeichen der Zugehörigkeit, als Ausdruck der Ruhe in Gottes Vergebung und Schöpfung (vgl. Exodus 20,8–11; Hebräer 4,9). Ich denke, wer am Sabbat ruht, anerkennt: Mein Wert ist nicht meine Leistung, sondern Gottes Geschenk. Nachfolge ist auch Hoffnung auf das kommende Reich Gottes, in dem Christus Recht schafft und alle, die bei ihm geblieben sind, Anteil an seiner Herrlichkeit bekommen (vgl. Offenbarung 21,1–7).
Die Begriffe im Urtext sind tief: ψυχή (psychē) meint nicht nur das „Leben“, sondern auch das „Selbst“, die Person, die Existenz als solche. „Wer sein Leben (ψυχή – psychē) retten will, wird es verlieren; wer es verliert um meinetwillen, wird es retten“ – das schließt das ganze Ich ein, nicht nur das biologische Leben. Auch das „retten“ (σῴζω – sōzō) ist mehr als Bewahrung – es meint Heil, Ganzheit, Befreiung, eine neue Qualität des Lebens (vgl. Lukas 19,10; Römer 10,9–13).
Die Autoren schärfen sich gegenseitig. France legt Wert auf die literarische Struktur und das Paradox der Nachfolge. Green und Jeffrey betonen die soziale Dimension: Nachfolge als Eintritt in eine neue Gemeinschaft, als Bruch mit alten Bindungen, als Lebensstil, der immer wieder gegen die Logik von Besitz und Ansehen steht. Garland & Arnold sowie Liefeld & Pao mahnen, das Kreuztragen nicht zu banalisieren: Es ist nicht das, was das Leben schwer macht, sondern das, was Nachfolge kostet – öffentlich, real, nicht versteckt. Craddock erinnert, dass Nachfolge zwar von allen verlangt wird, aber die Bereitschaft zur Selbstverleugnung in jedem Alltag neu errungen werden muss.
Ein letzter Gedanke bleibt für mich offen, weil er nicht glättbar ist. Wie sieht das Kreuztragen heute aus? Ist es die große Entscheidung – oder die vielen kleinen Male, in denen ich mich meiner Schuld stelle, loslasse, mich nicht mehr selbst rechtfertige, sondern mit leeren Händen vor Gott stehe? Kann es sein, dass das Kreuztragen auch heißt, meine Unfertigkeit, meine Fehler, meine Nicht-Genügen zu nehmen – nicht als Schande, sondern als Einladung, genau damit zu Jesus zu gehen? Für mich ist das eine Frage, die nicht gelöst werden kann, sondern nur gelebt.
Worauf läuft Nachfolge am Ende hinaus, wenn alle Sicherheiten, Identitäten, Erfolge und eigenen Rechtfertigungen wegfallen – was bleibt, wenn ich am Kreuz stehe?
Zentrale Punkte der Ausarbeitung
- Nachfolge beginnt mit Ehrlichkeit, nicht mit Heldentum.
- Jesus ruft nicht zu heroischen Einzelleistungen, sondern dazu, das eigene Leben ehrlich anzuschauen und zu sich selbst zu stehen. Das Kreuz auf sich nehmen ist keine Leistung, sondern ein mutiges Ja zum eigenen Bruch.
- Es geht nicht darum, stark oder makellos zu sein – sondern darum, zuzugeben, wo man scheitert und trotzdem nicht davonläuft.
- Das Kreuz ist nicht Symbol, sondern Realität.
- Für die ersten Hörer war das Kreuz ein brutales Hinrichtungswerkzeug – kein Sinnbild für Alltagsprobleme. Nachfolge bedeutet, auch die unbequemen Seiten des eigenen Lebens zu tragen und ehrlich zu Gott zu bringen.
- Der Glaube hat keinen Raum für Verdrängung. Wo ich nicht mehr weglaufe, kann neues Leben entstehen.
- Nachfolge ist ein täglicher, unspektakulärer Prozess.
- Lukas betont das „täglich“: Nicht einmal ein großes Opfer, sondern viele kleine Schritte, immer wieder. Glaube zeigt sich darin, dass ich heute, hier, in meinen Routinen, ehrlich bleibe.
- Es ist ein Weg durch Zweifel, Alltag, Erschöpfung und Wiederaufbruch.
- Du trägst das Kreuz nicht allein.
- Nachfolge ist kein einsames Aushalten. Jesus verspricht, Lasten zu teilen und Nähe zu schenken, gerade da, wo ich schwach bin. Ehrlich werden vor Gott ist kein Risiko, sondern eine Einladung zur Befreiung.
- Gemeinschaft entsteht, wo Menschen ihre Masken ablegen und sich gegenseitig Mut machen.
- Bleiben statt davonlaufen – im Bruch wächst Neues.
- Der Mut, bei sich selbst zu bleiben, statt die Flucht zu ergreifen, ist der Anfang von Veränderung. Nicht das Davonlaufen bringt Freiheit, sondern das Bleiben – selbst im Schmerz.
- Nachfolge heißt: Ich lasse mich finden – auch da, wo ich am liebsten unsichtbar wäre.
Warum ist das wichtig für mich?
- Es erlöst mich vom Zwang, etwas darstellen zu müssen.
- Ich muss nicht alles im Griff haben. Der Weg mit Jesus beginnt da, wo ich mich verletzlich mache und zu meinen Fehlern stehe.
- Es verändert meinen Umgang mit Scheitern.
- Scheitern ist nicht das Ende, sondern oft der Anfang von Tiefe und echter Gemeinschaft – mit Gott und anderen.
- Es bringt Glauben in den Alltag zurück.
- Nachfolge findet nicht nur im Gottesdienst oder im Gebet statt, sondern im Alltag, in meinen Grenzen, mitten im Leben.
- Es gibt Hoffnung, dass Veränderung möglich ist.
- Wenn ich bleibe, wenn ich ehrlich werde, öffnet sich Raum für Heilung, Wachstum, Vergebung und neuen Mut.
Der Mehrwert dieser Erkenntnis
- Du wirst fähig, ehrlich mit dir selbst und Gott umzugehen, ohne dich verstecken zu müssen.
- Du kannst die kleinen Schritte der Nachfolge im Alltag feiern – auch wenn sie unspektakulär sind.
- Du beginnst zu begreifen, dass Nachfolge kein Leistungsprogramm ist, sondern eine Beziehung, in der du getragen bist – auch, wenn du nicht alles kannst.
Kurz gesagt: Lukas 9,23–24 macht Mut, dem eigenen Leben zu begegnen – ehrlich, verletzlich, begleitet. Und genau da beginnt Nachfolge.
