Fettgedrucktes für schnell Leser…
Einleitender Impuls:
Ganz am Anfang steht Dunkelheit – und doch ist Gott da. Die ersten Sätze der Bibel erzählen nicht von perfekten Bedingungen, sondern von Leere, Unsicherheit, Chaos. Vielleicht ist das ehrlicher, als wir denken: Wer von uns kennt sie nicht, diese Momente, in denen alles unübersichtlich, vielleicht sogar hoffnungslos erscheint?
Didymus der Blinde, verstand diese Verse mit einem besonderen Gespür für Dunkelheit – und für das, was Licht wirklich bedeuten kann. Für Didymus ist das Licht, das Gott ins Dasein spricht, mehr als nur physikalische Helligkeit. Er versteht es als Vorgeschmack auf eine tiefere Erleuchtung, die jeder Mensch erleben kann – nicht erst irgendwann am Ende, sondern mitten im Chaos, in jedem Tag, an jedem Ort. Gottes Geist – im Urtext ruach Elohim – schwebt über den Wassern. Das heißt: Da, wo alles ungeordnet ist, bleibt Gott präsent, wach, bereit zu sprechen. Es muss nicht alles sofort gelöst werden, damit Licht möglich ist.
Vielleicht sieht dein Alltag heute ganz unspektakulär aus: nach einer schlechten Nachricht, einem zu vollen Kalender, zu viel Lärm und zu wenig Mut. Vielleicht heißt es gerade jetzt: Du gehst mit einer Frage oder einer Sorge ins Dunkel – und rechnest trotzdem damit, dass Licht da ist, bevor du es sehen kannst. Licht ist kein Eigentum der Sehenden, sondern ein Geschenk an die, die bereit sind, auf Gottes Wort zu vertrauen. Für Didymus, der nie das physische Licht sah, wurde das Wort Gottes selbst zur Quelle von Hoffnung und Orientierung.
Was passiert, wenn du Gott zutraust, dass Licht entstehen kann – nicht irgendwo, sondern auch in deinem eigenen Dunkel?
Ich frage dich das, weil Didymus wusste, wie es ist, auf das zu hoffen, was andere schon aufgegeben haben. Vielleicht ist heute der Moment, wo du einfach das Licht aussprichst, das du brauchst – auch wenn du es noch nicht sehen kannst.
Und vielleicht fragst du dich jetzt: Wer war Didymus eigentlich? Er lebte im 4. Jahrhundert in Alexandria, verlor als Kleinkind sein Augenlicht – und wurde trotzdem einer der einflussreichsten Theologen und Ausleger seiner Zeit. Didymus hat nie ein Morgenrot gesehen, keine Landschaft, kein Gesicht. Aber er hat im Hören und Nachsinnen über die Schrift Licht gefunden, das ihn getragen hat – und das ihn nie zum Opfer, sondern zum Zeugen gemacht hat. Vielleicht liegt darin die eigentliche Kraft: Nicht aus der Dunkelheit herauszuschreien, sondern in ihr zu hören, wie Gott spricht: Es werde Licht.
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Was löst es in dir aus, wenn du liest, dass Gottes Licht mitten im Dunkeln entsteht? Diese Frage lädt dich ein, ehrlich auf eigene Erfahrungen mit Unsicherheit oder Leere zu schauen und wahrzunehmen, ob und wie du Licht erwartest oder vielleicht sogar fürchtest.
- Wo in deinem Alltag könntest du es wagen, einfach nur einen kleinen Lichtmoment zuzulassen – ohne alles verstehen oder sofort lösen zu müssen? Hier geht es um die konkrete Übersetzung des Impulses: Kannst du irgendwo aufhören zu kämpfen und stattdessen vertrauen, dass Licht kommen darf?
- Was würde sich in deinem Leben verändern, wenn Licht kein Verdienst, sondern Geschenk ist? Die Frage regt an, Kontrolle loszulassen und die Möglichkeit wahrzunehmen, dass Gott auch dort wirkt, wo du es nicht erwartest – ein Schritt Richtung Vertrauen.
Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:
Psalm 139,12 – „Selbst die Nacht leuchtet.“ → Gott sieht dich auch dort, wo du selbst keinen Weg mehr erkennst. Du bist nie verlassen, auch nicht in deiner Dunkelheit.
Johannes 1,5 – „Das Licht bleibt nicht aus.“ → Manchmal kommt es leise – aber Gottes Licht findet seinen Weg, egal wie dicht das Dunkel scheint.
2. Korinther 4,6 – „Ein Wort genügt.“ → Gottes Zuspruch kann auch in einer ausweglosen Situation neue Hoffnung entstehen lassen – manchmal genügt ein einziger Lichtstrahl.
Jesaja 42,16 – „Blinde Wege werden hell.“ → Du musst den Weg nicht kennen, um zu gehen – Gott macht auch unbekannte Pfade begehbar.
Nimm dir gerne einmal 20 Minuten ganz für dich, um den gesamten Text auf dich wirken zu lassen – vielleicht entdeckst du dabei einen neuen Anfang, wo du ihn am wenigsten vermutest.
Ausarbeitung zum Impuls
Lass uns einen Moment innehalten, tief durchatmen und gemeinsam mit einem kurzen Gebet in den Text starten.
Lieber Vater, danke, dass wir heute Morgen einfach hier sein dürfen – mit allem, was uns gerade beschäftigt. Ich staune immer wieder, wie Du aus Nichts Neues schaffen kannst – „Es werde Licht!“ – und plötzlich ist da Licht, auch in uns, auch in meinen Fragen, auch in dunklen Momenten. Danke, dass Deine Worte nicht nur damals schöpferisch waren, sondern immer noch Leben bringen. Ich spüre, dass ich selbst oft im „Tohuwabohu“ hänge, und trotzdem bist Du schon da, bereit, neu zu beginnen. Schenk uns heute offene Ohren und ein ehrliches Herz für das, was Du uns zeigen willst. Im Namen Jesu,
Amen.
Okay, steigen wir ein: Was steckt eigentlich wirklich in diesem alten Schöpfungsbericht? Lass uns zusammen entdecken, was uns da heute anspricht.
Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:
In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.
Also, bereit?
Ich spreche hier über die Perikope Genesis 1,1–2,4a – den Schöpfungsbericht, der alles auf den Kopf stellt, was Menschen damals und heute über Anfang, Sinn und Gott zu wissen glauben. Schon das Sehen, das Einlassen auf die Szene, bringt Unruhe. Vor den Worten, vor der Ordnung ist da tohu wa-bohu – „wüst und leer“, ein Zustand, der für das Auge wie Leere und doch voller Möglichkeiten wirkt. Kein Chaoskampf, kein Götterstreit – einfach Leere und dann, auf einmal, ein göttliches Wort: wayyomer Elohim – „Und Gott sprach.“ Sehen bedeutet hier: Der Blick fällt auf eine Welt, die nur durch den Zuspruch Gottes Form bekommt. Das Licht or erscheint, nicht als Produkt einer Sonne, sondern als erster Ausdruck göttlicher Kreativität. Alles folgt einem Rhythmus, einer Abfolge von Tagen, deren Muster sich im Text spiegelt – Formung und Füllung, bis hin zur Ruhe am siebten Tag. Das Sehen in diesem Text heißt: Ordnung entdecken, wo zuvor nur Leere war; Leben erahnen, wo noch nichts ist.
Doch es bleibt nicht beim Schauen. Hören heißt: auf das Wort achten, das alles verändert. Das, was gesagt wird – yehi or („es werde Licht“) – ist nicht bloß Klang, sondern Kraft. Das, was nicht gesagt wird, ist ebenso bedeutsam: Keine Gegenstimmen, kein Widerstand, keine Rückfragen. Gottes Wort steht einfach da und tut, was es ankündigt. Im ganzen Text wiederholt sich die Formel: „Und Gott sprach… und es geschah.“ Hier ist keine Magie, keine Verhandlung, kein Spiel. Die Autoren die ich gelesen habe sind sich einig und betonen, dass das Schöpferwort nicht diskutiert, sondern vollzieht. Zum Beispiel, Sarna hebt hervor: „Gottes Wort hat unmittelbare Wirkung – es gibt keine magische Technik, sondern schöpferische Autorität.“ Wer genau hinhört, spürt aber auch, dass nicht alles geklärt wird. Es wird nicht erklärt, wie das Licht funktioniert, warum es vor Sonne und Sternen existiert, oder wie das Leben wirklich beginnt. Die offenen Fragen werden nicht übertönt, sondern bleiben stehen – wie ein Echo, das weiter klingt, auch wenn der Text schon fortgeschritten ist.
Das Fühlen setzt dort an, wo der Text in uns nachhallt. Die göttliche Souveränität, mit der Gott das Licht ruft und alles seinen Platz gibt, kann Ehrfurcht auslösen, vielleicht auch Distanz. Gleichzeitig öffnet sich ein Raum für Verantwortung: Der Mensch als zelem Elohim, Ebenbild Gottes, ist nicht Randfigur, sondern Partner – aber nie Gott. Die Spannung zwischen Gottes Allmacht und menschlicher Freiheit bleibt bestehen. Das Licht wird zum Symbol für Orientierung und Hoffnung, der Rhythmus der Tage schenkt Verlässlichkeit, und die Ruhe des siebten Tages – schabbat – wird zu einer Einladung, sich selbst neu zu verorten. Für mich als Theologe ist besonders bewegend, dass der Text Raum lässt für das Unausgesprochene: Die Offenheit, das Staunen, das Ringen mit Ordnungen und Grenzen, die Frage nach dem Sinn hinter der Ordnung, das Bedürfnis nach Ruhe. Die Bruchstellen werden nicht weg erklärt, sondern bleiben produktiv offen – der Glaube beginnt dort, wo das Wissen an seine Grenzen stößt. Am Ende steht für mich die Gewissheit: Diese Schöpfungserzählung ist kein abgeschlossenes Lehrstück, sondern ein Ruf, zu hören, zu sehen, zu fühlen – und weiterzufragen.
Mit all diesen Eindrücken lade ich dich ein, in die vollständige Ausarbeitung einzusteigen und der Tiefe dieses uralten, aber unendlich aktuellen Textes weiter auf den Grund zu gehen.
Der Text:
Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).
Genesis 1,3
ELB 2006: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.
SLT: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.
LU17: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
BB: Gott sprach: »Es soll Licht werden!« Und es wurde Licht.
HfA: Da sprach Gott: »Licht soll entstehen!«, und sogleich strahlte Licht auf.
Der Kontext:
In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.
Kurzgesagt… In den ersten Zeilen der Bibel geht’s um nicht weniger als den Anfang von allem, was wir kennen. Du sitzt quasi in der ersten Reihe, wenn Gott aus einem chaotischen Nichts eine geordnete, lebensfreundliche Welt macht – mit Worten, nicht mit Werkzeug. Der Text stammt aus einer Welt, die sich mit Fragen wie „Woher kommen wir?“, „Wer ist verantwortlich?“ und „Was soll das Ganze?“ beschäftigt hat – lange bevor es Wissenschaft oder Philosophie im modernen Sinn gab.
Previously on Genesis: Bisher ist noch nicht viel passiert – eigentlich fast gar nichts, abgesehen von einer göttlichen Einleitung. Es gibt kein „Vorher“ im klassischen Sinne, sondern einfach diesen Anfangspunkt: Gott ist da, alles andere noch nicht. Dann beginnt die berühmte Schöpfungsgeschichte. Im ersten Vers wird alles Große zusammengefasst: Himmel und Erde. Im zweiten Vers spürst du das Tohuwabohu, ein Durcheinander, Wasser, Dunkelheit – die Ur-Suppe des Seins. Und genau hier, im absoluten Nichts, setzt der nächste Moment ein: Gott spricht. Und plötzlich ist da Licht – einfach so.
Was steckt dahinter? Du musst dir vorstellen: Die Leute damals lebten in einer Welt, in der es hunderte Göttergeschichten gab, meist voll mit Kämpfen, Chaos und eifersüchtigen Göttern, die sich gegenseitig bekriegen oder mit Tricks übers Ohr hauen. Genesis erzählt dagegen: Hier ist einer, der redet – und es passiert. Keine kosmische Schlacht, kein göttlicher Showdown, sondern eine stille, souveräne Schöpferkraft. Der Text richtet sich an Menschen, die sich immer wieder gefragt haben, ob das Leben nicht doch irgendwie dem Zufall oder dunklen Mächten ausgeliefert ist. Die Message: Alles, was ist, steht unter Gottes Wort. Nichts ist einfach so, nichts ist Zufall. Das ist ein Gegenentwurf zu den mythischen Weltbildern der Nachbarn ringsum und spricht in eine Zeit, in der Israel oft zwischen den Stühlen saß – irgendwo zwischen Überlebenskampf, Auswanderung, Fremdherrschaft und der Sehnsucht nach Orientierung.
Das große Thema: Wer gestaltet die Welt? Wer gibt ihr Sinn? Genesis setzt einen klaren Startpunkt und zeigt: Es ist nicht ein anonymer Urknall, kein mythisches Monster, sondern ein Gott, der in Beziehung tritt – erst zu seiner Schöpfung, später auch zu Menschen.
Bevor wir jetzt tiefer einsteigen, schauen wir uns als Nächstes die Schlüsselwörter an, die im Text auffallen und alles zusammenhalten.
Die Schlüsselwörter:
In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.
Genesis 1,3 – Ursprünglicher Text (Biblia Hebraica Stuttgartensia):
וַיֹּ֥אמֶר אֱלֹהִ֖ים יְהִ֣י א֑וֹר וַֽיְהִי־אֽוֹר׃
Übersetzung Genesis 1,3 (Elberfelder 2006):
Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.
Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter
- וַיֹּ֥אמֶר (wayyōʾmer) – „und … sprach“: Hebräisches Verb (Qal, Wayyiqtōl), das einen neuen Handlungsabschnitt einleitet. Im Schöpfungsbericht ist „sagen“ kein bloßes Reden, sondern performativ: Was Gott spricht, wird real. Das Wort wird zur Tat. Grammatisch trägt das „Waw consecutivum“ zur fortlaufenden, erzählenden Dynamik bei – es geht weiter, nicht zurück.
- אֱלֹהִים (ʾĕlōhîm) – „Gott“: Maskulines Substantiv, Pluralform mit Singularbedeutung. Im Kontext der hebräischen Bibel steht es meist für den Gott Israels, den einen Schöpfer. Die Pluralform deutet nicht auf Polytheismus, sondern auf Majestät und Fülle, wie ein „Pluralis Majestatis“. Im Schöpfungskontext ist es der Allmächtige, der keine Rivalen kennt und dem alles untersteht.
- יְהִי (yəhi) – „es werde“: Verb (Qal, Jussiv). Der Jussiv drückt einen Wunsch, eine Anordnung oder einen schöpferischen Befehl aus. Hier ist das „Es werde“ ein schöpferisches Wort: Gott ruft ins Dasein, was vorher nicht war. Die Form ist kurz, fast minimalistisch, und zeigt eine souveräne Schöpfermacht, die keiner Mittel bedarf – nur eines Wortes.
- אוֹר (ʾôr) – „Licht“: Substantiv, unbestimmt. Im Alten Orient oft Symbol für Ordnung, Leben, Klarheit und Anfang. Im biblischen Kontext entsteht das Licht nicht als Gegenüber zur Finsternis, sondern als erstes sichtbares Zeichen der göttlichen Ordnung und Trennung. Licht ist die Voraussetzung für weiteres Leben und Erkenntnis – alles beginnt mit dem Licht.
- וַֽיְהִי־אֽוֹר (wayəhî-ʾôr) – „und es wurde Licht“: Hier zeigt sich die Macht des göttlichen Wortes: Es genügt, dass Gott spricht, und schon ist das Gesprochene Realität. „Und es wurde Licht“ beschreibt keine Entwicklung, sondern eine plötzliche, schöpferische Vollzugshandlung – ohne Prozess, ohne Widerstand, einfach „da“.
Der nächste Abschnitt widmet sich dem theologischen Kommentar: Wie diese Worte gelesen wurden, was sie für das Gottesbild bedeuten und wie sie Menschen damals und heute zum Nachdenken über Licht, Ordnung und die Macht des Wortes anregen.
Ein Kommentar zum Text:
Lies 1. Mose 1,1-2,4a. Spürst du die Anspannung am Anfang von allem? Noch bevor irgendetwas geordnet oder verständlich ist, steht da: „Die Erde war wüst und leer“ – im Urtext: tohu wa-bohu (תֹּהוּ וָבֹהוּ – tohu wa-vohu). Dieser Begriff, selten im Alten Testament, bezeichnet einen Zustand der Unbewohnbarkeit, ein Chaos ohne Ziel, eine Erde ohne Gestalt und Leben. Die altorientalische Welt kannte solche Vorstellungen – sie sprach von chaotischen Urwassern und göttlichen Kämpfen gegen Unordnung. Genesis widerspricht. Der Schöpfungsbericht kennt kein kosmisches Kräftemessen. Stattdessen setzt das hebräische wayyomer (וַיֹּאמֶר – wayyomer), „und [er] sprach“, einen dramatischen Schnitt.
Gottes schöpferisches Wort ist kein magisches Ritual, sondern schöpferische Tat – das Wort erschafft, was es benennt. Wie Arnold es sagt: „Sein Reden ist Handlung – Gottes Rhetorik ist eine schöpferische Kraft.“ (Arnold, Genesis). Anders als in den Mythen Mesopotamiens oder Ägyptens wird hier kein Chaos besiegt, sondern durch das Wort Gottes selbst entsteht die Ordnung. Das Schöpferwort steht am Anfang jeder Schöpfungsetappe – yehi or (יְהִי אוֹר – yehi or), „es werde Licht“. Diese Form ist ein Jussiv – ein Befehlsmodus, der keinen Widerstand kennt, sondern unmittelbare Verwirklichung fordert. Das, was Gott spricht, wird wirklich – kein Prozess, kein Kampf, keine Entwicklung, sondern Vollzug. Sarna betont: „Gottes Wort hat unmittelbare Wirkung – es gibt keine magische Technik, sondern schöpferische Autorität.“ (Sarna, Genesis). Das bedeutet: Nichts ist dem Zufall oder einer übermächtigen Natur überlassen. Alles, was ist, hat seinen Ursprung in Gottes souveränem Willen.
Dabei ist der Begriff „im Anfang“ – berē’šît (בְּרֵאשִׁית – bereschit) grammatisch schillernd. Die klassische, wörtliche Lesart versteht ihn als absoluten Anfangspunkt – „am Anfang“; alternative Deutungen lesen ihn temporaler: „Als Gott begann, Himmel und Erde zu schaffen…“. Hamilton erklärt die Debatte so: Die syntaktische Offenheit lässt Raum für verschiedene Leseweisen, doch der Kontext des biblischen Zeugnisses spricht dafür, dass alles einen absoluten Ursprung in Gott hat – es gibt keine ewige Materie neben Gott. Für mich ist das wichtig: Die Bibel positioniert sich damit gegen jede Vorstellung, dass Gott nur „Gestalter“ bereits vorhandener Materie ist – er ist Schöpfer von allem, was ist.
Das Licht – or (אוֹר – or) – steht im Schöpfungsbericht an erster Stelle, noch vor Sonne, Mond und Sternen. Das ist nicht selbstverständlich. In vielen Kulturen galten Himmelskörper als göttliche Wesen. Genesis entthront diese Ideen: Licht existiert nicht als Gottheit, sondern als erste Gabe Gottes, als Möglichkeit für Leben, Erkenntnis und Ordnung. Hamilton fasst das so: „Licht wird geschaffen, bevor die Lichter entstehen – damit unterstreicht der Text: Alles Licht ist auf Gott zurückzuführen, nicht auf Sonne, Mond oder Sterne.“ (Hamilton, Genesis, Chapters 1–17). Damit wird eine theologische Grenze gezogen: Gott allein ist Ursprung und Ziel des Lichts – nichts und niemand sonst. Sarna sieht im Licht zudem ein Symbol für göttliche Erkenntnis, Klarheit und Leben. Für den Leser bedeutet das: Der Glaube an einen Schöpfergott ist auch ein Bekenntnis gegen jede Form von Götzendienst – gegen die Vergöttlichung von Natur, Gestirnen, Macht oder Dunkelheit.
Der literarische Aufbau der Schöpfungserzählung folgt einem chiastischen, konzentrischen Muster. Die ersten drei Tage werden durch Formung und Trennung (Licht/Finsternis, Wasser/Himmel, Land/Meer) geprägt; die nächsten drei durch Füllung (Lichter, Wasser- und Luftbewohner, Landtiere und schließlich der Mensch). Dieses Muster ist nicht willkürlich: Es zeigt, dass Gott erst Raum schafft und ihn dann sinnvoll füllt. Die Wiederholung von „und Gott sprach…“ macht die schöpferische Kraft des göttlichen Wortes sichtbar – und erinnert daran, dass alles im Leben Gottes Zuspruch und Gestaltung braucht (vgl. Psalm 33,6.9). Waltke & Fredrick betonen: „Die Ordnung der Schöpfungstage, die wiederkehrenden Formeln – das ist Ausdruck von Gottes rhythmischer Schöpferkraft.“ (Waltke & Fredrick, Genesis Commentary). Ordnung im biblischen Sinne ist daher kein starrer Zwang, sondern Geschenk, Möglichkeit für Beziehung und Gemeinschaft.
Der Mensch erscheint als Höhepunkt der Schöpfung – als zelem Elohim (צֶלֶם אֱלֹהִים – zelem Elohim), „Ebenbild Gottes“. Hier spitzt sich die Frage zu: Was bedeutet „Ebenbild“? In vielen Kulturen war es ein Privileg der Könige, „Abbild“ der Götter zu sein. Genesis öffnet diesen Status: Jeder Mensch trägt Würde, Verantwortung und einen Auftrag zur Bewahrung der Welt. Arnold betont: „Imago Dei ist nicht königliche Exklusivität, sondern Auftrag für alle Menschen: herrschen, gestalten, verantworten.“ (Arnold, Genesis). Waltke & Fredrick nennen das „revolutionär“ – alle Menschen sind Gottes Repräsentanten, nicht nur Eliten. Für mich ist das ein Kernstück biblischer Anthropologie: Jeder Mensch ist geschaffen zur Gemeinschaft, zur Verantwortung, zur Freiheit – und bleibt dennoch Geschöpf, nicht Gott. Die Funktion der Ebenbildlichkeit ist damit nicht nur ontologisch (Wesensgleichheit), sondern auch funktional (Auftrag, Verantwortung) und relational (Gemeinschaft mit Gott und Menschen).
Im Text begegnet uns eine klare Trennung von „Chaos“ und „Ordnung“. Mathews schreibt: „Das Fehlen mythischer Elemente und die schlichte Majestät der Sprache sind der bewusst gesetzte Gegenpol zu den Erzählungen Babyloniens und Ägyptens.“ (Mathews, Genesis 1–11). Damit wird das biblische Schöpfungsmodell deutlich: Es geht nicht um einen „Sieg über das Chaos“, sondern um einen geordneten, guten Anfang. Die Grenzen, die Gott setzt – zwischen Tag und Nacht, Wasser und Land, Pflanzen und Tieren – sind nicht beliebig. Hamilton formuliert: „Die schöpferische Aktivität Gottes ist vor allem ein Akt der Unterscheidung und Ordnung – Licht und Finsternis, Wasser und Land, Tag und Nacht.“ (Hamilton, Genesis, Chapters 1–17). Es bleibt aber die Spannung, wie diese Ordnung im Lauf der biblischen Geschichte immer wieder gestört wird. Der Mensch steht in einer gefährdeten, aber von Gott bewahrten Welt.
Ein Höhepunkt des Schöpfungsberichts ist der siebte Tag – der schabbat (שַׁבָּת – schabbat), die Ruhe Gottes. Für mich ist das Herzstück nicht nur der Schöpfung, sondern der ganzen biblischen Zeitstruktur. Waltke & Fredrick formulieren: „Am Ende der Schöpfung steht nicht Produktivität, sondern geheiligte Zeit.“ (Waltke & Fredrick, Genesis Commentary). Der Sabbat ist keine menschliche Erfindung, sondern Geschenk, Ziel und Erinnerung an die göttliche Vollendung. In der adventistischen Theologie ist der Sabbat Zeichen der Schöpfung, der Erlösung und der Hoffnung – ein Hinweis darauf, dass das letzte Wort in der Geschichte nicht Arbeit, sondern Ruhe, Gemeinschaft und Gottes Gegenwart ist (vgl. 2. Mose 20,8–11; Hebräer 4,9–11). Sarna sagt: „Der siebte Tag steht im Mittelpunkt – als Symbol für Ruhe, Vollendung und göttliche Gegenwart.“ (Sarna, Genesis). Für Leser, die Leistung, Produktivität oder Kontrolle als höchste Werte sehen, ist das eine Zumutung – und eine Einladung, sich selbst neu zu verorten: Der Mensch lebt nicht, um zu arbeiten, sondern arbeitet, um in die Ruhe Gottes einzutreten.
Die Frage nach dem Licht bleibt offen – ist es nur physisch, oder auch geistlich gemeint? Didymus der Blinde sagt: „Das Licht am Anfang ist Bild und Vorläufer des wahren Lichtes, das in Christus in die Welt kommt.“ (Didymus the Blind, Commentary on Genesis). Diese christologische Auslegung nimmt die Verbindung zu Johannes 1,4–5 („In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen…“) auf, interpretiert das erste Licht als Vorahnung der Inkarnation Jesu. Doch der Urtext bleibt zurückhaltend. Sarna und Mathews bleiben näher am Text: Licht ist Voraussetzung für Leben, Erkenntnis, Ordnung, nicht von vornherein ein Hinweis auf Christus. Für mich bleibt: Die Offenheit des Textes ist keine Schwäche, sondern ein Ort für geistliche Tiefe und Suchbewegung. Die biblische Geschichte beginnt mit Licht, aber nicht mit allen Antworten.
Biblische Querverweise und die adventistische Linie führen tiefer: Psalm 33,6 („Durch das Wort des HERRN sind die Himmel gemacht…“), Psalm 104,30 („Du sendest aus deinen Geist, sie werden geschaffen…“), Jesaja 45,7 („Ich forme das Licht und erschaffe die Finsternis…“), Johannes 1,1–5 („Im Anfang war das Wort…“), Kolosser 1,16–17 („Denn in ihm ist alles erschaffen…“). Sie zeigen: Die Bibel legt Wert darauf, dass Schöpfung durch Gottes Wort und Willen geschieht, nicht durch Naturgesetze oder Zufall. In meiner adventistischen Theologie wird diese Linie aufgenommen: Der Sabbat verweist nicht nur auf vergangene Schöpfung, sondern auch auf zukünftige Vollendung. Der Schöpfungsglaube bleibt damit Hoffnungsglaube.
Die Spannung zwischen Gottes Transzendenz und Immanenz bleibt spürbar. Gott ist nie Teil der Welt, aber nie fern. Die Ebenbildlichkeit des Menschen eröffnet Beziehung, die Sabbatruhe schafft Gemeinschaft. Aber die Bibel lässt offen, wie diese Nähe Gottes erfahren werden kann, wenn die Welt sich wieder ins Chaos zu wenden scheint.
Ich ringe mit dieser Offenheit. Wie viel Deutung erlaubt der Text? Wann hört das Fragen auf und fängt der Glaube an? Genesis 1 lädt ein, zu staunen, zu ringen, Verantwortung zu übernehmen – und offen zu bleiben für das Licht, das Gott spricht.
Was bedeutet es, dass alles mit einem Wort beginnt – und wie lernen wir heute, wieder auf dieses Wort zu hören, gerade wenn unser Leben „wüst und leer“ erscheint?
Zentrale Punkte der Ausarbeitung
- Schöpfung beginnt nicht im Licht, sondern im Dunkeln.
- Die ersten Zeilen von Genesis zeigen: Es ist nicht alles klar, geordnet oder schön – am Anfang steht tohu wa-bohu, Leere und Chaos. Gott wartet nicht, bis alles perfekt ist, sondern beginnt mitten im Unfertigen, mitten in der Dunkelheit.
- Das ist keine Schwäche des Textes, sondern eine Einladung: Gottes Gegenwart ist auch im Unsicheren, Unfertigen, Unklaren – und genau dort spricht er.
- Gottes Wort ist schöpferische Kraft, nicht religiöse Theorie.
- Im Schöpfungsbericht wird nicht diskutiert oder verhandelt. Ein einziges „Es werde Licht“ genügt, und es geschieht. Das hebräische yehi or ist ein performatives Wort, das keine Voraussetzungen braucht.
- Das bedeutet: Glaube beginnt nicht damit, dass ich alles verstehe – sondern damit, dass ich mich diesem Zuspruch stelle.
- Licht ist nicht Leistung, sondern Geschenk.
- Didymus der Blinde entdeckt in den ersten Versen mehr als Helligkeit: Das Licht, das Gott schafft, ist ein Vorgeschmack auf Hoffnung, Orientierung und Zukunft – auch (und gerade) für die, die selbst kein Licht sehen können.
- Licht ist Gottes Gabe, nicht menschlicher Verdienst. Es kann erscheinen, wo ich am wenigsten damit rechne.
- Jeder Mensch kann Licht erfahren – mitten im eigenen Dunkel.
- Die Geschichte von Didymus ist kein Heldenszenario, sondern eine Ermutigung: Auch wer im Dunkel lebt, ist eingeladen zu vertrauen, dass Gottes Wort Licht macht – nicht irgendwann, sondern heute.
- Es gibt keinen exklusiven Zugang zum Licht – es wird dort gesprochen, wo Menschen offen sind, Gott zu hören, selbst wenn alles dagegen spricht.
- Offenheit und Staunen bleiben zentral.
- Der Text erklärt nicht, wie das Licht funktioniert – er bleibt offen für Zweifel, Fragen und das Staunen. Glaube heißt nicht, alles zu kontrollieren, sondern Raum zu geben für das, was Gott noch tun kann.
Warum ist das wichtig für mich?
- Weil es meinen Blick auf Anfang und Scheitern verändert: Ich muss nicht warten, bis alles hell ist – Gottes Weg beginnt auch im Chaos.
- Weil es mich entlastet: Ich muss Licht nicht machen – ich kann es empfangen, auch wenn ich es (noch) nicht sehe.
- Weil es Hoffnung macht: Meine Dunkelheit ist kein Hindernis für Gottes Wirken. Es reicht ein Wort, und neues Licht ist möglich.
- Weil es mein Vertrauen stärkt: Wenn Gottes Geist auch über dem Chaos schwebt, dann kann ich glauben, dass auch meine Geschichte offen bleibt für Licht.
- Weil es mein Handeln verändert: Ich kann aufhören, alles erklären oder lösen zu müssen – und anfangen, in meinem Alltag das Licht zu erwarten, das Gott geben will.
Der Mehrwert dieser Erkenntnis
- Du musst nicht im Licht stehen, um Licht zu empfangen. Gottes Schöpfung beginnt im Chaos, seine Nähe gilt auch dir im Unklaren.
- Du darfst hoffen, ohne Beweis – und glauben, dass Licht möglich ist, weil Gott spricht.
- Der Weg aus dem Dunkel beginnt nicht mit eigener Kraft, sondern mit einem Wort, das dich überrascht.
Diese Reise durch Genesis 1,1–3 öffnet einen neuen Blick auf das Leben:
Nicht alles muss gelöst, erklärt, geordnet sein – manchmal reicht es, offen zu bleiben für das Licht, das Gott spricht.