Fettgedrucktes für schnell Leser…
Einleitender Impuls:
Was, wenn Hoffnung nicht alles leichter, aber alles heller macht? Manchmal reicht ein einziger ehrlicher Satz, um mitten im Seufzen die Welt neu zu sehen. Heute wartet eine Verheißung, die sogar das Leiden nicht kleinredet.
Stell dir vor, du wärst in Europa im 19. Jahrhundert – zwischen Hunger, Verfolgung, Enge. Du hörst Gerüchte von einem Land, das Hoffnung verspricht. Tausende packen ihre wenigen Habseligkeiten, lassen Heimat und Sicherheit zurück. Nicht, weil sie Abenteurer sind, sondern weil sie irgendwo ein Stück Freiheit, Glauben, Leben suchen, das sie nicht mehr finden konnten. Die Geschichten von damals sind voller Staub, Abschied, oft auch Enttäuschung und viel Leid. Und doch: Sie sind unterwegs, weil sie überzeugt sind, dass irgendwo eine Herrlichkeit wartet, die alles Leid in ein anderes Licht rückt.
Was mich an diesem Vers so packt: Die Bibel nimmt das Leiden ernst, bleibt aber nicht dort stehen. Hoffnung wird kein Pflaster auf offene Wunden, sondern ein Leuchten, das durch den Nebel scheint. Gott verspricht keine leichte Reise, aber eine Zukunft, die das Jetzt nicht mehr kleinmacht. Manchmal ist das einzige Gebet, das bleibt, ein ehrliches Seufzen – und genau dafür ist Platz, auch bei Gott. Und ja, Hoffnung bedeutet manchmal ganz praktisch: trotzdem wieder aufzustehen. Oder jemandem zuzuhören, der gerade nicht mehr weiterweiß. Vielleicht ist Hoffnung auch, anderen Mut zu machen, wenn dir selber wenig bleibt.
Was heißt das für dich heute? Vielleicht stehst du selbst an einem Punkt, wo alles alt und eng geworden ist, wo du dich nach mehr sehnst, aber der Weg ungewiss bleibt. Vielleicht fühlt sich dein Leben manchmal genauso an wie diese staubigen Wagenzüge: Viel Risiko, wenig Sicherheiten, und trotzdem weiter. Dann gilt dieser Vers dir: Dein Seufzen ist nicht vergeblich. Gott hält das Ziel im Blick, auch wenn du es heute nicht siehst.
Wo spürst du diesen Aufbruch in dir – das Ziehen nach Hoffnung, auch wenn du nicht weißt, was kommt?
Ich frage das, weil echter Glaube immer eine Bewegung ist, nie ein Stillstand. Das Risiko: Du musst loslassen. Die Verheißung: Du kannst unterwegs erleben, dass Gott dich Schritt für Schritt begleitet.
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Wo in deinem Alltag spürst du am meisten, dass Hoffen sich anfühlt wie ein Aushalten? (Die Frage will dich einladen, ehrlich hinzusehen, wo du am meisten Geduld brauchst – und ob das vielleicht mehr mit Hoffnung zu tun hat, als es auf den ersten Blick scheint.)
- Wie kannst du heute jemandem zeigen, dass sein Seufzen, seine Schwäche oder sein Zweifel Platz hat? (Hier geht’s um die Brücke in den Alltag: Wie bringst du Hoffnung ins Spiel, nicht durch große Reden, sondern durch ehrliche, praktische Nähe?)
- Was würde sich für dich verändern, wenn Hoffnung keine Vertröstung ist, sondern genau da wächst, wo du nicht weiterweißt? (Diese Frage lädt dich ein, die geistliche Richtung zu wechseln: Hoffnung nicht als Ziel, sondern als Weg mitten durch die Ohnmacht.)
Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:
Psalm 34,19 – „Gott ist nahe, auch wenn’s weh tut.“ → Gott verspricht, bei den Zerbrochenen zu bleiben – manchmal ist das der Anfang neuer Hoffnung.
2. Korinther 4,17 – „Das Schwerste ist nicht das Letzte.“ → Dein Leid ist nicht das Ende der Geschichte – Gott hat die Zukunft im Blick.
Matthäus 11,28 – „Komm wie du bist.“ → Jesus lädt dich mit deiner Müdigkeit und deiner Sehnsucht ein – nicht erst, wenn du wieder stark bist.
Offenbarung 21,4 – „Kein Seufzen bleibt umsonst.“ → Am Ende wird Gott alles Leid abwischen – aber heute darfst du schon ehrlich seufzen.
Nimm dir einfach mal 20 Minuten, um die ganze Betrachtung in Ruhe zu lesen – vielleicht wartet darin genau der Gedanke, der heute einen Unterschied macht.
Ausarbeitung zum Impuls
Hey, lass uns erstmal ankommen und bewusst einen Moment nehmen. Wenn du magst, leg das was dich gerade beschäftigt kurz weg, atme tief durch – und bete mit mir.
Lieber Vater, heute danke ich dir für diesen Tag und für dein Wort, das uns Hoffnung schenkt – gerade dann, wenn unser Leben schwer wird. Du weißt, wie oft uns Leid, Zweifel oder Frust packen. Aber du sagst, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegen die Herrlichkeit, die du für uns bereithältst. Hilf uns, nicht bei unseren Sorgen stehenzubleiben, sondern in allem auf dich zu hoffen – auch wenn das manchmal ein ziemlicher Balanceakt ist. Danke, dass deine Zukunft größer ist als unser Jetzt und dass du mitten im Chaos einen Weg siehst, den wir noch nicht erkennen. Öffne unsere Herzen, dass wir heute neu staunen dürfen über das, was du vorhast – und gib uns Mut, die Spannung zwischen Schmerz und Hoffnung auszuhalten.
Im Namen Jesu,
Amen.
Okay, lass uns jetzt gemeinsam in den Text einsteigen und Schritt für Schritt tiefer graben.
Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:
In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.
Also, bereit?
Ich spreche hier über Römer 8,18–30 – einen Text, der für mich selten so lebendig war wie in letzter Zeit. Vielleicht, weil ich ihn nicht nur mit Bibelworten im Ohr, sondern auch mit Bildern einer Doku über die ersten Siedler im Westen Amerikas gelesen habe. Manchmal brauchen biblische Worte einen anderen Resonanzboden, damit sie wirklich klingen. In der Doku ziehen Menschen aus Europa in eine raue, fremde Welt – nicht weil sie Helden sind, sondern weil sie hoffen. Was sie dabei zurücklassen, ist oft schon Leid genug. Doch was sie erwartet, ist selten das, was sie sich erträumt haben. Diese Spannung, diese Hoffnung, die immer wieder am Leben nagt, hat plötzlich das, was Paulus schreibt, in mir zum Klingen gebracht.
Sehen: Ich sehe die ausgemergelten Gesichter der Siedler, ihren Staub, ihre Müdigkeit, und spüre: Das Leben meint es nicht immer gut. Paulus redet das nicht schön. Er sagt: Die Leiden der jetzigen Zeit – παθήματα (pathēmata) – sind echt. Kein Glaube schützt davor. Aber er bleibt nicht dabei stehen. Ich sehe den wachen, manchmal rauen Blick der Menschen, die trotzdem weitermachen, weil sie irgendwo auf eine Herrlichkeit hoffen, die sie noch nicht sehen. Paulus stellt Leid und Hoffnung nebeneinander – kein Zauberspruch, sondern eine Zumutung: „Die Leiden der jetzigen Zeit sind nicht zu vergleichen mit der Herrlichkeit, die offenbart werden soll.“ Ich sehe auch mich, wie ich manchmal diesen Zimzalabim-Gott will, der einfach alles gut macht – und begreife, dass genau das der Glaube nicht verspricht.
Hören: Was spricht dieser Text – und was verschweigt er? Ich höre keine schnellen Lösungen. Ich höre ein ehrliches Ringen mit Ohnmacht, mit Fragen, mit dem, was ausbleibt. Das Seufzen der Schöpfung, das Seufzen der Menschen, das Seufzen des Geistes – Worte reichen manchmal nicht. Ich höre die leise Frage: Darf ich ehrlich klagen, ohne den Glauben zu verlieren? Was bleibt unausgesprochen? Vielleicht die Angst, dass die Hoffnung zu groß für meine kleine Kraft ist. Oder das Wissen, dass vieles nicht repariert werden kann – und trotzdem weitergeht. Ich höre auch, dass die Hoffnung bei Paulus kein billiges Vertrösten ist, sondern Widerstand – gegen das Aufgeben, gegen die Dunkelheit.
Fühlen: Was macht das mit mir? Ich fühle, wie sehr ich dieses ehrliche Aushalten brauche – Hoffnung nicht als Flucht, sondern als Kraft, die im Leiden wächst. Mein eigener Alltag ist oft weniger Heldengeschichte, mehr Durststrecke. Und doch – der Glaube, dass auch das Seufzen, das Nicht-Wissen, das Nicht-Können zu Gott gehört, gibt mir Halt. Hoffnung ist keine Antwort, sondern ein Trotzdem. Ich spüre: Ohne Hoffnung wird alles hohl. Aber Hoffnung gibt es nur dort, wo man sie nötig hat. Was spricht mich an? Dass ich schwach sein darf, dass Zweifel Raum haben, dass Gottes Geist das Seufzen hört. Was bleibt unausgesprochen? Wie oft ich auf Wunder hoffe, aber im Kleinen weiterleben muss. Warum bewegt mich das jetzt? Weil ich verstehe, dass Hoffnung kein Ziel, sondern ein Weg ist, den ich immer neu betreten muss – auch mit Angst, auch mit Zweifeln.
Was nehme ich mit? Hoffnung ist nicht das Ende vom Leid, sondern das Licht darin. Glaube ist nicht Sicherheit, sondern ein aufrechtes Aushalten. Vielleicht liegt in jeder Ohnmacht schon ein Anfang von Herrlichkeit – und wenn alles gesagt ist, bleibt manchmal nur das Seufzen, das Gott versteht.
Lass uns jetzt gemeinsam tiefer in die Ausarbeitung steigen – bereit, nicht alles zu erklären, sondern ehrlich zu hören, was der Text sagt und verschweigt.
Der Text:
Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).
Römer 8,18
ELB 2006: Denn ich denke, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.
SLT: Denn ich bin überzeugt, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll.
LU17: Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.
BB: Ich bin überzeugt: Das Leid, das wir gegenwärtig erleben, steht in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit, die uns erwartet. Gott wird sie an uns offenbar machen.
HfA: Ich bin ganz sicher, dass alles, was wir in dieser Welt erleiden, nichts ist verglichen mit der Herrlichkeit, die Gott uns einmal schenken wird.
Der Kontext:
In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.
Kurzgesagt… Der Römerbrief ist so etwas wie ein Lebenszeichen aus der Frühzeit des Christentums: Paulus schreibt an Menschen, die er nicht persönlich kennt, aber die er für seine „Mitstreiter“ in Rom hält. Zwischen antiker Großstadt, religiösem Flickenteppich und politischer Unsicherheit entfaltet sich ein Brief, der Brücken bauen will – und zwar quer durch kulturelle, religiöse und soziale Welten.
Previously on „Römerbrief“… Paulus ist im Aufbruch – geografisch und innerlich. Nach Jahren voller Reisen, Diskussionen und Gemeindegründungen steht er an einer Art Zwischenstopp: In Griechenland, vermutlich in Korinth, nutzt er die Gelegenheit, um an die Gemeinde in Rom zu schreiben. Er hat viel erlebt, viel gestritten, aber auch viel Hoffnung gesammelt. Rom ist für ihn das Tor zum Westen – vielleicht will er von dort sogar nach Spanien weiterziehen. Zunächst aber steht eine Reise nach Jerusalem an, um dort die Solidarität der Gemeinden durch eine Kollekte zu zeigen. Während er auf den passenden Zeitpunkt wartet, greift er zur Feder – und packt in diesen Brief alles, was ihm wichtig ist. Die Empfänger? Ein bunter Haufen: Leute aus jüdischem Hintergrund, Heiden, Alteingesessene, Neuankömmlinge. Keiner kennt alle, aber irgendwie gehören sie zusammen.
Im geistig-religiösen Klima Roms knistert es. Die Gemeinde ist geprägt von jüdischer Tradition, heidnischer Lebensart und römischer Macht. Die einen fragen sich: Was gilt jetzt eigentlich noch? Die anderen: Muss ich alles jüdische Brauchtum übernehmen, nur weil ich an Jesus glaube? Das Evangelium ist in Rom angekommen – aber wie lebt man es aus, wenn der Alltag zwischen Tempel, Kaiser und Alltagstrubel pulsiert? Paulus weiß: Das Christsein ist keine abgeschottete Nische, sondern findet mitten im Spannungsfeld von Glaube, Identität und gesellschaftlichen Erwartungen statt. Streitpunkte gibt’s genug: Gesetz oder Gnade? Israel oder Gemeinde? Leiden oder Hoffnung? Paulus nimmt diese Fragen ernst – und baut mit seinem Brief ein Fundament für alle, die sich irgendwie in dieser neuen Bewegung verorten wollen.
Hinzu kommt ein Gefühl von Dringlichkeit. Paulus ist Realist: Die Lage in Jerusalem ist angespannt, seine Reise riskant. Er bittet sogar darum, für ihn zu beten. Vielleicht spürt er, dass es ein Abschiedsbrief werden könnte – oder zumindest das, was er der Welt unbedingt noch sagen will, falls er Rom nie lebend erreicht. Gerade deshalb wirkt Römer 8 wie der Herzschlag seines Glaubens: Hier bündelt er Trost, Hoffnung und Zuversicht, als würde er sagen: „Egal, was kommt – daran halte ich fest!“
Kurz und knapp: Römer 8 ist geschrieben für Menschen, die zwischen Vergangenheit und Zukunft, Angst und Hoffnung, Chaos und Glauben stehen. Paulus nimmt seine Leser an die Hand – und auch wenn du kein Theologe bist, spürst du: Hier schreibt jemand, der selbst weiß, was es heißt, durch dunkle Täler zu gehen und trotzdem an der Verheißung festzuhalten.
Im nächsten Schritt schauen wir uns die Schlüsselwörter im Text an – und warum sie für das Verständnis dieser Passage mehr sind als nur Beiwerk.
Die Schlüsselwörter:
In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.
Römer 8,18 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):
Λογίζομαι γὰρ ὅτι οὐκ ἄξια τὰ παθήματα τοῦ νῦν καιροῦ πρὸς τὴν μέλλουσαν δόξαν ἀποκαλυφθῆναι εἰς ἡμᾶς.
Übersetzung Römer 8,18 (Elberfelder 2006):
Denn ich denke, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.
Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter
- λογίζομαι (logizomai) – „ich denke / ich bin überzeugt“: Ursprünglich aus der Geschäftswelt: abwägen, berechnen, für wahr halten, in Rechnung stellen. Paulus verwendet das Wort nicht bloß für ein inneres Nachdenken, sondern als „festes Urteil aus Überzeugung“. Es geht um einen Überzeugungsprozess, der mit innerer Gewissheit und Nachdruck ausgesprochen wird – fast wie ein „das steht für mich fest“. Semantisch transportiert das Verb sowohl nüchterne Berechnung als auch existenzielle Überzeugungskraft.
- παθήματα (pathēmata) – „Leiden“: Dieses Wort beschreibt nicht nur physisches Leiden, sondern jede Art von Not, Bedrängnis, seelischem Schmerz, Verfolgung oder innerer Anfechtung. Im griechisch-römischen Kontext meint es sowohl Leiden durch äußere Umstände als auch die erlebte Ohnmacht in schwierigen Zeiten. Im Kontext von Paulus schwingt immer auch die Erfahrung des „Mit-Leidens“ mit Christus mit – das ist kein Leiden um des Leidens willen, sondern Leiden in Verbindung mit einer größeren Geschichte.
- νῦν καιροῦ (nyn kairou) – „jetzige Zeit“: νῦν bezeichnet das „Jetzt“, den gegenwärtigen Moment. καιρός meint im Unterschied zu „chronos“ keinen abstrakten Zeitstrahl, sondern einen bedeutsamen, oft von Gott gesetzten Abschnitt – eine „Zeit mit Gewicht“. Es ist die Zeitspanne, in der wir leben, mit all ihren Möglichkeiten, Herausforderungen und offenen Fragen. Semantisch steckt darin ein Gefühl für die Einzigartigkeit des jeweiligen Moments: nicht beliebig, sondern entscheidend.
- μέλλουσαν δόξαν (mellousan doxan) – „zukünftige Herrlichkeit“: μέλλουσα = das, was kommen soll, was sicher in Aussicht steht; oft mit einem Hauch von „es steht bereits im Plan“ versehen. δόξα ist weit mehr als „Ehre“ oder „Glanz“: Sie meint den Zustand, in dem Gottes Wirklichkeit und Schönheit in und an uns sichtbar wird – nicht nur als individuelle Belohnung, sondern als Teilhabe an Gottes Realität. Das ist der große Gegenentwurf zum jetzigen Zustand – eine Qualität von Sein, die alles bisherige in den Schatten stellt.
- ἀποκαλυφθῆναι (apokalyphthēnai) – „offenbart werden soll“: Dieses Wort kommt von „apokalypto“ = enthüllen, sichtbar machen, den Vorhang wegziehen. Es beschreibt eine plötzliche, aber auch endgültige Enthüllung – etwas, das bis dahin verborgen war und nun vor aller Augen deutlich wird. Es trägt sowohl den Aspekt einer göttlichen Überraschung als auch den einer längst verheißenen, aber noch nicht erlebten Wirklichkeit.
- ἡμᾶς (hēmas) – „uns“: Das betont die kollektive Dimension: Nicht nur der Einzelne, sondern die Gemeinschaft der Glaubenden steht im Fokus – die Gemeinde, die zusammen Teil an der zukünftigen Herrlichkeit bekommt.
Hier zeigt sich: Schon in diesem einen Satz steckt ein ganzes Weltbild – geprägt von klarer Nüchternheit, aber auch von tiefer Hoffnung und Spannung zwischen Jetzt und Noch-nicht. Die Schlüsselbegriffe sind keine Zufallsworte, sondern Teil eines größeren semantischen Gefüges: Sie verbinden Alltagserfahrung, jüdisch-griechische Denktradition und das große Hoffnungsbild des Evangeliums.
Im nächsten Schritt steigen wir in die theologische Auslegung ein – jetzt geht’s ans Eingemachte.
Ein Kommentar zum Text:
Wer sich auf Römer 8,18–30 einlässt, betritt ein Spannungsfeld, das alles andere als bequem ist. Paulus beginnt nicht mit einer tröstenden Einleitung, sondern mit einer Feststellung, die provoziert: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ (Römer 8,18) Das griechische Wort für „Leiden“ ist παθήματα (pathēmata), das für jedes erdenkliche Maß an Schmerz, Krise, Ohnmacht und Verlorenheit stehen kann. Paulus wählt bewusst keine abgeschwächte Form, sondern spricht von dem, was uns als Menschen – und damit auch als Glaubende – in der Tiefe trifft.
Was bedeutet diese Gegenüberstellung von Leiden und Herrlichkeit? Das Wort δόξα (doxa) für „Herrlichkeit“ greift weit über bloßen Glanz hinaus. Es meint das sichtbare, erfahrbare Gewicht von Gottes Gegenwart und Realität – jene Vollendung, auf die das ganze biblische Zeugnis hinstrebt (vgl. Exodus 40,34; Johannes 17,22; 2. Korinther 3,18). Paulus ist hier deutlich: Er spricht nicht von einer inneren Vertröstung, sondern von einer Hoffnung, die eine neue Wirklichkeit einleitet, in der alles Vorherige „nicht ins Gewicht fällt“. Bird schreibt dazu: „Die Gegenüberstellung von Leid und Herrlichkeit ist für Paulus zentral: Er stellt nicht einfach beides nebeneinander, sondern sagt, dass das zukünftige Übergewicht an Herrlichkeit das gegenwärtige Leid weit übersteigt“ (Bird, Romans). Das ist keine spirituelle Vernebelung, sondern ein erfahrungsbasierter theologischer Befund, der sich aus der Biografie des Paulus speist – Paulus, der selbst verfolgt, verachtet und körperlich schwach war (vgl. 2. Korinther 11,23–28).
Doch wie hält man diese Spannung aus? Es hilft, den Kontext von Römer 8 nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Verse davor sprechen von der Annahme als Kinder Gottes und dem Geist, der uns als „Erstlingsgabe“ (ἀπαρχή – aparchē) bereits einen Vorgeschmack auf die kommende Wirklichkeit schenkt. Gorman betont: „Der Geist ist für Paulus das Angeld der kommenden Herrlichkeit – er ist bereits jetzt unter den Gläubigen, aber das Endziel ist noch ausstehend“ (Gorman, Romans). Der Heilige Geist (πνεῦμα – pneuma) ist nicht nur eine Kraft oder Stimmung, sondern die lebendige Verbindung zur kommenden Welt Gottes. Das bedeutet: Wir leben in einer Zwischenzeit, in der Hoffnung und Erfahrung, Zusage und Realität immer wieder kollidieren.
Mein Verständnis dieser Zwischenzeit ist wie ein „schon jetzt ABER noch nicht“. Die Schöpfung ist, wie Paulus in Vers 20 schreibt, der „Nichtigkeit unterworfen“ (ματαιότης – mataiotēs, was auch „Vergänglichkeit“ oder „Sinnlosigkeit“ bedeuten kann). Doch dieses Ausgeliefertsein ist nicht das letzte Wort. Die gesamte Schöpfung – nicht nur der einzelne Mensch – wartet auf Erlösung, stöhnt, seufzt (συστενάζει – systenazei), als würde sie in Geburtswehen liegen. Keener bringt das auf den Punkt: „Das Bild der Geburtswehen ist typisch für apokalyptische Vorstellungen: Das gegenwärtige Leiden ist nicht Endstation, sondern notwendiger Übergang zur Herrlichkeit“ (Keener, Romans). Damit ist keine verträumte Kosmologie gemeint, sondern eine radikale Hoffnung auf die endgültige Wiederherstellung aller Dinge – eine Hoffnung, die sich in meinem adventistischen Glauben zentral wiederfindet (vgl. STA Glaubenspunkte 27: Wiederherstellung der Erde).
Das Warten auf die Erlösung ist also kein passives Erdulden. Paulus spricht von einer Hoffnung, die „auf Hoffnung hin“ (ἐλπίς – elpis) rettet. Das griechische Wort meint nicht ein unbestimmtes Wünschen, sondern eine auf Gottes Zusage gegründete, zielgerichtete Erwartung. Dunn fasst das so: „Die Hoffnung ist begründet, weil sie auf das gründet, was Gott schon getan hat, aber sie bleibt gespannt auf das, was noch aussteht“ (Dunn, Romans 1–8). Hoffnung im biblischen Sinn ist Teilhabe an Gottes zukünftiger Wirklichkeit im Hier und Jetzt, ohne dass der Schmerz der Gegenwart einfach wegerklärt wird.
Zugleich bleibt die Spannung zwischen individueller und kollektiver Hoffnung bestehen. Die adventistische Auslegung betont, dass Erlösung immer auch ein kosmisches Drama ist. Die „Erstlingsgabe des Geistes“ in der Gemeinde verweist auf das Ziel der Schöpfung: Gottes Bild in den Menschen und seine Gerechtigkeit als Fundament der neuen Welt (vgl. Offenbarung 14,4–5; Jesaja 11,1–9). Schreiner hebt hervor: „Nicht nur die Menschen, sondern die gesamte Schöpfung wartet auf Erlösung und Befreiung aus der Sklaverei der Vergänglichkeit“ (Schreiner, Romans). Das bedeutet: Unsere individuelle Hoffnung ist nie privatistisch, sondern Teil eines viel größeren Prozesses, in dem Gott alles, was gebrochen ist, wiederherstellen will.
Wie hält man die Spannung zwischen erlebter Ohnmacht und verheißenem Ziel aus? Hier setzt Paulus auf die Wirklichkeit des Geistes, der „mit unaussprechlichen Seufzern“ (στεναγμοῖς ἀλαλήτοις – stenagmois alalētois) für uns eintritt, wenn wir selbst nicht mehr beten können. Origen betont: „Der Heilige Geist tritt für uns ein, bringt unaussprechliche Seufzer vor Gott und verwandelt das Leid in Hoffnung“ (Origen, Commentary on the Epistle to the Romans). Was bedeutet das? Gott erwartet nicht, dass wir immer starke, wortmächtige Glaubende sind. Gerade in Schwäche und Sprachlosigkeit wird der Geist zum eigentlichen Beter in uns. Für mich ist das eine der stärksten biblischen Aussagen über Gebet und Trost. Hoffnung ist nicht Leistung, sondern ein Geschenk, das auch durch Schwäche hindurchträgt.
Diese Sicht öffnet einen Weg zu echter Ehrlichkeit. Paulus verschweigt die Bruchstellen der Glaubenserfahrung nicht. Bird schreibt: „Ausharren ist kein passives Warten, sondern ein aktives Hoffen – es ist für Paulus eine gelebte Tugend angesichts von Leiden“ (Bird, Romans). Hoffnung ist in diesem Sinn kein Gefühl, sondern ein entschiedener Lebensstil im Licht der Verheißung – und sie ist immer herausgefordert durch die Erfahrung, dass Gottes Zukunft noch nicht sichtbar ist.
In Römer 8,28–30 kommt Paulus auf die Berufung, Rechtfertigung und Verherrlichung zu sprechen (προορίζω – proorizō, „vorherbestimmen“; καλέω – kaleō, „berufen“; δικαιόω – dikaioō, „gerecht machen“; δοξάζω – doxazō, „verherrlichen“). Keener erklärt dazu: „Paulus’ Zusage, dass Gott alles zum Guten führt, ist kein billiger Trost, sondern Ausdruck einer tiefen Souveränität Gottes – auch im Leid und Scheitern“ (Keener, Romans). Mein Glaube hält an einer dynamischen Berufung fest: Gott ruft in die Nachfolge, schafft durch Christus Rechtfertigung (also die Versöhnung und Annahme trotz Schuld), und führt am Ende zur Verherrlichung – das bedeutet die Teilhabe an Gottes ewiger Wirklichkeit. Theologisch bedeutet das für mich: Prädestination (Vorherbestimmung) wird nicht als starrer göttlicher Entscheid verstanden, sondern als Ausdruck von Gottes souveräner Absicht, die jedoch immer die Freiheit und Mitwirkung des Menschen achtet (vgl. STA Glaubenspunkt 10: Erfahrung der Erlösung). Deshalb bleibt in aller Vorherbestimmung immer Raum für Entscheidung und Beziehung. Sprich ich glaube nicht an eine Vorbestimmung.
Gerade an dieser Stelle zeigen sich Bruchstellen und offene Fragen, die Paulus nicht einfach schließt. Wie ist das Verhältnis von menschlicher Freiheit und göttlicher Souveränität? Was bedeutet es, dass „alle Dinge zum Guten mitwirken für die, die Gott lieben“ (συνεργέω – synergeō)? Was, wenn der ersehnte Durchbruch im Leben oder in der Welt ausbleibt? Für mich ist das keine Schwäche, sondern Stärke biblischer Theologie: Sie hält die Spannung aus und zwingt zu ehrlichem Fragen – auch an Gott.
Für mich ist entscheidend, dass die „Herrlichkeit“, die am Ende offenbart wird, mehr ist als ein Trostpreis für Geduldige. Sie ist die Wiederherstellung der Schöpfung, das Ende allen Leidens, die Gemeinschaft mit Gott und das Einlösen aller Verheißungen der Schrift (vgl. Jesaja 65,17; Offenbarung 21,1–5). In dieser Perspektive bleibt jeder Tag in der Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“ ein Ort, an dem Gottes Geist Hoffnung stiftet, tröstet, leitet – auch im Scheitern, im Unvollendeten.
So bleibt Römer 8,18–30 ein Text, der nicht auflöst, sondern zum Aushalten, Hoffen und zum gemeinsamen Seufzen mit der Schöpfung einlädt. Gott nimmt unsere Ohnmacht nicht übel, sondern macht sie durch seinen Geist zur Brücke ins Zukünftige. Vielleicht ist genau diese uneingelöste Hoffnung das Kennzeichen eines Glaubens, der wirklich weiß: Die Herrlichkeit, die kommt, übertrifft alles, was jetzt schwer wiegt.
Was, wenn das Seufzen der Schöpfung – und unser eigenes – nicht nur Klage ist, sondern bereits der erste Ton einer kommenden, noch ungehörten Melodie?
Zentrale Punkte der Ausarbeitung
- Hoffnung ist kein billiger Trost, sondern Widerstandskraft.
- Der Text nimmt Leid ernst und versucht es nicht wegzuerklären. Paulus spricht das Seufzen und die Ohnmacht aus, statt sie zu beschönigen.
- Die Verheißung einer kommenden Herrlichkeit ist nicht Vertröstung, sondern eine Perspektive, die Leiden in einen größeren Zusammenhang stellt – Hoffnung wird zur Kraft, die gerade im Dunkeln trägt.
- Hoffnung ist immer Weg, nicht Endstation.
- Es geht nicht um „alles wird irgendwann gut“, sondern darum, im Aushalten, im ehrlichen Seufzen und Warten lebendig zu bleiben.
- Hoffnung ist im biblischen Sinn das Standhalten im Jetzt – ohne fertige Antworten, aber mit der Einladung, durchzuhalten, zu klagen und trotzdem zu glauben.
- Gott begegnet uns in der Spannung zwischen Jetzt und Noch-nicht.
- Der Text lebt von der Spannung, dass die Verheißung nicht sofort erfüllt ist – Gott verschweigt nicht, wie schwer das Warten ist.
- Im „schon jetzt – aber noch nicht“ darf ich ehrlich bleiben: Ohnmacht, Zweifel und Sehnsucht sind Teil meines Glaubens, kein Defizit.
- Hoffnung ist eine gemeinsame, geteilte Erfahrung.
- Die Sehnsucht, das Warten, das Seufzen – das ist nicht nur privat. Die Schöpfung, die Gemeinde, ich selbst: alle sind Teil dieser Hoffnungsgeschichte.
- Hoffnung ist keine Einzelleistung, sondern wächst da, wo sie geteilt, ausgetauscht und auch mal gemeinsam ausgehalten wird.
- Glaube wird im Alltag konkret.
- Die Kraft dieser Verheißung zeigt sich nicht in heroischer Stärke, sondern im kleinen Trotz, im erneuten Aufstehen, im ehrlichen Teilen von Schwäche.
- Hoffnung ist Alltag – sie taucht auf, wo Menschen trotz allem nicht aufgeben und einander stützen.
Warum ist das wichtig für mich?
- Es verändert, wie ich mit Leid umgehe.
- Ich muss nicht alles sofort lösen oder schönreden. Gott hält mein ehrliches Seufzen aus – und verwandelt es in Hoffnung.
- Es macht Glauben bodenständiger.
- Glaube ist keine Flucht aus dem Schmerz, sondern eine Kraft, im Schweren durchzuhalten und nicht allein zu sein.
- Es verbindet mich mit anderen.
- Die Erfahrung von Hoffnung im Leid ist keine Einzelreise. Ich entdecke: Andere kämpfen, warten und hoffen genauso – wir tragen das gemeinsam.
- Es gibt mir Mut, ehrlich zu bleiben.
- Ich darf Ohnmacht und Sehnsucht zulassen, ohne Angst vor Glaubensverlust. Gerade darin kann Hoffnung Wurzeln schlagen.
Der Mehrwert dieser Erkenntnis
- Ich entdecke, dass Hoffnung nicht von Perfektion lebt, sondern von Ehrlichkeit und Ausdauer.
- Ich finde Trost darin, dass Glaube und Schwäche zusammengehören dürfen.
- Ich erfahre, dass echte Hoffnung dort wächst, wo ich nicht alles im Griff habe – sondern Gott das Letzte Wort behält.
- Ich spüre, dass mein Glaube tragfähig bleibt, auch wenn ich nur seufzen kann – und dass genau darin die Kraft liegt, weiterzugehen.
Kurz gesagt: Die echte Hoffnung, von der Paulus spricht, beginnt nicht, wenn das Leid vorbei ist, sondern genau mitten darin – und macht daraus einen Raum, in dem neues Leben möglich wird.
