Liebe ist keine Strategie. Die Sache ist so… Wir Menschen entwickeln Strategien, um mit dem Leben klarzukommen. Oft merken wir das gar nicht. Wir spüren Ärger, Traurigkeit oder Neid – und handeln, ohne zu wissen, was da eigentlich in uns los ist. Gefühle sind wie Hinweisschilder auf Bedürfnisse. Ärger zeigt vielleicht, dass ich nach Gerechtigkeit oder Respekt suche. Traurigkeit verrät ein Bedürfnis nach Nähe. Freude weist auf erfüllte Sehnsucht nach Verbindung hin.
Das Problem: vielen ist dieser Zusammenhang gar nicht bewusst. Statt unsere Bedürfnisse wahrzunehmen, erzählen unsere Gedanken uns dann irgendwelche Geschichten. „Der andere meint es nicht gut.“ „Ich muss das jetzt durchsetzen.“ „Ich darf keine Schwäche zeigen.“ Und schon reagieren wir – manchmal mit Zorn, manchmal mit Rückzug, manchmal mit Gewalt. Das sind Strategien. Versuche, die innere Spannung zu lösen. Mal helfen sie, oft führen sie aber in Sackgassen.
Die Bibel kennt genau diese Dynamik. Paulus und Johannes beschreiben Gemeinden, in denen Menschen Strategien leben, die Gemeinschaft zerstören, statt sie zu stärken. Und beide zeigen: Liebe ist keine weitere Technik, sondern ein neuer Weg. Liebe hilft, die unfruchtbaren Strategien zu durchschauen – und eröffnet eine Haltung, die trägt.
In Korinth war genau das nötig. Da wimmelte es von Gaben, Predigten, Sprachen, Heilungen – und gleichzeitig von Prahlerei, Konkurrenz, Verletzungen. Hinter der Fassade steckte das Ringen zwischen Selbstausdruck und Zugehörigkeit. Wer glänzte, suchte Anerkennung. Wer kritisierte, suchte Sicherheit. Paulus spricht hinein: „Wenn ich alles hätte und alles könnte, aber keine Liebe hätte, bin ich nichts.“ Er durchschaut die Strategien, die leer laufen. Liebe ist langmütig, gütig, sie sucht nicht nur das Ihre, sie erträgt, glaubt, hofft, hält allem stand (1Kor 13). Das klingt überfordernd. „Alles glauben?“ – naiv? Paulus meint nicht: Sei leichtgläubig. Er meint: Vertraue Gott und trau dem anderen so lange Gutes zu, bis die Wahrheit etwas anderes zeigt. Misstrauen verrät Angst vor Verletzung. Vertrauen drückt Hoffnung auf Verbindung aus. Liebe ist keine Technik zum „alles durchgehen lassen“, sondern die Haltung, die Angst wahrnimmt und trotzdem Beziehung sucht.
Dann Kolossä. Kein Zentrum der Welt, sondern Provinz. Aber auch dort das gleiche Ringen. Paulus malt ein Bild vom Umkleiden: Legt das alte Leben ab – Zorn, Lüge, Härte. Zieht das neue an – Barmherzigkeit, Sanftmut, Geduld. Und über alles: die Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist (Kol 3,14). Zorn, Lüge, Härte – das sind keine Zufälle. Es sind Strategien. Wer zornig wird, schützt oft sein Bedürfnis nach Respekt. Wer lügt, sucht Sicherheit. Wer hart wird, sucht Kontrolle. Paulus sagt nicht: Unterdrückt das. Sondern: Kleidet euch neu. Liebe ist kein „mach einfach besser“, sondern das Obergewand, das alle anderen Haltungen zusammenhält. Sie erkennt die Not unter dem Verhalten – und schafft Raum, dass Heilung beginnt. Auch heute sehe ich das: Gemeinden können Projekte und Programme haben, aber wenn Liebe fehlt, bleibt es ein leeres Gerüst. Ist sie da, hält sie Menschen zusammen, die sich sonst niemals einander zuwenden würden.
Und Johannes? Bei ihm ist die Lage wieder anders. Seine Gemeinden waren nicht zerstritten, sondern verunsichert. Manche suchten Halt in „neuen Lehren“, die exklusives Wissen versprachen. Eine Strategie, Bedürfnisse nach Orientierung und Zugehörigkeit durch Abgrenzung zu erfüllen. Johannes stoppt das: „Gott ist Liebe. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (1Joh 4,16). Nicht: Gott hat Liebe. Sondern: Gott ist Liebe. Das ist sein Wesen. Wer Gott kennt, ohne Liebe zu leben, täuscht sich selbst.
Die alten Handschriften nuancieren es: Spricht Johannes von der Liebe, die Gott „zu uns“ hat, oder von der Liebe, die „in uns“ wirkt? Wahrscheinlich beides. Gottes Liebe kommt von außen – und sie bleibt in uns innen lebendig. Liebe ist Geschenk und Lebensraum. Ein Raum, in dem auch Angst und Zweifel Platz haben. Ein Raum, der nicht durch Strategien aufrechterhalten wird, sondern durch Gottes Gegenwart.
Und jetzt die entscheidende Frage: Wie zeigt sich das praktisch? Manche fürchten, Liebe bedeute: immer Ja sagen, nie Grenzen setzen. Doch die Bibel bindet Liebe an Gottes Gebote. „Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten“ (1Joh 5,3). Die Gebote sind Wegweiser: „Du sollst nicht töten“ – heißt: Schütze das Leben. „Du sollst den Sabbat heiligen“ – heißt: Schaffe Raum für Ruhe, Begegnung, Vertrauen. Liebe ohne Gottes Gebote verliert Richtung. Und manchmal zeigt sich Liebe im Nein. Ein Nein kann ein Ja zu Klarheit, zu Selbstfürsorge, zu Gerechtigkeit sein. Strategien, die nur Ruhe wollen, täuschen oft Frieden vor. Liebe dagegen fragt: Was dient dem Leben?
Paulus fasst es so: Liebe freut sich an der Wahrheit. Sie deckt nicht einfach alles zu. Sie schweigt nicht, wenn Unrecht geschieht. Wahrheit ohne Liebe wird hart, Liebe ohne Wahrheit wird hohl. Liebe hält beides zusammen. Strategien, die das trennen wollen – Härte ohne Herz oder Harmonie ohne Wahrheit – entlarvt sie.
Und dann hebt Paulus den Blick: „Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin“ (1Kor 13,12). Alles andere vergeht – Strategien, Erfolge, Projekte. Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe. Und das Größte ist die Liebe.
Damit sind wir mitten im großen Kampf, den die Bibel beschreibt. Liebe ist kein Randthema, sondern Widerstand gegen Zynismus, Ungerechtigkeit, Selbstsucht. Sie ist das Zeichen, dass Gottes Reich schon jetzt anbricht. Strategien, die nicht aus der Liebe kommen, verlieren ihre Macht, wenn wir sie als das sehen, was sie sind: Versuche ohne Fundament. Liebe aber bleibt, weil sie Gottes Wesen ist.
Und ich selbst? Ich merke, wie oft ich an meine Grenzen komme. Wie schnell ich lieber diskutiere, als meinem Nachbarn mit Geduld zu begegnen. Wie schnell ich in alte Strategien rutsche – Recht haben, verteidigen, durchsetzen. Aber genau da beginnt es: Liebe ist keine Strategie, sondern Gottes Wirklichkeit im Handeln. Gefühle gehören dazu, aber sie folgen. Entscheidend ist die Haltung, die aus Gottes Wesen kommt.
Liebe ist widerstandsfähig, weil sie aushält – ganz praktisch, wenn du geduldig bleibst, obwohl du innerlich am Limit bist. Liebe ist wahrheitsfähig, weil sie prüft – wenn du dich traust, ehrlich zu sein, ohne den anderen fallen zu lassen. Liebe ist gemeinschaftsfähig, weil sie verbindet – wenn du Unterschiede nicht wegdrückst, sondern sie als Teil der Gemeinschaft aushältst. Liebe ist bleibend, weil sie in Gott verwurzelt ist – und darum nicht zerbricht, wenn deine eigenen Kräfte an ihre Grenzen kommen.
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Wo merkst du, dass du im Alltag Strategien benutzt, die dir kurzfristig Ruhe geben – aber langfristig Beziehungen belasten? → Ziel: Dich selbst zu beobachten, ohne zu verurteilen, und deine Muster bewusst zu erkennen.
- Wann hast du zuletzt innegehalten, bevor du reagiert hast – und gespürt, was du wirklich fühlst oder brauchst? → Ziel: Den Text praktisch in dein tägliches Handeln übersetzen und deine Selbstwahrnehmung stärken.
- Was heißt es für dich ganz persönlich, dass „Gott Liebe ist“ – nicht als Gedanke, sondern als Lebensraum, in dem du dich bewegst? → Ziel: Das zentrale geistliche Thema von 1Joh 4 in deine eigene Glaubenserfahrung hineinholen.
Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:
1. Johannes 4,19 – „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“ → Liebe ist Antwort, nicht Leistung – du darfst zuerst empfangen.
Römer 13,10 – „Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes.“ → Gottes Gebote sind nicht Last, sondern konkrete Form, wie Liebe gelebt wird.
Kolosser 3,12–14 – „Über alles zieht die Liebe an.“ → Liebe ist das Obergewand, das deine Haltung im Alltag sichtbar macht.
1. Korinther 16,14 – „Alles bei euch geschehe in Liebe.“ → Dein Handeln, ob groß oder klein, darf von Liebe geprägt sein – jeden Tag.
Die Frage bleibt: Wie unterscheidest du in deinem Alltag die Liebe, die trägt, von Strategien, die nur Ruhe vorspiegeln? Vielleicht nimmst du dir zwanzig Minuten, um dir die 8 Schritte zum Beitrag anzuschauen…
Theologische Ausarbeitung Hier findest du die Ausarbeitung, die auf den 7 Schritten nach Chevalier basieren. Diese habe ich mir im Theologie Studium angeeignet. Ich gehe jeden Bibeltext zuerst methodisch durch – Einführung, Kontext, Textkritik, Übersetzung, historisch-geographischer Rahmen, literarische Struktur und Semantik – und daraus entstehen die Beiträge (wo sinnvoll mit einer ruhigen theologisch-praktischen Einordnung). Ich arbeite mit den Ressourcen, die ich zur Hand habe – vor allem meiner Digitalen-Bibliothek (eine Bibelsoftware mit Kommentaren, Grammatiken und Werkzeugen). Ich verstehe mich nicht als Experte, sondern als Lernender: Ich teile hier, was ich auf dem Weg entdecke – nicht von oben herab, sondern damit du mitprüfen, mitdenken und es in deinem Alltag weiterführen kannst.
