Apostelgeschichte 20,24 Nicht auf Nummer sicher → „Aber mein Leben ist mir nicht wichtig. Vielmehr will ich bis zum Schluss den Auftrag ausführen, den mir Jesus, der Herr, gegeben hat: die rettende Botschaft von Gottes Gnade zu verkünden.“

Fettgedrucktes für schnell Leser…

Einleitender Impuls:

Ich hab diesen Vers lange nicht gespürt. Ehrlich: Wer sagt schon sowas wie „Mein Leben ist mir nicht wichtig“ – und meint es nicht trotzig oder theatralisch, sondern mit Klarheit? Paulus sagt das. Nicht aus Selbstverachtung. Sondern weil er etwas empfangen hat, das größer ist als sein Überleben. Im Griechischen steht da: Elabon (ἔλαβον) – „ich habe empfangen“. Paulus hat seinen Auftrag nicht gebaut, nicht geplant, nicht hergeleitet. Er hat ihn empfangen. Und daraus ergibt sich alles Weitere. Kein Idealismus. Kein Sendungsbewusstsein. Nur Treue. Und ich merke: Ich dagegen bin oft damit beschäftigt, mein Leben zu sichern. Mich abzusichern. Paulus aber war damit beschäftigt, es einzusetzen – nicht, weil er waghalsig war, sondern weil er wusste, wofür es gegeben wurde.

Ich finde das herausfordernd. Denn Paulus sagt ein paar Verse vorher: „Ich weiß nicht, was mir begegnen wird.“ Nur: dass Schwierigkeiten kommen. Und trotzdem geht er. Ich hingegen warte oft, bis ich „bereit“ bin. Er ging – nicht trotz Unsicherheit, sondern mit ihr. Und ja, ich sehne mich nach dieser Art von Klarheit – aber ohne diesen Preis. Und das funktioniert nicht. Vielleicht ist das der Punkt: Berufung beginnt nicht, wenn du dich sicher fühlst – sondern wenn du bereit bist, dich senden zu lassen. Auch mit Angst. Auch ohne Plan B.

Manchmal denke ich: Ich will auch so denken, glauben, leben – aber bitte ohne allzu viele Komplikationen. Umwege. Unsicherheit. Doch dieser Text lässt das nicht zu. Er ist ein Ruf raus aus dem inneren Schutzmodus. Nicht als Appell, sondern als Erinnerung: Dir wurde etwas anvertraut: Gnade. Liebe. Hoffnung. Eine Verheißung, dass es etwas gibt, was höher ist als alles, worum sich deine Realität im Alltag dreht. Vielleicht darfst du das heute ganz leise angehen. Ohne Druck. Ohne Heldenmut. Gnade drängt nicht – aber sie lädt dich ein. Nicht kontrolliert. Aber hingegeben. Vielleicht reicht es heute, dich einfach daran zu erinnern: Dein Leben ist nicht nur geschützt. Es ist gesendet.

Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:

  1. Woran orientierst du gerade deine Entscheidungen – an Sicherheit oder an Sendung? Diese Frage lädt dich ein, ehrlich hinzusehen: Ob du gerade eher absicherst oder lebst, was dir innerlich längst klar ist. Es geht nicht um Schuld, sondern um Wahrnehmung.
  2. Wo in deinem Alltag könnte „sich senden lassen“ ganz konkret heißen: Ich tue einen Schritt, obwohl ich mich noch nicht bereit fühle? Diese Frage bringt das Thema vom Kopf in die Hände – ins Praktische. Sie fragt, wo du mit dem Unvollständigen losgehst, ohne auf Perfektion zu warten.
  3. Was, wenn die größte Form von Mut nicht in der Entscheidung liegt – sondern im Erinnern? Diese Frage weitet den Blick: Vielleicht geht es heute nicht ums Große, sondern um das leise Dranbleiben. Sie öffnet Raum für eine sanfte, aber klare Treue.

Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:

2. Timotheus 4,7 – „Ich habe den Lauf vollendet.“ → Treue ist keine Frage des Tempos, sondern des Dranbleibens – auch wenn niemand zuschaut.

1. Korinther 9,24–25 – „Lauft so, dass ihr den Siegespreis erlangt.“ → Nachfolge ist kein Sprint, sondern ein Zielkurs – du darfst den Blick heben.

Lukas 9,62 – „Wer die Hand an den Pflug legt…“ → Berufung braucht Entscheidung – nicht immer neue Optionen.

Römer 12,1 – „Gebt euch selbst hin…“ → Geistlicher Gottesdienst geschieht dort, wo du dein Leben nicht verteidigst, sondern hingibst.

Wenn dich das berührt hat, nimm dir 20 Minuten für die ganze Betrachtung – still, ehrlich, nur für dich. Vielleicht spricht etwas zu dir, das du schon lange spürst.


Ausarbeitung zum Impuls

Lass uns einen Moment innehalten. Atme durch. Wenn du magst, schließ die Augen. Für einen kurzen Augenblick darf alles andere Pause machen. Ich lade dich ein, mit mir zu beten.

Papa, ich danke dir für diesen Moment. Für dein Wort, das uns begegnet – nicht als Theorie, sondern als Ruf ins Leben. Danke, dass du uns ernst nimmst. Dass du uns nicht in Watte packst, aber auch nicht allein lässt. Ich hab nicht immer Lust auf Weg und Sendung – auf Kurs und Berufung. Aber du bist da. Geduldig. Und manchmal, wie Paulus, spüre ich: Mein Leben ist nicht zum Festhalten da, sondern zum Weitergeben. Danke, dass du mich erinnerst: Es geht nicht um Leistung, sondern um Gnade. Um deinen Lauf, nicht meinen Plan. Um Vertrauen, nicht Kontrolle. Lass uns jetzt offen sein für das, was du sagen willst. Im Namen Jesu, Amen.

Und jetzt lass uns gemeinsam tiefer eintauchen – Schritt für Schritt in diesen bewegenden Text.

Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:

In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.

Also, bereit?

Ich spreche hier über die Perikope Apostelgeschichte 20,24 – und darüber, was sie mit mir gemacht hat. Nicht aus sicherem Stand, sondern als jemand, der oft schwankt. Der glaubt, aber auch innehält. Der manchmal einfach nur da sitzt und sich fragt, ob das reicht. Und vielleicht fragst du dich das auch. Ob du mit dem, was du gibst, was du hältst, was du nicht mehr trägst – noch auf Kurs bist.

Was ich sehe, ist ein Mann, der Abschied nimmt – aber nicht in Bitterkeit. Einer, der nicht weiß, was kommt, aber weiß, wofür er lebt. Paulus sagt: „Ich achte mein Leben nicht der Rede wert…“ Und ich sehe keinen Helden. Ich sehe einen Menschen, der sich gesendet weiß – nicht weil er sich stark fühlt, sondern weil er etwas empfangen hat. Ein Lauf. Ein Auftrag. Eine Gnade, die nicht zum Besitz, sondern zur Bewegung wird. Ich sehe jemanden, der sich nicht absichern will, sondern einsetzen. Der nicht Kontrolle sucht, sondern Klarheit. Und ich spüre: Manchmal braucht es nicht mehr als diesen einen Punkt, an dem du weißt – dafür bin ich da.

Was ich höre, ist kein Dogma. Kein Druck. Ich höre eine Stimme, die aus dem Innersten kommt. Gebunden im Geist – sagt er. Nicht im Konzept, nicht im Plan, sondern im Geist. Und ich frage mich: Wann habe ich das letzte Mal etwas empfangen, das nicht aus mir kam? Etwas, das nicht durch Strategie oder Planung entstand, sondern durch Hören? Ich höre in mir das Echo der Frage: Bin ich bereit, mich senden zu lassen – auch ohne Plan B? Oder warte ich noch, bis es passt? Und ganz ehrlich: Wie oft habe ich Klarheit mit Absicherung verwechselt – und Berufung mit Kontrolle? Ich höre – in den Zwischenräumen – die Stimme, die sagt: Es geht nicht darum, fertig zu sein. Sondern da zu sein. Bereit zu hören. Bereit zu gehen.

Was ich fühle, ist eine Mischung. Ehrfurcht. Sehnsucht. Und, ja, auch Widerstand. Weil ich weiß, wie tief dieser Impuls sitzt, mein Leben zu schützen. Ich bin Vater. Ehemann. Ich kenne das Bedürfnis, alles zu halten. Berufung, Familie, inneres Gleichgewicht. Und doch: Ich habe erlebt, dass genau in den Momenten, in denen ich loslassen musste – weil ich nicht mehr konnte –, Gott mich gehalten hat. Nicht als Leistung. Sondern als Gnade. Und ich spüre: Genau davon spricht dieser Text. Nicht von Selbstaufgabe, sondern von Hingabe. Nicht von Kontrollverlust, sondern von einem anderen Vertrauen. Ein Vertrauen, das nicht sagt: „Alles wird gut.“ Sondern: „Du bist gehalten – auch wenn du nicht weißt, wie.“

Zwischen den Zeilen sagt mir der Text: Du musst dein Leben nicht beweisen. Du darfst es bezeugen. Und er sagt mir nicht: „Gib alles auf.“ Sondern: „Erinnere dich, was du empfangen hast.“ Was er nicht sagt, ist: „Tu mehr, sei mutiger, sei ein Paulus.“ Der Text ist kein Maßstab, an dem ich mich messen muss. Er ist ein Spiegel, in dem ich sehen darf, dass es nicht um Helden geht – sondern um Treue. Auch im Kleinen. Auch im Unfertigen. Und vielleicht liegt genau darin die Kraft: Dass du deinen Auftrag nicht machen musst. Sondern empfangen darfst. Dass du nicht alle Antworten brauchst – nur den Mut, deinen Platz nicht zu verlassen.

Für mich ist das wichtig, weil ich oft zwischen Sehnsucht und Erschöpfung stehe. Weil ich den Ruf kenne – und die Müdigkeit, ihm zu folgen. Weil ich spüre, dass Berufung mich nicht entlastet, sondern tiefer ruft. Und doch: Ich will nicht nur predigen. Ich will mich senden lassen. Nicht perfekt. Nicht heroisch. Sondern echt. Und wenn du in einer Phase bist, in der alles zu viel wird – dann vielleicht gerade da. Weil Gnade nicht auf Leistung wartet. Sondern auf Bereitschaft.

Vielleicht ist das der Punkt: Berufung bedeutet nicht, dass ich stark bin – sondern, dass ich gemeint bin. Und das verändert alles. Nicht auf einen Schlag. Aber Schritt für Schritt. Du musst nicht alle Sicherheiten hinter dir lassen. Aber vielleicht eine. Die, dass du alles selbst tragen musst.

Und wenn du dich fragst, ob das auch für dich gilt – dann lade ich dich ein, mit mir weiterzugehen: in die Ausarbeitung. Dort vertiefen wir den Text, hören genauer hin, schauen, was er mit uns machen will – und was er uns vielleicht schon lange sagen möchte.

Der Text:

Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).

Apostelgeschichte 20,24

ELB 2006: Aber ich achte mein Leben nicht der Rede wert, damit ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe: das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen.

SLT: Aber auf das alles nehme ich keine Rücksicht; mein Leben ist mir auch selbst nicht teuer, wenn es gilt, meinen Lauf mit Freuden zu vollenden und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, nämlich das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen.

LU17: Aber ich achte mein Leben nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollende und das Amt ausrichte, das ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes.

BB: Doch was liegt schon an meinem Leben! Es kommt nur darauf an, dass ich mein Ziel erreiche. Ich habe den Auftrag zu erfüllen, den Jesus, der Herr, mir gegeben hat: Zeuge zu sein für die Gute Nachricht, dass Gott uns seine Gnade schenkt!

HfA: Aber mein Leben ist mir nicht wichtig. Vielmehr will ich bis zum Schluss den Auftrag ausführen, den mir Jesus, der Herr, gegeben hat: die rettende Botschaft von Gottes Gnade zu verkünden.

Der Kontext:

In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.

Kurzgesagt… Paulus ist unterwegs nach Jerusalem – mit einem vollen Herzen, einem festen Ziel und dem klaren Gefühl: Das hier wird mein letzter Besuch sein. In Milet bringt er die Ältesten der Gemeinde in Ephesus noch einmal zusammen, um ihnen zu sagen, was ihn bewegt – nicht nur als Lehrer, sondern als Mensch, Bruder, Zeuge.

Previously on Apostelgeschichte… Die letzten Kapitel waren so eine Art Roadmovie: Paulus auf Missionsreise, von Stadt zu Stadt, mit immer neuen Begegnungen, Auseinandersetzungen, Ermutigungen – und manchmal auch handfestem Widerstand. Gerade hat er in Troas gepredigt, bis tief in die Nacht. Ein junger Mann fällt aus dem Fenster, Paulus betet, der Junge lebt. Und was macht Paulus? Redet weiter. Am nächsten Morgen geht’s weiter – zu Fuß nach Assos, dann per Schiff über mehrere Etappen nach Milet. Hier legt er nicht in Ephesus an, obwohl er dort drei Jahre lang gelebt und gearbeitet hat. Der Grund: Die Zeit drängt. Paulus will unbedingt zu Pfingsten in Jerusalem sein – wahrscheinlich nicht aus Nostalgie, sondern weil er einen Auftrag spürt: eine Gabe der Heidenchristen soll nach Jerusalem gebracht werden. Er weiß, das wird kein Spaziergang. Überall wird ihm signalisiert: Da kommt was Schweres. Trotzdem geht er. Und jetzt, kurz vor dem Abschied, ruft er die Gemeindeleitung aus Ephesus zu sich. Ein letzter Kreis. Ein Gespräch unter Hirten. Kein Rundumschlag – eher so was wie ein Vermächtnis in Etappen.

Wenn du genau hinschaust, merkst du: das hier ist nicht nur ein Reisetagebuch. Es ist eine dichte Zwischenzeit. Paulus steht zwischen Orten, aber auch zwischen Leben und Tod, Auftrag und Abschied. Er weiß nicht, was in Jerusalem genau passieren wird – nur, dass es ihn etwas kosten wird. Und trotzdem sagt er: Ich geh. Weil ich muss. Nicht weil er masochistisch ist, sondern weil er sich vom Geist „gebunden“ fühlt. Kein Zwang, eher eine Gewissheit.

Der geistige Kontext ist also hochspannend: Ein geistlich klar sehender Paulus, der trotzdem nicht alles weiß – aber genug, um zu sagen: Mein Leben ist mir nicht das Wichtigste. Hauptsache, ich bleib auf Kurs. Die Szene ist ein klassischer Moment biblischer Übergabe. Wie bei Mose, wie bei Samuel, wie bei Jesus: ein Letztes Gespräch mit den Vertrauten, bevor der Weg weitergeht – ohne Wiedersehen. Es geht dabei nicht nur um Rührung, sondern um Verantwortung. Paulus erinnert: Ich hab euch alles gesagt, was ich wusste. Ich hab nichts zurückgehalten. Jetzt seid ihr dran. Dabei wirkt er nicht kalt oder hart – du spürst seine Tränen, seine Freundschaft, seine Sorge um die Gemeinde. Aber eben auch diese Ruhe: Ich hab meinen Teil getan.

Was hier also passiert, ist nicht einfach ein schöner Abschiedsbrief, sondern ein geistlich aufgeladener Moment. Der Staffelstab wird übergeben. Paulus war Hirte, Lehrer, Zeuge – jetzt sollen die anderen es sein. Und mittendrin sagt er diesen einen Satz: „Ich achte mein Leben nicht der Rede wert…“ Das ist nicht Selbstverachtung, sondern Prioritätenklärung. Paulus läuft nicht weg, sondern läuft weiter – auf den Auftrag hin, den er bekommen hat: das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen. Und das ist nicht irgendeine Botschaft, sondern für ihn die schönste und zugleich schwerste, die es gibt.

So viel erstmal zur Bühne, auf der dieser Vers steht. Als Nächstes schauen wir uns an, welche Schlüsselworte der Text selbst in den Raum stellt – und was sie uns über Lauf, Auftrag und Gnade sagen wollen.

Die Schlüsselwörter:

In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.

Apostelgeschichte 20,24 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):

ἀλλʼ οὐδενὸς λόγου ποιοῦμαι τὴν ψυχὴν τιμίαν ἐμαυτῷ ὡς τελειῶσαι τὸν δρόμον μου καὶ τὴν διακονίαν ἣν ἔλαβον παρὰ τοῦ κυρίου Ἰησοῦ, διαμαρτύρασθαι τὸ εὐαγγέλιον τῆς χάριτος τοῦ θεοῦ.

Übersetzung Apostelgeschichte 20,24 (Elberfelder 2006):

Aber ich achte mein Leben nicht der Rede wert, damit ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe: das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen.

Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter

  • λόγος – „Rede / Wort / Sache“: Das griechische logos meint weit mehr als gesprochene Worte. Es umfasst Gedanken, Argumente, Inhalte, auch die „Sache an sich“. Im hellenistischen Judentum wurde es zum Träger göttlicher Ordnung (vgl. Philon), im NT kann es das Evangelium, eine Lehrtradition oder schlicht eine gewichtige Aussage bezeichnen. Hier ist λόγου im Genitiv mit oudenos verbunden: Paulus betrachtet sein Leben als „nicht einer Rede wert“ – was bedeutet: nicht von solcher Bedeutung, dass es sein eigentliches Ziel verdrängen dürfte. Die Wendung hat eine gewisse Sprengkraft. Sie ist keine abwertende Selbstverachtung, sondern die bewusste Einordnung des eigenen Lebens in den Dienst eines größeren Wortes: das Evangelium selbst.
  • ποιέω – „machen / bewerten / einschätzen“: Im mittleren Präsens (ποιοῦμαι) verwendet, hat das Verb hier eine reflexive Färbung: „Ich mache etwas für mich zu etwas“. Paulus „macht sein Leben sich selbst nicht wertvoll“, oder anders: Er stuft es für sich persönlich als nicht besonders wichtig ein. Es ist eine pragmatische Selbstbeschreibung – keine heldenhafte Geste, sondern eine nüchterne Entscheidung.
  • ψυχή – „Seele / Leben“: Psychē kann körperliches Leben meinen (also das „Dasein“), aber auch die individuelle Identität – das, was einen Menschen ausmacht. Im AT oft das „lebendige Wesen“, im NT sowohl existenziell („mein Leben“) als auch soteriologisch („meine Seele“). Paulus verwendet ψυχήν hier wohl als Ausdruck seines irdischen Lebens inklusive aller Rechte, Sicherheiten, Perspektiven. Er setzt sein ganzes Ich zurück – nicht aus Selbstverleugnung, sondern um Raum zu schaffen für das, was größer ist.
  • τίμιος – „wertvoll / kostbar“: Ein Wort mit Gewicht. In der LXX beschreibt es oft das, was vor Gott kostbar ist – z. B. die Weisheit (Spr 3,15) oder der Tod seiner Heiligen (Ps 116,15). Timios ist keine Gefühlsvokabel, sondern eine Aussage über Würde, Bedeutung, Preis. Paulus sagt: Mein Leben hat keinen Eigenwert für mich, wenn es das Ziel verhindert. Das ist keine nihilistische Aussage – sondern eine klare Prioritätensetzung im Licht des Auftrags.
  • τελειόω – „vollenden / ans Ziel bringen“: Das Verb teleioō stammt aus der Welt des Laufens, der Liturgie und der Reife. Es meint: etwas zum Ziel führen, abschließen, vollmachen. Hier steht es im Aorist-Infinitiv – als Ziel von Paulus‘ Haltung. Er will „den Lauf vollenden“, nicht nur laufen, sondern ankommen. Dieses Bild zieht sich durch die paulinische Theologie (vgl. 2Tim 4,7) und spricht vom Leben als bewusstem Kurs, nicht als Zufallsreise.
  • δρόμος – „Lauf / Rennbahn / Lebensweg“: Der dromos ist der Rennkurs – das angelegte Ziel, die markierte Strecke. Für Paulus kein Zufallsbegriff, sondern ein Bild für den von Gott gesetzten Weg, den er zu gehen hat. Es gibt eine Richtung, einen Anfang, ein Ende – und das Ziel ist nicht Selbstverwirklichung, sondern Treue zum Auftrag.
  • διακονία – „Dienst / Auftrag“: Das Wort kann profanen Service wie auch apostolische Sendung meinen. Hier ist klar: Es geht um den apostolischen Dienst, den Verkündigungsauftrag, das, was Paulus als Empfang von Jesus versteht. Nicht selbstgewählt, sondern übergeben – und damit bindend.
  • διαμαρτύρομαι – „ernst bezeugen / feierlich bekennen“: Ein juristisches Wort: Zeugnis geben mit Nachdruck. Paulus versteht seinen Dienst nicht als Plauderei, sondern als feierliches Zeugnis. Es geht um Wahrheit, um Leben und Tod – nicht im Pathos, sondern in Verantwortung. Es ist das, was ihn bindet, bewegt, trägt.
  • εὐαγγέλιον τῆς χάριτος τοῦ θεοῦ – „Evangelium der Gnade Gottes“: Das Zentrum. Die „gute Nachricht“ – nicht abstrakt, sondern konkret: dass Gottes Gnade wirksam, erfahrbar, rettend ist. Kein „Evangelium der Forderung“ oder „des Erfolgs“, sondern eins der Gnade. Das ist es, was Paulus bezeugen will – und wofür sein ganzes Leben zur Nebensache wird.

Im nächsten Schritt nehmen wir genau diesen theologischen Gehalt auf und fragen: Was sagt dieser Text nicht nur grammatisch, sondern geistlich über Leben, Auftrag, Priorität – und das Evangelium selbst?

Ein Kommentar zum Text:

Theologische Grundlage

Lies dir Apostelgeschichte 20,17–27 vorher durch. Es ist keine Lehreinheit. Es ist eine Abschiedsrede, gehalten von einem Mann, der weiß: Der Weg vor ihm ist nicht sicher. Nur das Ziel ist klar.

„Ich achte mein Leben nicht der Rede wert, damit ich meinen Lauf vollende…“ Dieser Satz ist kein Idealismus. Er ist der Anfang einer Entscheidung. Paulus ist gebunden im Geist – δεδεμένος τῷ πνεύματι (dedemenos tō pneumati) – und weiß nicht, was in Jerusalem auf ihn wartet (Apg 20,22). Aber er kennt den Auftrag. Und genau deshalb folgt er ihm. Nicht alles, was man schützen kann, sollte man schützen.

Der Satz ist grammatisch klar gegliedert: Paulus gebraucht die finale Konjunktion ὡς – hōs, die „damit“ oder „um zu“ bedeutet. Sie verbindet den Verzicht auf das eigene Leben mit einem Ziel: „damit ich meinen Lauf vollende“. Es ist also nicht Selbstverachtung – sondern Zielklarheit. Paulus will sein Leben nicht verschwenden. Aber er will es einsetzen, wo es Frucht trägt. Als Nachfolger Jesu bewegt mich das, weil es mir eine klare biblische Linie zeigt: Nicht was ich empfinde, sondern was mir anvertraut ist, bestimmt den Weg. Berufung bedeutet nicht, dass ich etwas leisten muss. Sondern dass ich etwas empfangen habe – und dafür lebe.

Was Paulus hier sagt, steht im starken Kontrast zur emotionalen Offenheit der Verse 22–23: „Ich weiß nicht, was mir begegnen wird… nur dass Gefangenschaft und Bedrängnisse auf mich warten.“ Erst danach folgt der Vers 24. Das ist nicht zufällig. Es ist eine rhetorische Spannung, die Lukas bewusst setzt. Erst die Unsicherheit – dann die Entschiedenheit. Erst das Nichtwissen – dann das Wissen, was zählt. Die Unsicherheit der Zukunft wird nicht negiert, sondern untergeordnet.

Der Ausdruck „Ich achte mein Leben nicht der Rede wert“ klingt im Deutschen sperrig. Im Griechischen steht οὐδενὸς λόγου ποιοῦμαι τὴν ψυχὴν – oudenos logou poioumai tēn psychēn. Wörtlich: „Ich mache mein Leben (meine Seele) keiner Sache wert.“ ψυχή – psychē meint im Griechischen nicht nur „Leben“ im biologischen Sinn, sondern die ganze Person – das Ich, die innere Substanz. Und λόγος – logos steht hier nicht für „Rede“ im Sinne von Sprache, sondern für „Wert, Bedeutung, Angelegenheit“. Paulus sagt: Ich setze mein eigenes Leben nicht als wertvolle Angelegenheit an – gemessen an dem, was mir aufgetragen wurde.

Und genau das ist der Kern: Paulus lebt nicht gegen sich selbst – sondern für das, was größer ist als er selbst. Clinton E. Arnold schreibt dazu: „Paulus versteht seinen Auftrag als empfangen, nicht erfunden – und genau deshalb so verpflichtend“ (Arnold, Acts). Das ist entscheidend: Paulus hat sich seinen Weg nicht ausgesucht, sondern empfangen – ἔλαβον – elabon. Für mich ist das nicht nur ein biografischer Hinweis. Es ist Ausdruck einer tieferen Berufungsstruktur, wie wir sie etwa auch in der Drei-Engels-Botschaft in Offenbarung 14 erkennen: Berufung beginnt immer bei Gott – und sie dient dem ewigen Evangelium, nicht dem Selbst.

Was Paulus „empfangen“ hat, beschreibt er präzise: „den Dienst, den ich vom Herrn Jesus empfangen habe, das Evangelium der Gnade Gottes zu bezeugen.“ Das Wort διακονία – diakonia ist hier nicht funktional gemeint, sondern theologisch – es bezeichnet den Auftrag zur Verkündigung, der durch Christus selbst übergeben wurde. Das Verb διαμαρτύρασθαι – diamartýrastai bedeutet dabei nicht einfach „sagen“, sondern: mit Nachdruck, öffentlich, haftbar bezeugen. Es ist ein juristisch gefärbter Begriff – jemand, der bezeugt, tritt in eine Verantwortung ein. Eckhard J. Schnabel erklärt, dass Paulus hier nicht redet wie ein Prediger – sondern wie ein Zeuge vor Gericht (Schnabel, Acts). Das, was er bezeugt, ist nicht Meinung, sondern Wahrheit. Nicht Debatte, sondern Realität.

Der Inhalt dieses Zeugnisses ist das Evangelium der Gnade Gottes. Diese Formulierung ist einzigartig im Neuen Testament. John B. Polhill betont, dass das Evangelium für Paulus nicht Lehre oder System sei, sondern Gnade pur (Polhill, Acts). Gnade meint in diesem Zusammenhang nicht ein weiches Gefühl, sondern die heilsgeschichtliche Initiative Gottes, durch die der Mensch aus der Schuld befreit wird (vgl. Römer 3,24; Titus 2,11). Es ist der rettende Akt, den Gott durch Christus anbietet – nicht als Option, sondern als Angebot, das Glauben weckt.

Für mich ist das entscheidend: Gnade ist nicht die Aufhebung von Verantwortung, sondern die Befähigung zur Nachfolge. Sie ist unverdient – aber nicht folgenlos. Sie verändert nicht nur das Verhältnis zu Gott, sondern den ganzen Lebensstil (vgl. Titus 2,12). Paulus bezeugt diese Gnade nicht abstrakt, sondern durch sein Leben – nicht um sich selbst zu beweisen, sondern um Christus sichtbar zu machen.

Dean Pinter beschreibt diesen Moment als biografisch-geistlichen Wendepunkt: „Paulus verabschiedet sich nicht nur von Menschen, sondern auch von Sicherheiten“ (Pinter, Acts). Was ihn bewegt, ist nicht Sicherheit, sondern Klarheit. Das Ziel ist nicht Selbstschutz, sondern Treue. Auch das Bild des Laufes unterstreicht das: τὸν δρόμον – ton dromon, „der Lauf“, ist nicht beliebig, sondern vorgezeichnet. Es erinnert an die antiken Wettläufe – mit klarer Startlinie und Ziel. Aber im biblischen Kontext ist es mehr: Es ist die Berufung zur Treue über die Zeit hinweg (vgl. 2Tim 4,7). Beda Venerabilis bringt es auf den Punkt: „Ein vollendeter Lauf ist ein gelebter Glaube“ (in Martin/Oden, Acts).

Die Reformatoren haben diesen Vers immer wieder als Spiegel geistlicher Verantwortung gelesen. Calvin betont: „Ein Lehrer soll nicht nach Applaus streben, sondern danach, die Herde in der Wahrheit zu bewahren – auch wenn es ihn selbst kostet“ (in Chung-Kim, Acts). Das ist keine kirchliche Paränese – also keine moralische Ermahnung –, sondern ein geistlicher Realismus. Paulus hat seinen Dienst empfangen. Er läuft ihn zu Ende. Nicht, weil er muss. Sondern weil er weiß, dass Wahrheit nicht beliebig ist.

In meinem Verständnis als adventistischer Theologe berührt mich daran besonders die Konsequenz: Wer sich der Gnade anvertraut, wird selbst zum Raum, in dem diese Gnade sichtbar wird. Paulus macht das nicht zu einem Selbstbild. Sondern zu einem Dienst. In einer Welt, die zunehmend um Selbstverwirklichung kreist, ist das eine Zumutung – aber auch ein Angebot. Nicht ich bin das Zentrum – sondern das Evangelium.

Was offen bleibt, ist das Ringen: Woher weiß ich, dass mein Weg empfangen ist – und nicht selbstgemacht? Was unterscheidet Hingabe von Überforderung? Und wie finde ich den Mut, mein Leben nicht in den Mittelpunkt zu stellen – sondern in einen größeren Zusammenhang zu stellen?

Paulus beantwortet das nicht direkt. Aber er zeigt: Es gibt ein Evangelium, das trägt. Eine Gnade, die sendet. Einen Herrn, der ruft. Vielleicht ist das der Ort, an dem unsere Wege klarer werden: nicht im Blick auf uns, sondern auf den, der uns gerufen hat.

Und vielleicht ist das die Frage, die bleibt:

Was in meinem Leben ist so empfangen, dass ich es bezeugen muss – auch wenn es mich etwas kostet?

Zentrale Punkte der Ausarbeitung

  1. Berufung ist empfangen, nicht erarbeitet.
    • Paulus spricht nicht von seinem Plan, sondern von einem Auftrag, den er empfangen hat – ἔλαβον – elabon.
    • Für mich als Nachfolger Jesu zeigt das: Geistliche Identität entsteht nicht durch Leistung, sondern durch Sendung. Was ich tue, ist nicht aus mir – sondern Antwort auf etwas Größeres.
  2. Das eigene Leben ist nicht das Zentrum.
    • Paulus sagt: „Ich achte mein Leben nicht der Rede wert…“ψυχή – psychē steht für sein ganzes Sein.
    • Das ist keine Selbstverachtung. Es ist Klarheit über das, was zählt. Sein Ich hat Wert – aber nicht Vorrang.
  3. Das Ziel bestimmt den Kurs – nicht das Risiko.
    • Der griechische Ausdruck ὡς – hōs („damit“) zeigt: Der Verzicht auf Sicherheit dient einem Ziel – „damit ich meinen Lauf vollende.“
    • Es geht nicht um Opferromantik, sondern um Treue in der Richtung. Die Angst vor dem, was kommt, wird nicht verdrängt – aber sie wird untergeordnet.
  4. Das Evangelium der Gnade ist nicht privat.
    • Paulus spricht von einem öffentlichen Zeugnis – διαμαρτύρασθαι – diamartýrastai: ein haftbares, öffentliches Bekennen der Wahrheit.
    • Es ist keine Meinung, sondern Realität – nicht diskutiert, sondern bezeugt.
  5. Gnade befähigt zur Nachfolge – sie entlässt nicht in Beliebigkeit.
    • „Das Evangelium der Gnade Gottes“ ist kein religiöses Gefühl, sondern die heilsgeschichtliche Initiative Gottes (vgl. Römer 3,24; Titus 2,11).
    • Für mich als Adventist heißt das: Gnade hebt nicht Verantwortung auf, sie macht sie möglich. Sie schenkt Freiheit – und ruft in den Dienst.

Warum ist das wichtig für mich?

  • Es konfrontiert meine Selbstverliebtheit.
    • Ich lebe in einer Welt, in der ich ständig höre: „Du musst dich selbst verwirklichen.“ Aber hier sagt mir jemand: „Du musst nicht im Mittelpunkt stehen, um wertvoll zu sein.“
  • Es klärt, was Nachfolge bedeutet.
    • Nicht alles, was schwer ist, ist falsch. Und nicht alles, was leicht geht, ist gesegnet.
    • Berufung zeigt sich nicht in Gefühlen, sondern in Treue. Auch wenn es wehtut.
  • Es verbindet Glaube mit Realität.
    • Paulus denkt nicht theoretisch. Er geht den Weg – auch wenn er ungewiss ist.
    • Glaube heißt nicht: Ich habe alle Antworten. Sondern: Ich folge, obwohl ich sie nicht habe.

Der Mehrwert dieser Erkenntnis

  • Ich erkenne, dass mein Leben eingebettet ist in einen größeren Zusammenhang – und das gibt mir Halt.
  • Ich lerne, Gnade nicht als Ausrede, sondern als Auftrag zu verstehen.
  • Ich verstehe: Zeugnis ist nicht laut – sondern glaubwürdig. Nicht perfekt – aber echt.
  • Und ich sehe: Mein Lauf ist nicht beliebig. Er ist geschenkt. Ich darf ihn vollenden.

Kurz gesagt: Wenn Paulus sein Leben nicht als Ziel, sondern als Werkzeug versteht, dann darf auch ich loslassen, was ich für unverzichtbar hielt – um Raum zu machen für das, was mich gesandt hat.