Fettgedrucktes für schnell Leser…
Einleitender Impuls:
Manchmal lese ich diesen Vers und merke: Ich glaube ihm – aber ich spüre ihn nicht. Befreit? Versetzt? Neue Herrschaft? Ich stehe morgens auf, kämpfe mit alten Gedanken, spüre Druck, Zweifel, Müdigkeit – und dieser Text sagt: Du bist längst versetzt worden. Nicht irgendwann. Nicht, wenn du genug glaubst. Sondern: Er hat. Punkt. Und das klingt erstmal schön. Aber was, wenn ich mich trotzdem noch fühle wie jemand, der in der falschen Welt lebt – mit der alten Sprache im Kopf, mit alten Schuldgefühlen, mit einem Herz, das sich nicht wie „frei“ anfühlt?
Ich glaube, genau deshalb steht dieser Satz da. Nicht als Spiegel meiner Gefühle – sondern als Verankerung in Gottes Realität. Der Wechsel ist passiert. Nicht sichtbar, nicht spektakulär – aber gültig. Wie jemand, der offiziell schon umgemeldet ist, aber innerlich noch zwischen Kisten wohnt. Ich muss nicht kämpfen, um befreit zu werden – ich darf lernen, aus der Freiheit zu leben, die mir zugesprochen wurde. Das ist unbequem. Denn dann fallen die Ausreden. Die Stimme der Finsternis wird nicht leiser – aber sie hat keine Zuständigkeit mehr. Und das verändert alles. Langsam. Leise. Aber real.
Vielleicht brauchst du diesen Gedanken heute auch. Vielleicht fühlt sich dein Alltag gerade gar nicht nach „neuem Reich“ an. Vielleicht stehst du noch mit einem Fuß im Alten – emotional, innerlich, geistlich. Dann lies diesen Vers nicht als Ansage, sondern als Einladung: Nicht du musst dich versetzen – er hat es getan. Du bist nicht mehr, wo du warst. Und vielleicht fängt alles Neue nicht mit einem Gefühl an, sondern mit Gottes Wort und einem kleinen „Danke“ – mitten im alten Geräusch.
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Was wäre anders, wenn du nicht nur wüsstest, sondern auch glauben würdest, dass du nicht mehr dort bist, wo du früher warst? Diese Frage lädt dich ein, ehrlich hinzusehen, wo du gedanklich und emotional vielleicht noch in alten Mustern steckst – obwohl du längst zu einer neuen Wirklichkeit gehörst.
- Wo in deinem Alltag spürst du noch die Stimme der Finsternis – und wie gehst du heute damit um, wenn du ihr keine Autorität mehr geben musst? Diese Frage soll dir helfen, den Text aus Kolosser 1,13 konkret werden zu lassen – im Spannungsfeld zwischen geistlicher Realität und emotionaler Erfahrung.
- Was wäre, wenn der wichtigste geistliche Kampf nicht darin besteht, etwas zu erreichen – sondern etwas zu glauben, das längst geschehen ist? Diese Frage möchte dich aufrütteln – weg von einem Glauben der ständigen Leistung, hin zu einem Glauben, der aus einer tiefen Zusage lebt.
Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:
Römer 6,14 – „Die Sünde herrscht nicht mehr.“ → Du darfst aufhören, dich als Gefangener deiner Geschichte zu sehen – du stehst unter Gnade, nicht mehr unter Anklage.
Epheser 2,6 – „Mit Christus versetzt.“ → Auch wenn dein Alltag irdisch bleibt – deine geistliche Position ist verändert. Lebe aus dem, was du bist, nicht aus dem, was du warst.
Johannes 8,36 – „Wirklich frei.“ → Nicht jede innere Kette muss noch gesprengt werden – manche ist schon längst gefallen. Glaub es ruhig ein bisschen öfter.
Offenbarung 1,5–6 – „Gereinigt und eingesetzt.“ → Du bist nicht nur befreit worden, sondern berufen – zu einem Leben, das seinen Ursprung nicht in dir, sondern in seiner Liebe hat.
Vielleicht nimmst du dir einen Moment, legst dein Handy zur Seite – und liest die ganze Ausarbeitung. Nicht weil du musst. Sondern weil du vielleicht spürst: Dieser Vers will dir mehr sagen, als du bisher gehört hast.
Ausarbeitung zum Impuls
Lass uns kurz innehalten. Vielleicht magst du die Augen schließen, einmal tief durchatmen – und alles, was dich gerade beschäftigt, für einen Moment ablegen.
Liebevoller Vater, manchmal ist es schwer zu begreifen, dass du uns wirklich befreit hast – aus der Dunkelheit raus, rein in das Reich deines geliebten Sohnes. Wir vergessen so schnell, woher wir kommen und zu wem wir gehören. Danke, dass du nicht gewartet hast, bis wir es verdient hätten. Danke, dass du aktiv geworden bist – dass Erlösung nicht unser Werk ist, sondern dein Geschenk. Und auch wenn wir nicht immer spüren, dass wir frei sind – du hast uns längst aus allem, was uns klein macht und knechtet befreit. Gib uns heute neue Augen dafür. Und ein Herz, das lernt, dir zu vertrauen, auch mitten im Alltag.
Im Namen Jesu,
Amen.
Dann lass uns jetzt gemeinsam tiefer eintauchen in diesen Text – Kolosser 1, Vers 13.
Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:
In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.
Also, bereit?
Ich spreche über die Perikope Kolosser 1,9–14, besonders über Vers 13. Einen Vers, der keine Einladung ist, kein Appell, sondern eine Erklärung. Eine Feststellung, die in ihrer Klarheit fast provoziert: „Er hat uns gerettet… und versetzt…“ – das steht da. Nicht: wenn du genug glaubst. Nicht: wenn du dich genug bemühst. Sondern einfach: Er hat.
Wenn ich mir vorstelle, wie das aussieht, dann sehe ich keinen spektakulären Himmelsmoment, keine Verklärung, keine Lichtgestalt über Kolossä. Ich sehe Menschen in ihrem Alltag, in ihren Häusern, mit Staub an den Füßen, mit ungelösten Konflikten und Fragen, die ihnen im Gesicht geschrieben stehen. Und doch behauptet Paulus: Ihr seid versetzt worden. Herausgezogen aus der Macht der Finsternis. Und hinein in das Reich des Sohnes seiner Liebe. Was für eine Szene. Ohne sichtbares Wunder. Ohne Ortswechsel. Und doch eine neue Zugehörigkeit.
Wenn ich die Augen schließe und nicht mehr sehe, sondern höre, dann höre ich zwei Stimmen. Die eine ist fest. Sie sagt: „Du gehörst nicht mehr dorthin.“ Die andere ist leise. Sie fragt: „Aber warum fühlt es sich noch so an?“ Ich höre Paulus nicht als einen, der Druck macht, sondern als einen, der erinnert. Er spricht nicht zu Überzeugten, sondern zu Verunsicherten. Nicht zu Perfekten, sondern zu Menschen, die noch mitten im alten Lärm leben – aber nicht mehr ihm gehören. Ich höre darin nicht nur Theologie. Ich höre Fürbitte. Ich höre: „Ich höre nicht auf, für euch zu beten…“ (V. 9). Es ist fast zärtlich. Ein geistlicher Blick, der tiefer sieht als das Sichtbare.
Und wenn ich hineinfühle – in mich, in meine Geschichte, in meine Fragen – dann spüre ich etwas, das sich nicht leicht beschreiben lässt. Es ist kein großer Triumph. Eher sowas wie leises Staunen. Und manchmal auch Widerstand. Denn wenn das wirklich stimmt – dass ich versetzt bin –, dann bedeutet das auch: Ich muss nicht dort bleiben, wo ich mich innerlich manchmal festfahre. Und das ist nicht nur befreiend, das ist auch unbequem. Denn dann gilt: Die Ausreden fallen. Die Angst verliert ihr Monopol. Die Schuld hat ihre Papiere verloren. Und trotzdem: Ich bleibe Mensch. Ich bin nicht immer mutig. Ich fühle mich nicht immer „versetzt“. Aber dieser Text sagt: Es kommt nicht auf mein Gefühl an. Es kommt auf das an, was Gott getan hat.
Was mir der Text also sagen will – laut und leise – ist: Du bist nicht mehr, wo du warst. Nicht durch deine Leistung. Nicht durch deine Disziplin. Sondern, weil er gehandelt hat. Und das verändert die Perspektive. Auch für dich. Vielleicht lebst du gerade mit einem Fuß in der alten Welt. Vielleicht trägst du noch die Sprache der Finsternis auf der Zunge – die Selbstanklage, die Scham, das Misstrauen. Vielleicht hörst du oft eher die Stimme, die sagt: „Du gehörst nicht wirklich dazu.“ Wenn das so ist – dann lies diesen Text noch einmal. Langsam. Lass ihn nicht an dir vorbeirauschen. Denn was dieser Text nicht sagt, ist genauso wichtig wie das, was er sagt.
Er sagt nicht: Du musst dich erst qualifizieren. Er sagt nicht: Nur, wer genug glaubt, wird versetzt. Und er sagt vor allem nicht: Wenn du noch kämpfst, warst du wohl nicht wirklich befreit. Nein. Der Kampf ist real. Die Finsternis hat noch Stimme – aber keine Zuständigkeit mehr. Das ist der Unterschied. Und genau dazwischen findet das Leben statt. Zwischen dem, was noch wirkt, und dem, was schon zählt.
Warum das für mich wichtig ist? Weil ich lange geglaubt habe, dass ich mich selbst versetzen muss. Raus aus Mustern. Raus aus alten Geschichten. Raus aus der Angst, nicht zu genügen. Und dann entdecke ich diesen Vers – und merke: Der Wechsel ist längst passiert. Nicht ich habe mich gerettet. Er hat.
Und vielleicht brauchst du diese Erinnerung gerade auch. Vielleicht bist du, wie ich, jemand, der viel von sich erwartet. Der liebt, kämpft, scheitert, glaubt – oft gleichzeitig. Dann ist dieser Text ein Ort zum Ankommen. Kein Ort der Forderung. Ein Ort der Zusage. Eine Stimme, die sagt: „Ich habe dich gesehen. Ich habe dich geholt. Du bist versetzt.“
Und ich glaube, das ist auch der Aufruf an mich. Nicht mehr in dem zu leben, was mich nicht mehr definiert. Die alten Systeme, die alten Ketten, die alten Lügen – sie haben keine Zuständigkeit mehr. Ich darf lernen, in einer neuen Realität zu stehen, auch wenn sie sich nicht immer so anfühlt. Das bedeutet nicht, dass alles leicht wird. Es bedeutet nur: Ich bin nicht mehr allein darin.
Was bleibt? Vielleicht diese Frage: Wie lebt man in einem Reich, das man nicht sieht – unter einem König, den man nicht immer spürt – gegen eine Macht, die sich nicht freiwillig zurückzieht? Ich weiß es nicht vollständig. Aber ich weiß, wo ich anfangen kann. Mit dem Wort (Bibel). Mit Vertrauen. Mit Dank. Mit dem nächsten Schritt der für mich möglich ist. Und vielleicht, mit einem einfachen „Danke“ – mitten im Alltag, der sich manchmal noch nach altem Reich anfühlt.
Wenn du das jetzt gelesen hast, dann lade ich dich ein, mit mir tiefer einzutauchen – in die theologische Ausarbeitung dieses Verses. Was dahinter steckt, was davor kommt, was weiterführt.
Der Text:
Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).
Kolosser 1,13
ELB 2006: Er hat uns gerettet aus der Macht der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe.
SLT: Er hat uns errettet aus der Herrschaft der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe,
LU17: Er hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes,
BB: Er hat uns vor der Macht der Finsternis gerettet und der Herrschaft seines geliebten Sohnes unterstellt.
HfA: Er hat uns aus der Gewalt der Finsternis befreit, und nun leben wir unter der Herrschaft seines geliebten Sohnes Jesus Christus.
Der Kontext:
In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.
Kurzgesagt: Der Brief an die Kolosser wurde an eine eher kleine, unbedeutende Gemeinde in einer Stadt geschrieben, die ihren Zenit längst überschritten hatte. Und genau dort, in dieser Provinzstadt namens Kolossä, will Paulus klarstellen, was das Evangelium eigentlich bedeutet – und warum man es nicht verwässern sollte.
Previously on Kolossä: Paulus sitzt im Gefängnis. Nicht unbedingt ein typischer Ort, um hoffnungsvolle Briefe zu schreiben, aber genau das tut er. Die Gemeinde in Kolossä kennt Paulus vermutlich nicht persönlich – gegründet wurde sie wahrscheinlich von einem seiner Mitarbeiter, Epaphras, der selbst aus Kolossä stammt. Und Epaphras hat nun, wegen einiger seltsamer Entwicklungen vor Ort, Paulus aufgesucht. Vielleicht hat er gemerkt: „Das wird mir zu wirr hier, ich brauch Rückendeckung.“ Die Kolosser sind zwar im Glauben gestartet, aber es gibt offenbar Einflüsse, die sie verunsichern. Dinge, die fromm klingen, aber irgendwie vom Zentrum wegführen.
Was war das Problem? Es ist nicht so einfach zu greifen. Paulus nennt es später eine „Philosophie“, die angeblich besonders tiefsinnig ist – mit Regeln, Askese, Engelsverehrung und so einer Art geistlicher Elite-Stufe. Kurz: Es ging um eine Mischung aus jüdischen Frömmigkeitspraktiken, asketischen Strömungen und mystischen Spekulationen, die sich irgendwie mit dem Glauben an Jesus vermischen wollten. Das Ganze war vermutlich nicht böswillig gemeint – eher wie ein spiritueller Baukasten, bei dem Jesus eben ein Teil davon ist. Aber für Paulus ist klar: Wenn Jesus nicht das Zentrum ist, verlieren sie alles. Und deshalb schreibt er.
Kolossä selbst war zu der Zeit schon kein blühender Ort mehr. Einst bedeutend für den Handel mit roter Wolle, ist es inzwischen von Nachbarstädten wie Laodizea und Hierapolis überholt worden. Auch politisch spielt die Stadt keine große Rolle mehr. Vielleicht fühlt sich die Gemeinde deshalb auch ein bisschen unsicher, irgendwie übersehen. Und genau in dieses Gefühl hinein spricht Paulus: Ihr habt alles in Christus. Mehr braucht ihr nicht. Und schon gar keine Extras. Der Ton des Briefes ist nicht scharf, eher väterlich. Paulus lobt sie sogar für ihren Glauben und ihre Liebe – aber er will verhindern, dass sie sich verirren.
Geistlich gesehen ist der Text also in eine Situation geschrieben, in der gute Leute begonnen haben, falsche Prioritäten zu setzen. Man hätte es vielleicht nicht mal gemerkt, wenn Paulus es nicht klargestellt hätte. Es ist wie mit so einem Navi, das leicht falsch kalibriert ist: Anfangs merkt man’s nicht, aber irgendwann landet man ganz woanders.
Und mittendrin steht dann unser Vers: Gott hat euch gerettet aus der Finsternis – also aus allem, was euch gefangen, vernebelt oder klein hält – und hineingestellt in das Reich seines geliebten Sohnes. Das ist keine Theorie, sondern die neue Wirklichkeit, in der ihr jetzt lebt. Kein Add-on, keine Zukunftsmusik. Jetzt.
Damit können wir nun in die nächste Etappe gehen: Wir schauen uns die Schlüsselbegriffe im Vers genauer an – die Wörter, die tragen, prägen und die ganze Tiefe dieser Aussage spürbar machen.
Die Schlüsselwörter:
In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.
Kolosser 1,13 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):
ὃς ἐρρύσατο ἡμᾶς ἐκ τῆς ἐξουσίας τοῦ σκότους καὶ μετέστησεν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ υἱοῦ τῆς ἀγάπης αὐτοῦ
Übersetzung Kolosser 1,13 (Elberfelder 2006):
Er hat uns gerettet aus der Macht der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe.
Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter
- ἐρρύσατο (errýsato) – „gerettet“: Das Verb ῥύομαι bedeutet ursprünglich „sich mit Kraft herausziehen“, wie jemand, der jemanden aus einem reißenden Fluss herauszieht. Es beschreibt kein sanftes An-der-Hand-Führen, sondern ein entschlossenes, manchmal gewaltsames Eingreifen in eine ausweglose Lage. Im Aorist steht hier die abgeschlossene Einmaligkeit der Tat im Vordergrund: Gott hat gehandelt. Punkt. Die Form ist Medium/Passiv – das zeigt: Gott selbst ist der Handelnde, nicht wir.
- ἐξουσίας (exousías) – „Macht“: Exousía bezeichnet nicht einfach nur Kraft, sondern autoritäre Herrschaftsvollmacht. Es ist das, was eine Obrigkeit besitzt, wenn sie etwas durchsetzen kann. In der Antike stand das oft für politische oder göttliche Autoritäten – hier jedoch für eine feindliche, dämonische Sphäre, die Menschen bindet. Paulus wählt diesen Begriff bewusst, um klarzumachen: Wir reden nicht von neutralem Terrain, sondern von einer autoritären, finsteren Herrschaftszone.
- σκότους (skótous) – „Finsternis“: Mehr als Abwesenheit von Licht. Skotos ist ein feststehendes Bild für Gottferne, Sünde, Irrtum, Verlorenheit. Es geht um eine geistliche Dimension, in der Verwirrung, Angst und Isolation regieren. In jüdischer Tradition war „Finsternis“ oft mit Chaos (Gen 1) oder Gericht (Ex 10) verknüpft – hier wird sie zur Bezeichnung eines ganzen „Reiches“.
- μετέστησεν (metéstēsen) – „versetzt“: Dieses Verb methistēmi ist stark: Es meint die Übertragung aus einem Hoheitsgebiet in ein anderes. In antiken Kontexten wurde es verwendet, wenn ganze Bevölkerungsgruppen zwangsweise in ein neues Reich verpflanzt wurden – oft durch Krieg. Paulus benutzt es hier in positiver Wendung: Gott hat uns aus einem Reich herausgenommen und in ein neues eingefügt – nicht als Besucher, sondern als Bürger.
- βασιλείαν (basileían) – „Reich“: Nicht einfach nur ein geografischer Ort, sondern ein Zustand unter königlicher Herrschaft. Im NT ist „Reich Gottes“ das zentrale Bild für die erneuerte Weltordnung unter Gottes Führung. Hier wird es mit dem „Reich des Sohnes“ gleichgesetzt – also Jesus regiert, nicht hypothetisch, sondern real.
- υἱοῦ τῆς ἀγάπης (huiou tēs agápēs) – „Sohn seiner Liebe“: Paulus könnte einfach „Jesus“ schreiben – tut es aber nicht. Stattdessen wählt er eine poetisch dichte Wendung: „der Sohn seiner Liebe“. Das drückt Zuneigung, Beziehung, göttliche Identifikation aus. Der Sohn ist nicht einfach beauftragt – er ist der Ausdruck der Liebe selbst. Die Genitivkonstruktion intensiviert die Aussage: Dieses Reich ist nicht neutral. Es ist ein Liebesreich.
Damit ist der Boden bereitet für die theologische Kommentierung – die Frage, was dieses „Reichstausch“-Motiv für unseren Glauben heute bedeutet und wie es in der paulinischen Soteriologie verankert ist.
Ein Kommentar zum Text:
Lies die Passage Kolosser 1,9-14 und konkret Vers 13 mehrmals langsam durch, als würdest du ihn auswendig lernen wollen: „Er hat uns gerettet aus der Macht der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe.“ (Kolosser 1,13). Die Klarheit der Aussage ist fast erschlagend. Kein Appell. Kein Vielleicht. Keine Einladung. Nur: das ist passiert.
Und genau das wirft Fragen auf. Wie kann Paulus so sprechen, als wäre alles schon erledigt – während doch um uns herum so vieles danach aussieht, als hätte die Finsternis noch das Sagen? Wie kann jemand mit solch fester Sprache behaupten, dass Menschen „versetzt“ worden sind, während ihr Leben äußerlich gleich bleibt? Ist das Mut? Theologisches Ideal? Oder geistliches Wissen jenseits des Sichtbaren?
Paulus beschreibt hier nicht, was Christen erleben – sondern, was Gott getan hat. Das griechische Verb ἐρρύσατο – (errýsato, „er hat gerettet“) steht im Aorist, einer Zeitform, die im Neuen Testament oft für einmalige, abgeschlossene Handlungen verwendet wird. Es drückt nicht Prozess, sondern Vollzug aus. Damit wird eine historische Rettungserfahrung behauptet, die nicht an subjektive Wahrnehmung gebunden ist. Der Begriff entstammt der griechischen Übersetzung des Alten Testaments und erinnert an den Exodus, die Befreiung Israels aus der Sklaverei Ägyptens. Peter T. O’Brien merkt hierzu an, Paulus greife hier bewusst die Sprache des Exodus auf, um die „große heilsgeschichtliche Verschiebung“ in Christus zu beschreiben (Colossians and Philemon). Für mich als Adventist ist das mehr als nur ein Bild – es ist ein Hinweis darauf, dass Gott immer rettend in Geschichte eingreift, nicht nur innerlich, sondern kosmisch und tatsächlich.
Im selben Satz folgt das zweite Schlüsselverb: μετέστησεν – (metéstēsen, „er hat versetzt“). Auch dieses Verb steht im Aorist und meint ursprünglich die Umsiedlung von Völkern durch einen König. Es ist ein politischer Begriff. Es beschreibt nicht eine innerliche Entwicklung, sondern eine Verlegung von Zuständigkeit, eine Art geistlicher Exilwechsel. Clinton Arnold und David Pao betonen, dass dieses Wort im Kontext des Kolosserbriefs eine „juristisch-kosmische Translokation“ meint (Colossians and Philemon). Paulus stellt hier also nicht nur fest, woher Christen kommen, sondern wohin sie gehören – und das nicht als Möglichkeit, sondern als vollendete Realität.
Doch diese Realität steht im Kontrast zur Wahrnehmung. Die Gläubigen in Kolossä waren äußerlich weder umgezogen noch politisch befreit. Sie lebten weiter in denselben Strukturen. Und hier setzt die Spannung an. Denn der Wechsel, den Paulus beschreibt, ist ein unsichtbarer Wechsel der Herrschaft. F. F. Bruce bringt das auf den Punkt: „Christen leben nicht auf das Reich zu – sie sind bereits Bürger darin“ (The Epistles to the Colossians and to Philemon). Dieser Gedanke ist zentral: Die Zugehörigkeit hat sich verschoben, nicht das Umfeld. Diese Spannung ist keine Schwäche der Aussage, sondern ihr geistliches Gewicht.
Dabei verwendet Paulus eine auffällige Formulierung für das Reich, in das die Christen versetzt worden sind: „das Reich des Sohnes seiner Liebe“. Der Begriff βασιλεία – (basileía, „Reich“) ist im Neuen Testament immer mehr als ein geografischer Ort. Es geht um Herrschaftsvollmacht, eine Sphäre, in der die Autorität eines Königs gilt. In den synoptischen Evangelien steht das „Reich Gottes“ im Zentrum der Verkündigung Jesu – meist im Spannungsfeld von „schon jetzt“ und „noch nicht“. Auch in Kolosser 1,13 bleibt diese Spannung erhalten: Das Reich ist da, die Herrschaft Christi ist gültig, aber nicht vollständig offenbar.
Zugleich ist das Reich kein abstraktes System. Es ist das Reich des „Sohnes seiner Liebe“. Markus Barth und Helmut Blanke bemerken, dass dieser Ausdruck im Griechischen ungewöhnlich ist – aber, er verweist auf die einzigartige Liebesbeziehung zwischen dem Vater und dem Sohn (Der Brief an die Kolosser). Diese Beziehung ist nicht nur innergöttlich, sondern bestimmend für das Wesen des Reiches: Nicht Macht, sondern Liebe ist seine Signatur. R. Kent Hughes formuliert das so: „Jesus herrscht nicht mit Drohung, sondern mit Hingabe“ (The Supremacy of Christ). Als Adventist erkenne ich darin eine starke Parallele zur Offenbarung 14, wo das Lamm im Zentrum der Anbetung steht – nicht das Tier. Die Macht Gottes zeigt sich in seiner Liebe – nicht in Gewalt.
Das macht auch deutlich, gegen was sich Gottes Rettung richtet. Paulus spricht von der ἐξουσία τοῦ σκότους – (exousía tou skótous, „Macht der Finsternis“). Das Wort ἐξουσία – (exousía) meint nicht nur Kraft, sondern eine autorisierte Herrschaft. Das bedeutet: Die Finsternis hat im Weltlauf eine tatsächliche Macht, sie ist nicht bloß ein Bild für Schwäche oder Angst. Eduard Lohse hebt hervor, dass diese Finsternis „eine bestehende, wenn auch gottwidrige Ordnung“ ist, die „Menschen bindet, nicht nur beeinflusst“ (Colossians and Philemon). Diese Macht wird in anderen paulinischen Texten personifiziert – als Fürst dieser Welt (Epheser 2,2), als Gott dieser Weltzeit (2. Korinther 4,4). Für mich ist das nicht nur symbolisch zu lesen – sondern Teil vom großen Kampf, jenem geistlichen Konflikt zwischen Christus und Satan, in dem die Welt steht (vgl. Offenbarung 12,7–12).
Dieser Konflikt prägt die Spannung des Verses: Die Finsternis wirkt weiter – doch ihre Legitimität ist gebrochen. O’Brien beschreibt diesen Moment als „Entmachtung durch Verlagerung“, eine „Rechtsentziehung“ (Colossians and Philemon). Diejenigen, die in Christus sind, stehen nicht mehr unter ihrer Zuständigkeit, auch wenn sie ihrer Präsenz noch begegnen.
Und doch bleibt der Text nicht in Abstraktion stehen. Was bedeutet es, in ein anderes Reich versetzt zu sein – und dort zu leben, obwohl das alte Reich weiter um einen herum existiert? Was verändert sich? Was bleibt gleich?
Hier stellt sich die ethische Frage. Der Vers enthält keinen Befehl, keine Paränese – das heißt: keine moralische Aufforderung. Aber aus seiner Aussage ergibt sich eine klare Richtung. Wenn ich nicht mehr zur Sphäre der Finsternis gehöre, sondern zum Sohn, dann beginnt ein anderes Leben. Kolosser 3 nimmt diese Konsequenz auf: „Tötet, was irdisch ist in euch…“ (Kolosser 3,5). Die Stellung geht der Veränderung voraus. Nicht umgekehrt. Das ist der Unterschied zwischen Gnade und Moralismus. Douglas J. Moo formuliert es so: „Die Verlagerung des Status hat Folgen, weil sie das Zentrum der Loyalität verschiebt“ (The Letters to the Colossians and to Philemon). Die Rettung ist passiert – aber sie verlangt eine Antwort, nicht als Bedingung, sondern als Ausdruck.
Und doch, bei aller Klarheit: Was, wenn ich das nicht spüre? Wenn ich mich gar nicht „versetzt“ fühle? Wenn ich noch mit Finsternis kämpfe, die ich doch eigentlich hinter mir lassen sollte?
Dann gilt, was O’Brien nüchtern festhält: „Die Versetzung ist kein Gefühl, sondern eine Realität, die geglaubt werden muss – gegen die Erfahrung“ (Colossians and Philemon). Das Neue ist nicht sichtbar, aber es ist gültig. Die Realität, in der der Sohn herrscht, beginnt nicht mit unserer Wahrnehmung – sie beginnt mit dem Handeln Gottes.
Und genau dort bleibt der Text offen. Nicht alles ist beantwortet. Nicht alles wird erklärt.
Wie lebt man in einem Reich, das man nicht sieht, unter einem König, den man nicht immer spürt – gegen eine Macht, die sich nicht freiwillig zurückzieht?
Für mich bedeutet das unter anderem, dass das Wort und Gebote Gottes mir helfen auf Kurs zu bleiben – die Gebote nicht als Eintrittskarte ins Reich, sondern als Ausdruck seiner Ordnung. Wer zum Sohn gehört, lebt nicht ohne Orientierung oder gesetzlos – sondern erkennt im Wort und den Geboten die Handschrift der Liebe, wie sie in Jesus sichtbar geworden ist (vgl. Matthäus 5,17; Johannes 14,15). Die neue Zugehörigkeit führt zur Nachfolge, nicht zur Selbstsicherheit.
Zentrale Punkte der Ausarbeitung
- Die Rettung ist vollzogen – nicht nur angekündigt.
- Kolosser 1,13 spricht im Aorist von zwei göttlichen Handlungen: gerettet (ἐρρύσατο – errýsato) und versetzt (μετέστησεν – metéstēsen).
- Das bedeutet: Wer zu Christus gehört, ist nicht mehr Teil der alten Ordnung. Die Zugehörigkeit hat sich bereits verändert – unabhängig davon, wie sich das anfühlt oder aussieht.
- Die Realität des Reiches ist unsichtbar – aber wirksam.
- Paulus spricht vom „Reich des Sohnes seiner Liebe“ (βασιλεία τοῦ υἱοῦ τῆς ἀγάπης αὐτοῦ).
- Dieses Reich ist kein Ort, sondern ein Beziehungsraum unter der Herrschaft Christi. Es ist gegenwärtig, aber noch nicht vollständig sichtbar – eine Spannung, die in der ganzen Bibel durchzieht.
- Die Finsternis ist nicht weg – aber ihre Macht ist gebrochen.
- Der Begriff ἐξουσία τοῦ σκότους – (exousía tou skótous, „Macht der Finsternis“) beschreibt eine gottwidrige, aber reale Herrschaftsstruktur.
- Christus hat die rechtliche Zuständigkeit dieser Macht durchbrochen. Der Große Kampf (Offb 12) ist nicht vorbei, aber seine Richtung ist entschieden.
- Das Reich des Sohnes ist ein Reich der Liebe – nicht der Gewalt.
- Es geht nicht um äußere Machtübernahme, sondern um eine innere Verlagerung des Zentrums: Vom Ich zum Du, vom Gesetz zur Liebe, vom Kampf zur Hingabe.
- Als Adventist erkenne ich hier die Linie der Offenbarung wieder: Jesus als das Lamm, das herrscht – nicht durch Drohung, sondern durch Hingabe.
- Der Statuswechsel fordert zur Nachfolge heraus.
- Kolosser 1,13 formuliert keine ethische Anweisung – aber Kolosser 3 folgt logisch: „Tötet, was irdisch ist in euch…“
- Die neue Identität verlangt nicht Leistung, aber Antwort. Nicht, um zu retten – sondern, weil wir gerettet sind.
Warum ist das wichtig für mich?
- Es verändert meine Sicht auf meine Realität.
- Ich bin vielleicht noch mitten im Chaos, aber nicht mehr im alten Reich. Meine Zugehörigkeit ist verändert – das ist keine Einbildung, sondern eine Verheißung.
- Es verändert meine Sicht auf Versuchung und Schuld.
- Die Finsternis hat noch Präsenz – aber nicht mehr das letzte Wort. Ich darf Widerstand leisten, weil ich unter einer anderen Autorität stehe.
- Es verändert meine Sicht auf Jesus.
- Er ist nicht nur Retter, sondern König – und sein Reich ist geprägt von Liebe, nicht von Kontrolle. Das macht Nachfolge herausfordernd und gleichzeitig befreiend.
- Es verändert meine Sicht auf die Welt.
- Ich sehe Systeme und Strukturen, die unter der Macht der Finsternis stehen – aber ich glaube, dass ein anderes Reich bereits begonnen hat. Ich lebe in dieser Spannung – und kann darin Hoffnung bewahren.
Der Mehrwert dieser Erkenntnis
- Ich kann aufhören, mein Heil an mein Gefühl zu koppeln. Ich darf glauben, was Gott getan hat – selbst wenn ich es noch nicht sehe.
- Ich kann anfangen, meine Identität nicht mehr aus meiner Umgebung, sondern aus meiner Zugehörigkeit zu Christus zu ziehen.
- Ich kann lernen, im Unsichtbaren zu leben – nicht als Realitätsflucht, sondern als geistliche Widerstandskraft.
- Ich kann tiefer verstehen, was es heißt, Adventist zu sein: nicht nur jemand, der auf die Wiederkunft wartet, sondern jemand, der heute schon in einem anderen Reich lebt – unter dem Banner der Liebe Christi.
Kurz gesagt: Wenn Gott mich wirklich „versetzt“ hat, dann bin ich nicht mehr, wer ich war – sondern wer ich durch Christus geworden bin. Und das verändert alles.
