Fettgedrucktes für schnell Leser…
Einleitender Impuls:
Vielleicht warst du auch schon mal so ein Stein. Nicht direkt rausgeworfen, aber innerlich auf die Seite geschoben. Abgelegt. Weil du nicht in den Plan gepasst hast. Zu leise, zu laut. Zu verletzlich. Zu unbequem. Oder einfach nicht das, was „man braucht“. Und vielleicht hast du dich irgendwann selbst dort abgelegt. In die Kiste mit der Aufschrift: nicht brauchbar. Kein Groll. Nur dieses resignierte Einverständnis. Ist halt so. Und dann liest du diesen Satz. Mitten in einer harschen Auseinandersetzung, sagt Jesus: Gerade der Stein, den ihr verworfen habt – den hat Gott zum Fundament gemacht. Kein Nebenstein. Kein Trostpreis. Grundstein. Und da fängt es an zu atmen: Denn wenn du in seine Augen schaust, schaust du in das Gesicht dessen, der selbst verworfen wurde. Von denen, die es besser wissen sollten. Und genau deshalb versteht er dich. Nicht aus Theorie. Sondern aus Erfahrung.
Und dann dreht sich die Szene. Ganz leise. Und plötzlich frag ich mich: Wo verwerfe ich eigentlich selbst? Nicht mit Absicht. Aber mit Tempo. Mit Haltung. Mit diesen stillen Kriterien, die sich eingeschlichen haben. Wie oft werde ich selbst zum Bauleiter – mit Lineal im Kopf und Normwerten im Herz. Ich merke das manchmal bei mir. Dass ich eher sortiere als frage. Und was, wenn ich nicht nur andere übersehe – sondern auch Gott? Weil er anders kommt, als ich’s erwartet hab?
Ok – was soll ich jetzt noch sagen? „Denk mal drüber nach, wen du verworfen hast, und mach’s besser.“ Und ja, vielleicht stimmt das ja sogar. Aber wenn ich ehrlich bin, hab ich bei dem Text eher den Wunsch, dass du dich einfach nochmal still hinsetzt. Nicht um schnell alles zu reparieren. Sondern um dich zu erinnern: Wer dich verworfen hat. Das war nicht das letzte Wort. Und wem du zu schnell abgesprochen hast… auch nicht! Gott hat noch was vor – beides ist noch nicht das letzte Kapitel. Und das ist vielleicht schon genug für heute.
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Wo hast du dich selbst schon als „nicht brauchbar“ empfunden – und was hat das langfristig mit deinem Selbstbild gemacht? Diese Frage lädt dazu ein, ehrlich über innere Abwertungen zu sprechen – nicht als Defizit, sondern als Spur zur Würde.
- Wo sortierst du in deinem Alltag Menschen, Gedanken oder Möglichkeiten innerlich aus – und was wäre nötig, um neu hinzusehen? Ziel ist, alltägliche, unbemerkte Verwerfungsmechanismen sichtbar zu machen – ohne Schuldgefühl, aber mit Wachheit.
- Was bedeutet es für deinen Glauben, dass Gott gerade mit dem Verworfenen baut – und wie könnte das deinen Umgang mit dir selbst und anderen verändern? Die Frage greift das geistliche Zentrum der Ausarbeitung auf – und lädt ein, Gott als anders-bauenden Architekten zu entdecken.
Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:
Psalm 118,22 – „Der Stein, den die Bauleute verwarfen…“ → Gottes Baupläne beginnen oft mit dem, was wir aussortieren – lies sie nicht zu früh ab.
Jesaja 53,3 – „Verachtet, von Menschen verlassen…“ → Wenn du Jesus ansiehst, schaust du in das Gesicht dessen, der Verwerfung kennt – und dich trotzdem ansieht.
1. Petrus 2,4–5 – „Lebendige Steine – ein geistliches Haus.“ → Du bist nicht nur Teil eines Bauwerks – du bist selbst tragend, lebendig, gewollt.
Epheser 2,20 – „Er selbst ist der Eckstein.“ → Dein Leben ruht nicht auf deinem Können – sondern auf seiner Einladung, Teil des Ganzen zu sein.
Wenn du magst, nimm dir heute oder morgen 20 Minuten und lies die ganze Ausarbeitung zu Markus 12,10 – als Einladung zum Weiterdenken.
Ausarbeitung zum Impuls
Lass uns doch einen Moment nehmen, tief durchatmen – und bewusst alles stehen lassen, was sonst gerade ruft. Wir starten diesen Weg mit einem einfachen, ehrlichen Gebet.
Liebevoller Vater,
du siehst, wie oft wir reden, planen, deuten – und doch so wenig hören. Wir lesen deine Worte, aber wir stolpern über uns selbst. Und manchmal stehen wir vor einem Text wie Markus 12 und merken: Das geht nicht spurlos an uns vorbei. Da spricht nicht nur Jesus – da klopft etwas an unser Herz. Diese Geschichte vom Weinberg, vom Sohn, von der Ablehnung… Sie ist nicht einfach fromme Vergangenheit. Sie ist Gegenwart. Unsere.
Danke, dass du nicht aufhörst zu reden. Danke, dass du nicht aufhörst zu senden. Auch wenn wir dich nicht achten, nicht verstehen, nicht wollen. Du gibst nicht auf. Du gibst dich selbst.
Lehre uns hören. Und sehen. Und aufmerken – bevor wir wieder weiterlaufen.
Im Namen Jesu,
Amen.
Dann lass uns jetzt gemeinsam tiefer eintauchen – Schritt für Schritt, Satz für Satz.
Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:
In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.
Also, bereit?
Ich weiß nicht, wie du das liest. Vielleicht mit einem Kaffee in der Hand, vielleicht in der S-Bahn, vielleicht spätabends, wenn der Tag zu laut war und du leise geworden bist. Aber egal, wo du bist – dieser Text hier will nicht beeindrucken. Er will dir etwas zeigen. Still. Ehrlich. Vielleicht sogar etwas, das du schon längst wusstest, aber nie so ganz angesehen hast. Was machen wir mit dem, was wir aussortieren? Mit Menschen. Mit Momenten. Mit Anteilen von uns selbst.
Jesus erzählt ein Gleichnis von einem Weinberg, von Pächtern, von einem Sohn. Und dann sagt er einen Satz, der mich nicht mehr loslässt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.“ Ein Vers aus Psalm 118, den er mitten in eine Konfrontation hineinspricht. Und ich frage mich: Wie oft habe ich das schon gemacht – verworfen, weil ich dachte, es passt nicht?
Ich erinnere mich an einen Moment in meinem Leben, da war ich zwanzig. Neu in einer Montagefirma, keine Ahnung von nichts, und in einem dieser LKWs, die man ausräumt, als würde man sich damit gleichzeitig seine Position erarbeiten. Ich war der Jüngste, der Unerfahrenste, der, der die Ameise – also diesen kleinen Hubwagen – nicht bedienen konnte. Die anderen rauchten, kommentierten. Ich arbeitete. Lachte mit, weil es einfacher war, als zuzugeben, dass es wehtat. Und irgendwann rutschte mir dieser Satz raus: „Merkt euch diesen Moment, ich werde euch noch sagen, was ihr tun sollt.“ Kein heldenhafter Moment. Eher eine Mischung aus Trotz, Wut und verletztem Stolz. Sie lachten. Klar. Und ich? Ich lernte. Und nach sechzehn Monaten war ich ihr Vorgesetzter.
Ich erzähle das nicht, um irgendwas zu beweisen. Ich erzähle es, weil ich heute weiß, wie es sich anfühlt, wenn man für unbrauchbar gehalten wird. Und wie leicht es ist, genau dieses Urteil später selbst über andere zu sprechen – aus Unsicherheit, aus Gewohnheit, aus Überforderung.
Und genau das passiert uns auch geistlich. Wir verwerfen, weil etwas oder jemand nicht in unser Schema passt. Zu laut, zu leise, zu fromm, zu frei, zu anders. Und plötzlich stehen wir da wie die Bauleute. Bauen an einem Reich Gottes, aber legen den Eckstein beiseite, weil er nicht die richtige Form hat. Vielleicht ist der Text deswegen so scharf. Weil er uns spiegelt. Nicht nur die da – die „anderen“. Sondern uns. Mich. Dich. Heute.
Ich habe das später in der Gemeinde erlebt. Ein neuer Pastor, der Raquel und mich nicht kannte, stellte uns in Frage – nicht direkt, aber spürbar. Zwischen den Zeilen. Und da war sie wieder: die stille Verwerfung. Nicht mit Worten, sondern mit Blicken. Ich dachte, das trifft mich nicht – aber doch, es hat etwas in mir verschoben. Vielleicht, weil ich es schon kannte. Vielleicht, weil es im frommen Kontext noch tiefer trifft.
Und das Bittere: Ich habe gemerkt, dass ich selbst manchmal genau so urteile. Verwerfe. Abstemple. Mich so verhalte. Nicht immer laut. Nicht wirklich böse oder schlecht gemeint. Aber dieses leise „Das passt nicht“ – das kenne ich. Es ist ein Urteil, das wir oft schneller fällen, als wir glauben. Und dieser Text legt genau das offen – nicht, um uns zu beschämen, sondern um uns zu heilen.
Denn was dieser Vers sagt – zwischen den Zeilen, aber unüberhörbar – ist: Gott baut anders. Er nimmt, was wir ausmustern. Er erhebt, was wir kleinreden. Und er setzt ein, was wir übersehen. Nicht, weil wir es verdient hätten – sondern weil er ein Gott ist, der nicht nach unseren Maßstäben rechnet. Und das tröstet mich mehr, als ich zugeben will. Weil ich weiß, dass ich selbst oft nicht das bin oder in anderen sehe, was Menschen „brauchbar“ nennen würden. Und weil ich hoffe, dass Gott trotzdem mit uns baut.
Vielleicht geht es dir ähnlich. Vielleicht fühlst du dich gerade wie dieser Stein – übersehen, unpassend, überflüssig. Oder vielleicht hast du jemand anderen so behandelt, ohne es zu merken. Vielleicht beides. Der Text fragt nicht: „Wer war schuld?“ Er fragt: Was macht Gott jetzt daraus? Und das ist die gute Nachricht: Er macht etwas. Trotz allem.
Was der Text definitiv nicht sagt: Dass es egal ist, wie wir urteilen. Er verharmlost nichts. Er nennt die Dinge beim Namen. Die Pächter verlieren den Weinberg. Die Verwerfung hat Konsequenzen. Aber nicht aus Rache. Sondern weil Gott treu ist – seinem Sohn, seinem Plan, seiner Liebe. Und weil er nicht aufhört zu bauen.
Ich nehme aus dieser Ausarbeitung mit: Ich will wachsamer sein – mit meinen Urteilen. Und gnädiger – mit denen, die ich zu schnell abgeschrieben habe. Weil ich weiß, wie sich Verwerfung anfühlt. Und weil ich glaube, dass Gott gerade mit den zerbrochenen, krummen, kantigen Steinen seinen Tempel baut.
Und du? Vielleicht stellst du dir beim Lesen eigene Fragen. Wo hast du dich ausgeschlossen gefühlt? Wo hast du andere ausgeschlossen? Was, wenn genau das, was du verwerfen wolltest, von Gott gerade gebraucht werden will? Nicht als Lektion. Sondern als Chance. Als Einladung.
Der Text von Markus 12,10 ist unbequem. Aber er ist auch befreiend. Weil er uns nicht dort lässt, wo wir sind. Sondern uns hineinruft in etwas Größeres. Etwas, das trägt. Auch wenn wir es nicht gleich erkennen.
Und wer weiß – vielleicht bist du selbst dieser Stein. Und vielleicht sagt Gott gerade: Dich will ich. Genau dich.
Und jetzt steigen wir gemeinsam in die Ausarbeitung ein – und legen Schicht für Schicht frei, was dieser Text über Gott, über uns und über den Umgang mit Ablehnung und Berufung wirklich sagt.
Der Text:
Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).
Markus 12,10
ELB 2006: Habt ihr nicht auch diese Schrift gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden;
SLT: Habt ihr nicht auch dieses Schriftwort gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
LU17: Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen : »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
BB: Ihr kennt doch die Stelle in der Heiligen Schrift: ›Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden.
HfA: Habt ihr nicht die folgende Schriftstelle gelesen: ›Der Stein, den die Bauarbeiter weggeworfen haben, weil sie ihn für unbrauchbar hielten, ist nun zum Grundstein des ganzen Hauses geworden.
Der Kontext:
In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.
Kurzgesagt… Jesus steht in Jerusalem – mitten im Tempel, mitten im Streit. Die Atmosphäre ist geladen. Er erzählt ein Gleichnis, das die Mächtigen nicht kaltlässt. Denn es geht nicht um irgendeinen Weinberg. Es geht um Verantwortung, Macht und den Umgang mit Gottes Reden.
Previously on Markus… Die letzten Kapitel gleichen einer aufgeladenen Woche im politischen Brennpunkt. Jesus ist nach Jerusalem gekommen, und sein erster Schritt ist bezeichnend: Er räumt im Tempel auf. Nicht leise, nicht diplomatisch – sondern mit Tischen, Tauben und Tempelwächtern. Danach wird es nicht ruhiger, im Gegenteil. Die religiöse Elite – Hohenpriester, Schriftgelehrte, Älteste – stellt ihn zur Rede: „Mit welchem Recht machst du das alles?“ Und Jesus? Antwortet nicht direkt, sondern stellt eine Gegenfrage. Und dann erzählt er dieses Gleichnis vom Weinberg. Keine harmlose Story für das Bibelgespräch am Sabbat– sondern ein scharf gezeichneter Spiegel für seine Zuhörer. Der Kontext ist also: Jesus spricht zu Leuten, die ganz genau wissen, dass sie gemeint sind.
Die Szene spielt im Herzen jüdischer Religiosität – dem Tempel. Dort, wo Gottes Nähe verortet wird, wo Opfer dargebracht werden, wo Recht gesprochen wird. Und genau dort stellt Jesus ein System infrage, das nach außen heilig wirkt, aber innerlich hohl geworden ist. Die Zuhörer – die religiösen Führer – tragen äußerlich den Segen, aber innerlich tobt eine Spannung: Sie sehen in Jesus nicht den Messias, sondern eine Bedrohung. Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Jesus weiß, dass er nicht nur provoziert, sondern eine Wahrheit ans Licht bringt, die wehtut. Die geistliche Leitung des Volkes hat sich verhärtet. Die Geschichte vom Weinberg greift eine Metapher aus Jesaja auf – Israel als Gottes Weinberg – und spielt sie weiter: Gott hat seinen Weinberg nicht aufgegeben, aber er hat ein Problem mit denen, die ihn verwalten.
Der Moment ist also richtig geladen. Nicht nur emotional, sondern heilsgeschichtlich. Jesus ist nicht mehr unterwegs in Galiläa, sondern am Ort der Entscheidung. Es ist seine letzte Woche vor dem Kreuz, und er verschwendet keine Worte mehr. Die Fronten sind klar, auch wenn sie es noch nicht wissen. Das Gleichnis ist wie ein letzter Ruf, bevor es zu spät ist.
Und mitten in diesem Gleichnis fällt der Satz, der uns heute beschäftigt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“ Kein Trostvers. Sondern ein harter, prophetischer Satz mit Gewicht. Und genau dieser Vers – Markus 12,10 – wird unser nächster Fokus sein, wenn wir uns jetzt den Schlüsselwörtern widmen. Denn hinter jedem Begriff steckt mehr, als man auf den ersten Blick sieht.
Die Schlüsselwörter:
In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.
Markus 12,10 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):
οὐδὲ τὴν γραφὴν ταύτην ἀνέγνωτε· Λίθον ὃν ἀπεδοκίμασαν οἱ οἰκοδομοῦντες, οὗτος ἐγενήθη εἰς κεφαλὴν γωνίας.
Übersetzung Markus 12,10 (Elberfelder 2006):
Habt ihr nicht auch diese Schrift gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden;«
Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter
- λίθος (lithos) – „Stein“: Ein Wort, das in der griechischen Literatur sowohl für Bausteine als auch für rohe, natürliche Steine steht. In der jüdisch-prophetischen Tradition bekommt es besondere Schwere – etwa in Jesaja 28,16 oder Psalm 118, wo ein Stein nicht nur Material, sondern Träger einer göttlichen Bewegung ist. Der „Stein“ kann Schutz sein – oder Stolperfalle. In diesem Vers: eine abgewiesene Grundlage, die plötzlich tragend wird. Nicht neutral. Sondern mit Bedeutung aufgeladen.
- ἀπεδοκίμασαν (apedokimasan) – „verwarfen“: Ein starker, finaler Begriff. Das Verb δοκιμάζω meint „prüfen, untersuchen“ – mit dem Präfix ἀπο (zurück, ab) wird daraus eine Prüfung mit negativem Ausgang. Nicht: übersehen. Sondern: getestet und für untauglich erklärt. Ein Urteil. Ein Akt bewusster Ablehnung. Hier geschieht keine Verwirrung – hier wird entschieden verworfen.
- οἰκοδομοῦντες (oikodomountes) – „die Bauleute“: Das Partizip Präsens betont die Handlung: diejenigen, die gerade bauen. Nicht Theoretiker, sondern Praktiker. Gemeint sind hier – im Zusammenhang der Parabel – die religiösen Führer, die meinen, Gottes Haus zu bauen, und dabei den entscheidenden Stein verwerfen. Das Wort trägt implizit eine Spannung: Wie kann man ein Haus bauen – und den tragenden Stein übersehen?
- ἐγενήθη (egenēthē) – „ist geworden“: Ein Passiv im Aorist – „es geschah“, „es wurde“. Das Subjekt ist nicht aktiv – der Stein wurde gemacht. Gott ist der Handelnde. Was Menschen ablehnen, wird von Gott erhoben. Das ist kein Naturgesetz, sondern eine Entscheidung: Gott macht den Verworfenen zum Fundament.
- εἰς κεφαλὴν γωνίας (eis kephalēn gōnias) – „zum Eckstein“: Das ist mehr als ein architektonisches Bild. Die „Kopf-Ecke“ meint im Hebräischen sowohl den höchsten Rang (Kopf) als auch den Verbindungs- und Tragpunkt (Ecke). Im Psalm 118 wird der Eckstein zum Symbol der Wende Gottes: Was nichts galt, wird plötzlich zentral. Jesus nimmt dieses Bild und lässt es explodieren: Der Sohn, der verworfen wurde, wird nicht nur gerettet – sondern erhöht. Der Bruch wird zur Basis.
Der Text ist gebaut wie der Stein, von dem er spricht: kantig, tragend, unerwartet zentral.
Und genau dort setzen wir jetzt an – im theologischen Kommentar. Schritt für Schritt, Stimme für Stimme.
Ein Kommentar zum Text:
Sie hatten ihn verworfen. Nicht übersehen. Nicht versehentlich übergangen. Sie hatten ihn geprüft – und dann verworfen. ἀπεδοκίμασαν (apedokimasan): Das griechische Wort steht im Aorist – einer Vergangenheitsform mit punktuellem Fokus – und trägt das Verb dokimazō in sich, das „prüfen“ bedeutet. In der Kombination mit dem Präfix apo- („weg, zurück“) bezeichnet es ein abschließendes Urteil: Nicht geeignet. Nicht tragbar. Nicht Teil des Bauplans. Und genau dieser Stein, sagt Jesus, ist zum Eckstein geworden. ἐγενήθη (egenēthē), Passivform von ginomai – „ist gemacht worden“. Die Handlung geht nicht von Menschen aus. Sie ist göttlich. Gott selbst hat den verworfenen Stein eingesetzt – gegen das Urteil der Bauleute.
Das Gleichnis, das Jesus in Markus 12 erzählt, ist kein Rätsel. Es ist ein Spiegel. Und wer zuhört, spürt schnell: Er könnte gemeint sein. Der Weinbergbesitzer ist Gott. Die Knechte sind die Propheten. Der Sohn – das ist der Messias. Die Weingärtner? Die geistliche Führung Israels. Markus lässt keinen Zweifel: „Sie wussten, dass er das Gleichnis gegen sie sagte“ (Markus 12,12). Es ist kein Missverständnis, keine Überinterpretation. Sie erkennen es. Und wollen ihn töten.
Das Gleichnis spiegelt Jesaja 5, die berühmte Weinbergsdichtung. Doch sie verlagert den Fokus: Nicht der Weinberg bringt schlechte Frucht – sondern die Pächter halten die Frucht zurück. Die Schuld liegt bei der Leitung, nicht beim Volk. Hier greift Eckhard J. Schnabel bewusst eine adventistisch anschlussfähige Linie auf, wenn er betont: „Der Weinberg bleibt im Besitz Gottes – aber seine Verwaltung wird neu geordnet“ (Eckhard J. Schnabel, Mark). Die theologische Aussage dahinter: Das Eigentumsverhältnis ändert sich nicht – aber die Verantwortung wechselt. Das ist entscheidend, um Ersatztheologie zu vermeiden und trotzdem das Gericht ernst zu nehmen.
Die Handlung des Weinbergbesitzers wirkt auf den ersten Blick naiv: Immer wieder sendet er Knechte. Und schließlich den Sohn. Aber Ambrosius – ein antiker Kirchenvater, hier vermittelt durch den Kommentar von Hall & Oden – deutet diesen Akt nicht als Unsicherheit, sondern als letzte Offenbarung: „Gott weiß, dass sie ihn nicht achten werden – aber er sendet ihn, um das Maß der Ablehnung offenbar zu machen“ (Hall & Oden, Mark). Diese Interpretation hilft, die göttliche Langmut nicht als Schwäche, sondern als Ausdruck göttlicher Geduld und Gerechtigkeit zu verstehen. William G. Johnsson formuliert denselben Punkt noch zugespitzter: „Der Sohn ist nicht naiv gesandt – er ist das Letzte“ (William G. Johnsson, Mark). Hier ist die theologische Tiefe der Sendung Jesu gemeint: Er ist der finale Ruf Gottes, nicht die Fortsetzung eines gescheiterten Plans.
Und an dieser Stelle bringt Jesus Psalm 118 ins Spiel – nicht als „nice-to-know“, sondern als theologische Schlüsselstelle: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (Markus 12,10). Das Bild stammt aus der Baupraxis, kann aber – wie schon gesagt – in der Schrift mehrere Bedeutungen tragen: Grundstein, Schlussstein oder Verbindungspunkt zweier Mauern – wie etwa in Jesaja 28,16, wo Gott selbst sagt: „Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein.“ Joel F. Williams legt den Fokus auf das demonstrative houtos – „dieser hier“ – und betont dessen funktionale Bedeutung als sprachlicher Zeigegestus. Er schreibt: „Gerade dieser, den ihr verworfen habt, ist es, den Gott wählt, um alles zu tragen“ (Joel F. Williams, Mark). Damit verdeutlicht Williams, dass der Text nicht nur von einem beliebigen Stein spricht, sondern vom bewusst zurückgewiesenen Zentrum, das Gott selbst zum Träger seines Handelns erhebt. Robert H. Stein ergänzt dazu den theologischen Gehalt dieses Vorgangs: „Der Verworfene ist nicht durch Zufall zum Eckstein geworden – es ist das Werk Gottes, und das ist in unseren Augen wunderbar“ (Robert H. Stein, Mark). Diese Aussage zeigt: Das Zitat aus Psalm 118 wird bei Markus nicht als Trostwort gelesen, sondern als göttliche Gegenansage zur menschlichen Bewertung.
Doch was bedeutet dieser Eckstein? In adventistischer Perspektive ist der Eckstein Christus als Fundament des neuen Tempels – nicht aus Stein, sondern aus Menschen, die im Glauben zu ihm gehören (vgl. Epheser 2,20; 1. Petrus 2,6). Der alte Tempel, der Ort des nationalen Stolzes, steht noch – aber er ist bereits unter dem Gericht Gottes (vgl. Markus 13,1–2). Daniel 2 nennt einen Stein, „der ohne Hände losgelöst wird“ und die Reiche dieser Welt zerschlägt. Auch dort steht der Stein für das Reich Gottes – nicht gemacht von Menschen, sondern durch Gottes Hand eingesetzt. Die Integration dieser Parallele bringt heilsgeschichtliche Weite in die Textauslegung, die bei Markus selbst schon als Andeutung mitschwingt.
Die Reaktion auf das Gleichnis bleibt abwehrend. Kein Bekenntnis. Kein Umdenken. Nur Taktik. „Sie fürchteten das Volk“ (Markus 12,12). Joel F. Williams beschreibt diesen Moment als geistliche Verhärtung: „Sie erkennen, dass es gegen sie gesagt ist – aber sie verharren in Abwehr“ (Joel F. Williams, Mark). Diese Beobachtung ist nicht bloß psychologisch, sondern theologisch brisant: Wahrheit wird erkannt – aber nicht angenommen. Römer 1 beschreibt dieses Phänomen als „Unterdrückung der Wahrheit durch Ungerechtigkeit“ (Römer 1,18). Es ist kein intellektuelles Problem – es ist ein geistliches.
Was folgt, ist Gericht. Markus 12,9 spricht es aus: „Er wird kommen und die Weingärtner töten und den Weinberg anderen geben.“ Die Sprache ist hart. Aber sie ist nicht willkürlich. Sie knüpft an die prophetische Gerichtstradition des Alten Testaments an (vgl. Jeremia 7,30–34). Grant R. Osborne mahnt an dieser Stelle: „Die Pointe liegt nicht in der Gewalt, sondern in der Langmut Gottes – der sendet weiter, obwohl Ablehnung die Regel ist“ (Grant R. Osborne, Mark). Seine Aussage begründet, warum die Gerichtsdrohung im Text nicht als göttliche Willkür zu lesen ist, sondern als Konsequenz überhörter Einladung. Die Gnade war da – bis zuletzt.
Und doch bleibt das Gericht nicht das letzte Wort. Der Eckstein ist nicht das Symbol des Scheiterns, sondern des Neubeginns. Der neue Bau entsteht nicht durch Revolution, sondern durch Umwertung. Gott schafft ein neues Volk, das Frucht bringt (vgl. Matthäus 21,43). Doch diese neue Gemeinschaft ist kein Ersatzvolk. Sie ist die Erweiterung – durch den Messias – des alten Bundes auf alle, die glauben. Mary Ann Beavis argumentiert präzise gegen eine supersessionistische Lesart: „Die Übergabe des Weinbergs richtet sich nicht gegen Israel, sondern gegen seine Führer“ (Mary Ann Beavis, Mark). Ihre Aussage ist wesentlich, um den späteren Gemeindeaufbau im NT nicht als Akt der Verwerfung, sondern der Öffnung zu lesen. In dieselbe Linie stellt sich Origenes: „Die Kirche ist nicht der neue Weinberg – sie ist das neue Werkzeug“ (Hall & Oden, Mark). Damit wird klar: Die Berufung bleibt bestehen. Aber das Werkzeug wechselt.
Was bleibt? Ein Stein, verworfen. Eine Stimme, ignoriert. Ein Gericht, das angekündigt ist. Und ein Bau, den Gott trotzdem errichtet. Was Menschen verworfen haben, bleibt in Gottes Hand nicht unbrauchbar. Das ist das stille Evangelium dieses Textes. Und es ist nicht sentimental. Es ist ernst.
Denn die Frage bleibt offen: Wie verhalte ich mich zu dem, was ich für ungeeignet halte – und was Gott vielleicht gerade deswegen erwählt? Wer heute Christus ablehnt, weil er nicht in das eigene System passt, ist vielleicht nicht weit entfernt von den Bauleuten.
Jetzt öffnen wir den Text zur SPACE-Anwendung – als Raum, in dem das theologisch Erkannte geistlich bewegt werden kann. Und am Ende steht die Frage, die nicht laut werden muss, um zu treffen:
Was, wenn Gott gerade mit dem baut, was ich längst aus meiner Planung gestrichen habe?
Die SPACE-Anwendung*
Die SPACE-Anwendung ist eine Methode, um biblische Texte praktisch auf das tägliche Leben anzuwenden. Sie besteht aus fünf Schritten, die jeweils durch die Anfangsbuchstaben von „SPACE“ repräsentiert werden:
Sünde (Sin)
Was ich an diesem Text kaum überlesen kann – und trotzdem innerlich am liebsten umschiffen würde – ist diese nüchterne Beobachtung: Die Verwerfung geschieht nicht aus Versehen, sondern aus Entscheidung. Es ist nicht Ignoranz, es ist Widerstand. Die Bauleute prüfen den Stein, beurteilen ihn – und erklären ihn für ungeeignet. Und das, obwohl sie bauen. Sie sind nicht passiv. Sie sind theologisch aktiv – aber in die falsche Richtung. Es ist nicht der Unglaube der Ahnungslosen, sondern das selbstsichere Urteilen der Frommen.
Ich merke, wie leicht es ist, sich in dieser Geschichte auf der Seite Gottes zu wähnen. Aber der Text fragt nicht: „Hast du das Gleichnis verstanden?“ Sondern: Was tust du, wenn du erkennst, dass du gemeint bist – und trotzdem weitermachst? Und da wird’s eng. Weil genau das die Sünde ist, die hier aufgedeckt wird: Erkennen – und trotzdem verwerfen. Wahrheit sehen. Aber sich weigern, sie zu tragen. Vielleicht, weil sie nicht ins eigene Baukonzept passt. Vielleicht, weil man längst etwas anderes geplant hat.
Und es ist diese Form von Widerstand, die am gefährlichsten ist: Wenn man sich selbst für den Baumeister hält – und nicht mehr für den, der auf den wahren Eckstein angewiesen ist. Nicht einmal böse gemeint. Aber tief falsch. Und damit zerstörerisch.
Verheißung (Promise)
Hast du dich mal gefragt, was Gott mit den Dingen macht, die wir aussortiert haben? Ich meine, ernsthaft: Was passiert mit den Teilen in deinem Leben, über die du das Urteil gesprochen hast: „Unbrauchbar“? Ich finde den Gedanken erstaunlich tröstlich – und ein bisschen provokant: Gott hebt auf, was wir wegwerfen. Und manchmal baut er gerade damit.
Der verworfene Stein wird nicht einfach irgendwie eingebaut. Er wird Eckstein. Das heißt: tragend. Haltepunkt. Orientierung für alles Weitere. Und das nicht, weil wir umdenken, sondern weil Gott handelt. Das ist mehr als Hoffnung – das ist eine Zusage: Gottes Handeln ist nicht abhängig von unserem Urteil. Und manchmal tut er genau das Gegenteil von dem, was wir für logisch halten.
Und dann dieser Nebensatz im Zitat: „Das ist vom Herrn geschehen und es ist wunderbar in unseren Augen.“ Vielleicht ist das die Verheißung in diesem Text: Gott kann aus der Ablehnung etwas machen, das uns neu staunen lässt. Nicht sentimental. Sondern real. Und darum nicht berechenbar.
Aktion (Action)
Vielleicht denkst du jetzt: „Okay, das ist eine starke Zusage – aber was mach ich damit?“ Ich frag mich das auch. Und eine erste ehrliche Antwort wäre: Vielleicht einfach mal stillhalten, wenn ich merke, dass ich schon wieder urteile. Wenn mein innerer Bauplan schon feststeht. Wenn ich merke, dass ich gerade etwas bewerte – einen Menschen, eine Idee, eine Entscheidung – und mich frage: Passt das in mein Schema? Vielleicht wäre der erste Schritt: Nicht sofort bewerten. Sondern nochmal hinschauen. Noch genauer. Und dann: beten, nicht beurteilen.
Ich weiß, das klingt fast zu einfach. Aber die meisten Verwerfungen beginnen nicht mit Gewalt, sondern mit einem leisen „Das passt nicht“. Und dann bleibt es draußen. Aus dem Blick. Aus dem Herzen. Der Text lädt mich ein, aufmerksamer zu sein gegenüber dem, was ich vorschnell aussortiere. Vielleicht ist da ein Wort, das mich stört. Eine Person, die mir querkommt. Ein Moment, der mich irritiert. Was wäre, wenn genau das der „Stein“ ist, den Gott einsetzen will?
Und dann ein zweiter Gedanke – fast ein Gegenschritt: Ich darf mich selbst auch neu sehen. Vielleicht hab ich selbst erlebt, was es heißt, verworfen zu werden. Vielleicht gibt’s in meinem Leben Dinge, die andere – oder ich selbst – aussortiert haben. Der Text sagt: Gott sieht das. Und er kann genau das gebrauchen. Das verändert nicht sofort alles. Aber es verändert, wie ich hinschaue. Und vielleicht ist das der erste Schritt, der zählt.
Appell (Command)
Wenn es in diesem Text einen inneren Ruf gibt, dann ist es nicht der: „Reiß dich zusammen.“ Sondern eher: „Lass dich hinterfragen.“ Nicht von den anderen. Sondern vom Wort. Von diesem Gleichnis. Es fragt mich: Wie baust du? Was verwerfst du? Wem hörst du zu – und wem nicht?
Und vielleicht liegt darin schon der Appell: Hör nicht auf zu prüfen. Aber hör auf, allein zu urteilen. Du bist nicht der Baumeister. Du bist Mitbauer. Und der Plan liegt nicht in deiner Hand. Der Eckstein ist schon gelegt – es geht jetzt um Ausrichtung, nicht um Kontrolle.
Beispiel (Example)
Für diesen Text ist es fast zu naheliegend, aber wie könnte ich nicht über Petrus sprechen? Der Typ, der Jesus verraten hat – dreimal, mit Nachdruck. Für die meisten hätte das gereicht. Unbrauchbar. Und trotzdem wird er später zum tragenden Stein in der jungen Gemeinde. Nicht, weil er sich rehabilitiert hat – sondern weil Jesus ihn aufhebt. Wiederherstellt. Einsetzt.
Und dann Judas. Ja, ich weiß – den hatten wir schon öfter. Aber in diesem Text tut er weh. Weil er auch den Sohn gesehen hat. Weil er dazugehört hat. Weil er hätte umkehren können. Und es nicht tat. Vielleicht war der Unterschied zu Petrus gar nicht so groß – aber groß genug. Es ist der Unterschied zwischen „Ich sehe, dass ich gemeint bin“ – und: „Ich kehre zurück.“
Jetzt ist ein guter Moment, um mit der persönlichen Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung weiterzugehen. Es geht nicht mehr darum, zu analysieren oder zu erklären – sondern zu spüren, was dieser Text mit meinem Innersten macht.
Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:
In diesem letzten Schritt habe ich das erstellt was du am Anfang gelesen hast… es ging nicht mehr darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Ich stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.
Zu dem, können dir vielleicht auch diese Fragen helfen:
1. Wann hast du das letzte Mal bewusst etwas oder jemanden verworfen – vielleicht leise, vielleicht entschieden – und spürst heute, dass Gott vielleicht doch damit hätte bauen wollen?
Diese Frage zielt auf das persönliche Erleben von Fehlurteilen ab. Nicht nur große Lebensentscheidungen, sondern auch alltägliche kleine Urteile: Menschen, Projekte, Gedanken, die du früh beiseitegelegt hast – und später spürtest: Da war vielleicht mehr drin. Es geht um Reue, um Wachwerden, aber auch um Wiederentdecken.
2. Wo in deinem Leben fühlst du dich selbst wie ein „verlorener Stein“ – geprüft, aussortiert, als unbrauchbar empfunden – und wünschst dir insgeheim, dass Gott gerade daraus noch etwas Tragendes macht?
Hier geht’s nicht um Selbstmitleid, sondern um diese leisen Stellen im eigenen Herzen, die sich übersehen oder ausgegrenzt fühlen – ob durch andere oder durch sich selbst. Es geht darum, den Schmerz der Verwerfung zu benennen – und gleichzeitig die Hoffnung, dass Gott es doch sieht. Dieser Teil kann sehr nah werden, darum nimm dir die Freiheit, so tief zu antworten, wie du magst.
3. Hast du eine Erfahrung, in der du erkannt hast, dass du selbst zu den „Bauleuten“ gehört hast – und nicht zu denjenigen, die auf den Eckstein gebaut haben? Und wenn ja: Was hat das mit dir gemacht?
Diese Frage versucht, das Gleichnis noch direkter zu personalisieren: Nicht als Beobachter, sondern als Beteiligter. Sie greift die Stelle im Text auf, wo das Erkennen nicht zur Umkehr führt. Der Fokus liegt auf: Selbsterkenntnis, Scheitern, Reaktion – und was sich daraus im Glauben verändert hat.
Zentrale Punkte der Ausarbeitung
- Verwerfung ist nicht das Ende – sondern oft der Anfang von etwas, das trägt.
- Markus 12,10 zeigt nicht nur eine alte Prophetie, sondern eine geistliche Realität, die sich bis heute durchzieht: Gott baut mit dem, was Menschen aussortieren. Der verworfene Stein wird zum Grundstein – nicht trotz der Ablehnung, sondern genau deshalb.
- Das bedeutet: Ablehnung definiert dich nicht. Weder durch andere, noch durch dich selbst. Gottes Blick bricht diese Definition auf.
- Jesus ist der verworfene Stein – und er versteht deine Wunden.
- Dieser Text macht deutlich: Wenn du in Jesu Augen schaust, siehst du jemanden, der selbst verworfen wurde. Nicht als Theologiethema – sondern als Erfahrung.
- Dein Schmerz ist bei ihm nicht fremd, sondern vertraut. Er kennt den Blick, der dich für „nicht brauchbar“ erklärt. Und genau deshalb begegnet er dir ohne Urteil.
- Wir verwerfen andere – leise, schnell, oft unbewusst.
- Der Text hält uns auch einen Spiegel vor: Wo schließe ich andere aus, ohne es zu merken?
- Es geht nicht um Schuldgefühle. Aber um Wachheit: Vielleicht ist der Mensch, den ich gerade innerlich ablehne, derjenige, mit dem Gott gerade bauen will.
- Gott denkt anders. Und das ist gut so.
- Unser System basiert auf Effizienz, Brauchbarkeit, Eindruck. Gott aber schaut tiefer – und entscheidet anders.
- Das Evangelium ist keine Erfolgsstory. Es ist ein Befreiungsweg für Verworfene – und eine heilsame Provokation für die Selbstsicheren.
- Du darfst dich neu verorten – als Teil von Gottes Bauplan.
- Du bist kein loser Stein. Du bist gedacht. Eingepasst. Mitgetragen.
- Wenn du heute das Gefühl hast, am Rand zu stehen – vielleicht hat Gott genau dort schon angefangen zu bauen.
Warum ist das wichtig für mich?
- Weil ich meine eigene Geschichte mit Ablehnung ernst nehmen darf – ohne mich davon definieren zu lassen.
- Was Menschen weglegen, kann bei Gott zur Grundlage werden. Das ändert nicht die Vergangenheit – aber den Blick nach vorn.
- Weil ich meine Urteile über andere hinterfragen darf – ohne den Mut zu verlieren.
- Der Text lädt mich ein, neu hinzusehen. Nicht vorschnell zu sortieren, sondern wahrzunehmen: Wer steht gerade am Rand – und warum?
- Weil mein Glaube konkreter wird, wenn ich begreife: Jesus war nicht nur der Messias, sondern der Missverstandene.
- Ich kann mich mit ihm identifizieren – nicht in seinem Triumph, sondern in seiner Ablehnung. Und darin liegt echte Nähe.
- Weil ich mich neu fragen darf, wo und mit wem Gott heute baut.
- Vielleicht nicht mit den Perfekten, sondern mit den Übersehenen. Vielleicht sogar mit mir – gerade heute.
Der Mehrwert dieser Erkenntnis
- Ich lerne, meine eigene Geschichte nicht nur als Bruch, sondern als Rohmaterial für Hoffnung zu sehen.
- Ich werde sensibler für stille Ausgrenzung – im Denken, im Umgang, im Glauben.
- Ich entdecke Jesus nicht als Idealbild, sondern als Mitverworfenen, der mit mir steht.
- Ich bekomme eine neue Perspektive auf Gemeinde: nicht als Ort der Perfekten, sondern als Bauwerk aus krummen Steinen – getragen vom Eckstein.
Kurz gesagt: Dieser Text öffnet eine Tür – für alle, die irgendwann das Gefühl hatten, „nicht zu passen“. Vielleicht war das nicht das Ende. Vielleicht war es der Anfang.
*Die SPACE-Analyse im Detail:
Sünde (Sin): In diesem Schritt überlegst du, ob der Bibeltext eine spezifische Sünde aufzeigt, vor der du dich hüten solltest. Es geht darum, persönliche Fehler oder falsche Verhaltensweisen zu erkennen, die der Text anspricht. Sprich, Sünde, wird hier als Verfehlung gegenüber den „Lebens fördernden Standards“ definiert.
Verheißung (Promise): Hier suchst du nach Verheißungen in dem Text. Das können Zusagen Gottes sein, die dir Mut, Hoffnung oder Trost geben. Diese Verheißungen sind Erinnerungen an Gottes Charakter und seine treue Fürsorge.
Aktion (Action): Dieser Teil betrachtet, welche Handlungen oder Verhaltensänderungen der Text vorschlägt. Es geht um konkrete Schritte, die du unternehmen kannst, um deinen Glauben in die Tat umzusetzen.
Appell (Command): Hier identifizierst du, ob es in dem Text ein direktes Gebot oder eine Aufforderung gibt, die Gott an seine Leser richtet. Dieser Schritt hilft dir, Gottes Willen für dein Leben besser zu verstehen.
Beispiel (Example): Schließlich suchst du nach Beispielen im Text, die du nachahmen (oder manchmal auch vermeiden) solltest. Das können Handlungen oder Charaktereigenschaften von Personen in der Bibel sein, die als Vorbild dienen.
Diese Methode hilft dabei, die Bibel nicht nur als historisches oder spirituelles Dokument zu lesen, sondern sie auch praktisch und persönlich anzuwenden. Sie dient dazu, das Wort Gottes lebendig und relevant im Alltag zu machen.
