Johannes 20,21 Wenn Angst bleibt, kommt Friede → „Jesus sagte noch einmal: »Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich jetzt euch!«

Fettgedrucktes für schnell Leser…

Einleitender Impuls:

Ich sehe den Abend vor mir: Türen verriegelt, die Luft schwer, keiner spricht von Hoffnung. Die Freunde Jesu hocken zusammen, verunsichert, überfordert – und alles, was sie bewegt, ist: Was passiert, wenn das Leben nie wieder so wird wie früher? Gerade da tritt Jesus in die Mitte, ohne Vorwürfe, ohne Programm. Sein erstes Wort ist Friede. Kein Appell, sondern ein Geschenk. Ein Friede, der nicht nur die Starken meint, sondern die, die gerade nicht weiterwissen.

Vielleicht kennst du das: Die Angst. Das, was dich nachts wachhält zu zeigen. Anzusprechen. Die Sorge, was morgen kommt – oder was andere von dir denken. Es kann auch der Stress im Job sein, die Sorge um jemanden, den du liebst. Das Unausgesprochene in der Familie. Oder einfach die Angst, dich zu zeigen, wie du bist. Genau in solche Räume möchte Jesus hinein.

Angst ist nicht das Hindernis, sondern oft der Startpunkt einer echten Begegnung.

Mich berührt, dass Jesus seinen Frieden zuspricht, bevor er einen Auftrag gibt. Dass er Thomas später seine Wunden zeigt, sich berühren lässt. Er hält das Unfertige aus. Er segnet, was zittert. Und vielleicht ist genau das ist die Einladung: Nicht erst zu gehen, wenn du keine Angst mehr hast – sondern weil ihn in die verschlossenen Räumen deines Lebens rein lässt.

Wo verschließt du heute Türen aus Angst – und was könnte passieren, wenn du Jesus genau da einlädst, wo du am wenigsten Kontrolle hast?

Ich frage dich das, weil ich glaube: Die größte Verheißung liegt nicht darin, mutig zu sein, sondern ehrlich. Das Risiko ist, sich verwundbar zu zeigen. Die Verheißung ist: Gerade dort, wo du Frieden am meisten brauchst, will er dir begegnen – nicht immer als Lösung, aber immer als lebendige Nähe.

Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:

  1. Wo lässt du Angst bestimmen, welche Türen in deinem Leben offen oder zu bleiben? Mit dieser Frage möchte ich dich anregen, ehrlich auf die Bereiche zu schauen, die du aus Unsicherheit verschließt – nicht um sie sofort zu ändern, sondern um sie wahrzunehmen und vielleicht erstmals zu benennen.
  2. Wie gehst du damit um, wenn dich Gottes Auftrag trifft, während du dich noch nicht bereit fühlst? Hier geht es um die Spannung zwischen dem Gefühl des Unfertigseins und der Erfahrung, dass Gott dich trotzdem sendet. Es ist eine Einladung, diese Spannung nicht als Mangel zu deuten, sondern als Teil des Weges.
  3. Wem könntest du heute etwas von dem Frieden weitergeben, den du selbst am meisten brauchst? Diese Frage lädt dich ein, den Blick von dir selbst auf andere zu lenken und darüber nachzudenken, wie aus deinem eigenen Ringen um Frieden vielleicht eine kleine Geste der Versöhnung werden könnte – auch wenn du dich selbst unsicher fühlst.

Parallele Bibeltexte als Slogans mit Anwendung:

Psalm 34,5 – „Die, die auf ihn sehen, strahlen vor Freude.“ → Vielleicht brauchst du kein fertiges Gebet, sondern nur den Mut, den Blick zu heben und ehrlich zu sein, wie du bist.

Philipper 4,7 – „Ein Friede, der alles übersteigt.“ → Gottes Friede ist manchmal weniger die Lösung als vielmehr die Kraft, das Unfertige zu tragen.

Matthäus 11,28 – „Kommt her, die ihr müde seid.“ → Du musst nicht alles schaffen – manchmal reicht es, einfach zu kommen.

2. Timotheus 1,7 – „Nicht der Geist der Angst.“ → Gottes Geist ist keine Garantie für Angstfreiheit, aber eine Einladung, neu zu vertrauen, auch wenn das Herz noch zittert.

Nimm dir doch heute mal 20 Minuten, um die ganze Betrachtung in Ruhe zu lesen – vielleicht merkst du dabei, dass es gar nicht darum geht, alles sofort zu lösen, sondern ehrlich anzufangen.

Ausarbeitung zum Impuls

Nimm dir einen Moment, um zur Ruhe zu kommen. Lass uns gemeinsam innehalten und diesen Abschnitt mit einem Gebet beginnen.

Lieber Vater, danke, dass wir jetzt hier zusammensitzen können – trotz all der verschlossenen Türen in unserem Alltag. Danke, dass du mitten unter uns stehst, auch wenn wir manchmal mehr Angst als Glauben spüren. Deine Nähe ist oft leiser als wir erwarten, aber sie ist echt. Du schenkst Frieden, wo wir ihn nicht machen können. Danke, dass du uns mit deinem Geist neu belebst, so wie du damals deine Jünger angehaucht hast. Lass uns heute erfahren, dass echter Frieden mehr ist als ein Wort – er ist deine Gegenwart inmitten von Angst, Zweifel und Unsicherheit. Hilf uns, deine Sendung zu leben, und schenke uns offene Augen und offene Herzen. Im Namen Jesu,

Amen.

Dann lass uns gemeinsam in die Ausarbeitung von Johannes 20,19-31 eintauchen und entdecken, was dieser Text heute für uns bedeutet.

Persönliche Identifikation mit dem Text und der Ausarbeitung:

In diesem Ersten Abschnitt geht es nicht darum, den Text zu erklären – sondern ihm zuzuhören. Es ist eigentlich der Letze schritt der Ausarbeitung gewesen, der den Ich nach allen anderen Schritten gegangen bin, die du danach lesen kannst… Ich versuche den Text zu sehen, zu hören zu fühlen und stelle mir die leisen, ehrlichen „W“-Fragen: Was spricht mich an? Was bleibt unausgesprochen? Warum bewegt mich das gerade jetzt? Ich frage mich, wie dieser Vers meinen Alltag berühren kann – nicht theoretisch, sondern greifbar. Und ich spüre nach, was das mit meinem Glauben macht – ob es trägt, fordert, tröstet oder alles zugleich. Am Ende suche ich nicht die perfekte Antwort, sondern eine aufrichtige Reaktion: Was nehme ich mit – ganz persönlich, im Herzen, im Leben, im Blick auf Gott.

Also, bereit?

Ich spreche über Johannes 20,19–23 – über die Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen, die Worte vom Frieden, die Sendung, den Atem Gottes. Ich sehe diese Szene wie auf einer riesigen Leinwand: Ein kleiner Raum, die Luft schwer von Angst. Gesichter, die nach Antworten suchen, zu müde zum Träumen. Die Tür verriegelt, nicht aus Trotz, sondern aus purem Schutzreflex. Doch plötzlich: Jesus steht mitten im Raum. Für einen Moment hält die Welt den Atem an. Ich merke: Das ist keine Heldengeschichte, das ist ein Kapitel voller Brüchigkeit. Ausgerechnet hier – im Zentrum der Angst – spricht er „Friede euch“. Das Wort Friede klingt nach mehr als Beruhigung, eher wie eine unerwartete Einladung, das Leben nicht mehr gegen das Dunkle zu verteidigen. Es ist keine Nahaufnahme auf die Starken, sondern auf die Zerbrechlichen.

Ich höre: Jesus redet nicht von Erfolg, sondern von Frieden. Kein Appell, keine Strategie, kein Programm. Nur Friede – ein Wort, das tröstet und herausfordert. Ich höre den Sound der gelesenen Autoren, die einander ergänzen und widersprechen: Friede als schöpferischer Akt (Borchert), Friede als neue Existenz (Ridderbos), Friede als Anfang der Schöpfung (Keil). Es bleibt leise, fast tastend. Es gibt keine perfekte Anleitung, wie man Angst ablegt. Das sagt der Text nicht. Es gibt keinen moralischen Imperativ, sondern ein Geschenk, das ich erst annehmen muss – und vielleicht nie ganz fassen kann.

Dann kommt das Senden. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ In mir ringt der Gedanke: Ist das überhaupt fair? Sind die Jünger nicht überfordert? Der Kommentar bringt Stimmen, die das als Teilhabe an Gottes Mission lesen – nicht als bloßes Nachmachen. Das beruhigt mich, weil es mich entlastet: Ich soll nicht der Retter sein, nur Träger eines Auftrags, der größer ist als ich. Die Balance von Geschenk und Auftrag, von Frieden und Verantwortung, bleibt fragil. Ich merke, dass ich geneigt bin, in Aktionismus zu verfallen – doch der Text hält mich zurück: Mission ist kein Sprint, sondern der stille Schritt hinter dem, der zuerst gesandt wurde. Das Wort ἀποστέλλωapostellō – schwingt nach: gesandt, aber nicht allein.

Ich spüre den Atem im Text – das „Anhauchen“ Jesu. Es ist mehr als Symbol, es ist Zuspruch: Du bist nicht aus dir selbst heraus Kirche, du wirst es durch das, was dir gegeben wird. Im Geist, πνεῦμαpneuma, liegt keine Überforderung, sondern ein Versprechen: Gottes Nähe in meiner Unsicherheit. Die Bruchstelle bleibt: Die Geistgabe ist immer Gabe und Auftrag, nicht mein Verdienst. Das trifft einen Nerv in mir – weil ich oft so sehr nach Sicherheit lechze und doch eingeladen bin, aus dem Empfangenen zu leben.

Und dann diese Verse über die Sündenvergebung. Da regt sich Widerstand in mir. Wer bin ich, um zu vergeben? Doch die Auslegung zeigt: Es geht nicht um Macht, sondern um Dienst. Vergebung ist nicht Besitz der Kirche, sondern Aufgabe in einer zerbrechlichen Welt. Ich merke, wie schnell ich entweder zu streng oder zu gleichgültig werden kann. Es bleibt ein Weg auf der schmalen Linie zwischen Urteil und Gnade.

Glaube ohne Sehen – das hat mich schon immer beschäftigt. Was, wenn ich nicht fühlen, nicht sehen, nicht sicher sein kann? Der Text lässt den Raum offen. Thomas bleibt, wie ich, auf der Schwelle. Es gibt keinen Zwang zum Glauben – aber ein stilles Angebot, das eigene Fragen, den eigenen Zweifel zu integrieren. Selig, wer sich an das Wort hält, auch wenn die Hände leer bleiben. Das fordert mich heraus, gibt mir aber auch Halt: Glaube ist kein Machtakt, sondern ein Leben im Gespräch mit dem, der sich zeigt, aber nicht greifbar bleibt.

Was bleibt? Diese Geschichte fordert mich auf, die eigenen verschlossenen Türen nicht als Niederlage zu lesen, sondern als den Ort, wo der Friede Christi einkehren kann. Sie lässt mich erkennen: Sendung beginnt nicht mit Siegern, sondern mit Verwundeten. Glaube wächst nicht aus Gewissheit, sondern aus dem Ringen, das Geschenk des Friedens zu empfangen und weiterzugeben – mit leeren, oft zögerlichen Händen.

Ich lade dich ein, diese Szene mit deinen Augen zu sehen, mit deinem Ohr zu hören, mit deinem Herzen zu fühlen – und dann mit mir durch die Ausarbeitung zu gehen. Hier endet meine Antwort, aber vielleicht beginnt hier deine.

Der Text:

Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).

Johannes 20,21

ELB 2006: Jesus sprach nun wieder zu ihnen: Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch.

SLT: Da sprach Jesus wiederum zu ihnen: Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

LU17: Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

BB: Jesus sagte noch einmal: »Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich jetzt euch!«

HfA: Jesus sagte noch einmal: »Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich jetzt euch!«

Der Kontext:

In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.

Kurzgesagt: Wir sind am Abend des allerersten Ostersonntags. Die Jünger hocken verunsichert und mit angeknackstem Mut hinter verschlossenen Türen, als plötzlich Jesus leibhaftig in ihrer Mitte steht. Es ist der Moment, in dem aus verängstigten Anhängern langsam eine sendungsbewusste Gemeinschaft wird.

Previously on Johannes-Evangelium: Drei Jahre lang sind Jesus und seine Jünger durchs Land gezogen, haben gepredigt, geheilt, gefeiert, gestritten. Doch dann kam die Eskalation in Jerusalem: Festnahme, Kreuzigung, Grab – das große Aus. Einige Frauen entdecken früh am Morgen das leere Grab, erzählen von einer Begegnung mit dem Auferstandenen. Petrus und Johannes rennen, Maria von Magdala weint, erkennt Jesus, berichtet – aber die Männer können’s noch nicht fassen. Die Lage ist maximal unsicher: Gerüchte machen die Runde, niemand weiß, wem zu trauen ist. Und jetzt? Die Jünger haben sich eingeschlossen, nicht wegen frommer Einkehr, sondern aus Angst vor den religiösen Führern, die ihren Meister schon ans Kreuz gebracht haben.

Was steckt hinter der Szene? Die religiöse Landschaft ist angespannt: Nach dem Tod Jesu herrscht Verwirrung, Unsicherheit und eine ziemlich dichte Angstwolke. Die Jünger sind nicht gerade Helden des Glaubens – sie wirken wie eine Truppe, die gerade alles verloren hat: ihren Lehrer, ihre Hoffnung, ihre Sicherheit. Dazu die Gefahr, dass die römischen oder jüdischen Behörden auch gegen sie vorgehen könnten. In diesem Klima von Unsicherheit, Trauer und Abschottung taucht Jesus plötzlich auf, nicht wie ein Gespenst, sondern ganz real – und spricht von Frieden. Das war kein theologisches Seminar, sondern pure Lebenskrise: Die Welt der Jünger stand Kopf, alles bisher Geglaubte war auf dem Prüfstand. Die Begegnung mit dem Auferstandenen reißt sie raus aus der Defensive und leitet – zumindest vorsichtig – eine Wende ein.

Worum geht’s eigentlich? Der Evangelist Johannes schreibt an Menschen, die wissen müssen: Das mit Jesus ist nicht einfach abgehakt, sondern geht weiter – und zwar durch die, die jetzt hinter verschlossenen Türen sitzen. Es geht um den Startpunkt von christlicher Gemeinschaft, nicht aus eigener Kraft, sondern weil jemand mitten in ihrer Angst auftaucht und ihnen neue Richtung gibt. Kein Heldenepos, sondern ein ehrlicher Moment, in dem Glaube überhaupt erst Boden unter den Füßen bekommt.

Als nächstes steigen wir ein in die Schlüsselwörter und Leitbegriffe des Textes – da wird’s spannend, weil sich dahinter meist mehr verbirgt als es auf den ersten Blick aussieht.

Die Schlüsselwörter:

In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.

Johannes 20,21 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):

εἶπεν οὖν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς πάλιν· Εἰρήνη ὑμῖν· καθὼς ἀπέσταλκέν με ὁ πατήρ, κἀγὼ πέμπω ὑμᾶς.

Übersetzung Johannes 20,21 (Elberfelder 2006):

Jesus sprach nun wieder zu ihnen: Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch.

Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter

  • εἰρήνη (eirēnē) – „Friede“: Ursprünglich nicht einfach die Abwesenheit von Krieg, sondern ein umfassendes Wohlsein, Ganzsein, Heil. In der jüdischen Tradition schalom – Gottes Segen, Versöhnung, das Aufatmen, wenn alles wieder an seinen Platz fällt. Im Kontext von Johannes: mehr als ein netter Gruß. Es ist das Erfüllen einer Verheißung, ein Geschenk aus einer anderen Wirklichkeit – und eine Brücke zwischen der alten Angst und dem neuen Auftrag.
  • ἀπέσταλκέν (apestalken) – „hat gesandt“: Perfektform, zeigt ein vollendetes und gleichzeitig andauerndes Geschehen. Der Vater hat Jesus nicht nur einmal losgeschickt – diese Sendung ist ein bleibender Zustand. Das Wort steckt voller theologischer Sprengkraft: „apostellō“ ist Ursprung von „Apostel“; es bedeutet, jemand wird als offizieller Beauftragter, mit Autorität und Auftrag, zu einem bestimmten Ziel gesandt.
  • πέμπω (pempō) – „sende“: Präsens, aktiver Prozess. Hier ist nicht einfach nur ein Nachahmen gemeint, sondern ein Weiterführen des Auftrags. Jesus sendet nicht aus sich heraus, sondern in der Linie und Vollmacht des Vaters. Der Unterschied zwischen ἀποστέλλω und πέμπω ist fein, aber bedeutsam: Während „apostellō“ meist den göttlichen Auftrag betont, ist „pempō“ im Johannesevangelium das Wort für die neue Stufe der Sendung – von Jesus auf die Jünger übertragen.
  • καθὼς (kathōs) – „wie/gleichwie“: Vergleichende Konjunktion, macht deutlich: Die Art und Weise, wie Jesus von Gott in die Welt geschickt wurde, ist jetzt das Maß, an dem sich der Auftrag der Jünger orientiert. Keine billige Kopie, sondern Teilnahme am selben Auftrag, mit derselben Richtung, aber jeweils eigener Rolle.
  • πατήρ (patēr) – „Vater“: Im Johannesevangelium mehr als nur ein Titel – die Quelle der Autorität, Beziehung, Identität. Der Vater ist Ursprung, Sendender, Liebender, Maßstab allen Handelns Jesu und seiner Jünger.
  • κἀγὼ (kagō) – „und ich/auch ich“: Verstärkt, dass hier ein entscheidender Rollenwechsel stattfindet. Jesus übernimmt die „Vaterrolle“ für die Jünger – was Er vom Vater empfangen hat, gibt er jetzt weiter.
  • ὑμῖν / ὑμᾶς (hymin/hymas) – „euch“: Adressaten sind die Jünger als Gruppe – nicht Einzelne, sondern die Gemeinschaft, die Jesus nach seiner Auferstehung als neuen Träger des Auftrags bestimmt.

Damit ist die Bühne bereitet, um im nächsten Schritt den theologischen Gehalt und die Spannungen dieser „Sendung“ zu beleuchten – was das konkret für die Jünger, für die Gemeinde und für uns bedeutet.

Ein Kommentar zum Text:

Theologische Grundlage

Wer den Abend des ersten Tages der Woche betritt, wie ihn Johannes 20,19–23 erzählt, betritt eine Welt zwischen Hoffnung und Angst. Die Jünger sind versammelt, aber ihre Gemeinschaft ist keine aus Stärke. Sie fürchten sich, schließen die Türen – und sind damit Sinnbild einer Gemeinde, die zwischen gestern und morgen, zwischen Karfreitag und Ostern lebt. Im Johannesevangelium ist diese Szene bewusst komprimiert: Alle Stränge – Furcht, Begegnung, Auftrag, Geist, Vergebung, Zweifel – laufen hier zusammen. Es ist ein Text, der nicht nur von Kirche erzählt, sondern sie im Moment ihres Entstehens zeigt.

Der historische Kontext bleibt oft unsichtbar: Die Jünger stehen als Juden unter römischer Herrschaft, in einer religiösen Landschaft voller Spannungen und Unsicherheit. Die Angst ist real, die Zukunft offen. Hinter den verschlossenen Türen beginnt die Gemeinde, aber nicht als geordnetes System, sondern als fragile Bewegung der Hoffnung. In diesem Moment, so erzählen es Borchert und Keil, „kann nichts den Auferstandenen aufhalten – nicht Stein, nicht Grab, nicht verschlossene Türen“ (Borchert, John 12–21). Es ist der Auferstandene, der die Schwelle der Angst durchbricht.

Sein erstes Wort ist εἰρήνη ὑμῖν – (eirēnē hymin) – „Friede euch“. Dieses εἰρήνη ist kein höflicher Wunsch, sondern ein schöpferisches, theologisch aufgeladenes Wort. Im Alten Testament steht šālôm für das umfassende Heil, für das „Ganzsein“ des Lebens, für einen Frieden, den Gott schafft (vgl. Jesaja 9,5; Psalm 85,9). Im Kontext von Johannes erfüllt Jesus hier die Verheißung seiner Abschiedsreden („Meinen Frieden gebe ich euch“ – Johannes 14,27). Dieser Friede ist nicht das Schweigen nach dem Sturm, sondern ein Zustand, in dem die Welt Gottes inmitten von Angst und Unfrieden greifbar wird. Borchert betont: „Dieser Friede ist nicht menschlich gemacht, sondern ein Zeichen göttlicher Neuschöpfung.“ (Borchert, John 12–21). Was heißt das? Friede wird hier nicht als individuelles Gefühl, sondern als konkrete, erfahrbare Wirklichkeit geschenkt – als neue Grundlage für Gemeinschaft.

Das Urtextwort für die Jünger ist μαθηταὶ – (mathētai), „Lernende, Nachfolger“. Ihr Glaube ist kein Besitz, sondern ein Prozess. Die Chiasmus-Struktur der Szene betont die Bewegung von Angst zu Freude, von Ohnmacht zu Auftrag: Die Jünger werden zu Empfängern des Friedens und zu Zeugen der Auferstehung. Keil schreibt: „Friede euch ist der Anfang der neuen Schöpfung, nicht bloß höfliche Begrüßung.“ (Keil, Commentar über das Evangelium des Johannes). Der Friede Jesu ist nicht nur Beruhigung, sondern Beginn einer neuen Wirklichkeit – so verstehe ich es auch aus meiner theologischen Perspektive, in der Shalom immer den ganzen Menschen und die Gemeinschaft meint.

Was dann folgt, ist kein theologischer Monolog. Jesus zeigt seine Wunden (χεῖρας καὶ πλευρὰνcheiras kai pleuran), die Zeichen seiner Kreuzigung. Ridderbos formuliert: „Der Friede, den Jesus bringt, ist kein psychologisches Gefühl, sondern die neue Existenz im Sieg über den Tod.“ (Ridderbos, The Gospel of John). Damit macht der Text klar: Glaube ist keine Verdrängung der Geschichte. Die Wunden bleiben sichtbar, sie werden zum Siegel der neuen Wirklichkeit. Die Gemeinde lebt aus der Geschichte Jesu, aus seinem Tod und seiner Auferstehung – nicht aus Mythen oder Abstraktionen. In meiner Theologie ist dies wesentlich: Die Inkarnation und das Erlösungswerk Jesu sind der tragende Grund aller christlichen Hoffnung und des Friedens.

Die zentrale Bewegung der Perikope ist das Sendungswort: „Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch.“ Hier treffen zwei Verben für „senden“ aufeinander: ἀποστέλλω – (apostellō) und πέμπω – (pempō). ἀποστέλλω meint den offiziellen, göttlichen Auftrag, mit Autorität und Absicht; πέμπω beschreibt den aktiven, andauernden Prozess des Sendens. Klink und Arnold argumentieren: „Die Kirche imitiert die Sendung des Sohnes nicht – sie nimmt an der Sendung des dreieinigen Gottes teil.“ (Klink/Arnold, John). Das bedeutet: Die Jünger übernehmen nicht einfach einen Job – sie werden Teil der göttlichen Bewegung, sie leben aus dem Mandat, das Jesus selbst empfangen hat. Für Borchert liegt hier der Übergang von passivem Empfangen zu aktivem Zeugen: „Wie der Vater den Sohn sandte, so ist jetzt die Gemeinschaft der Jünger im Modus der Sendung.“ (Borchert, John 12–21). Die Sendung ist Teilhabe, keine Nachahmung. Aus meiner Sicht bedeutet das für Gemeinde immer: Die Kirche kann und soll nie aus sich heraus existieren, sondern lebt von der bleibenden Bewegung Gottes in der Welt. Für mich ist die Sendung das Zeugnis, das Gottes Reich verkündigt und auf die Wiederkunft Jesu hinweist (vgl. Matthäus 24,14; Offenbarung 14,6–12).

Unmittelbar nach dem Sendungswort folgt das „Anhauchen“ Jesu: ἐνεφύσησεν – (enephysēsen), was direkt auf Genesis 2,7 anspielt: Gott haucht Adam den Lebensodem (נשמה – neschama) ein. Schnackenburg schreibt: „Das Einhauchen des Geistes ist Neuschöpfung – nicht bloß Symbol, sondern schöpferische Wirklichkeit der Kirche.“ (Schnackenburg, Das Johannesevangelium). Was hier passiert, ist mehr als ein Trost: Die Gemeinde wird als neue Schöpfung begründet, mit göttlicher Lebenskraft, die durch den Heiligen Geist (πνεῦμα – pneuma) vermittelt wird. In meiner Theologie ist die Geistgabe kein exklusives Pfingsterlebnis, sondern ein bleibendes Versprechen Jesu an die Gemeinschaft seiner Nachfolger. Die Auslegung des „Anhauchens“ bleibt für die gelesenen Autoren umstritten: Carson betont, es sei „ein prophetischer Akt, kein sakramentaler Moment“ (Carson, The Gospel According to John). Der Unterschied zu Pfingsten in Apostelgeschichte 2 besteht darin, dass Johannes hier die Geistausgießung als Beginn der neuen Gemeinschaft schildert, während Lukas das öffentliche Zeugnis und die Ausgießung auf alle Völker betont. Ich halte es für entscheidend, dass die Geistgabe hier wie dort immer als Geschenk – und nie als Besitz – verstanden wird.

Im Zentrum steht das Thema der Vergebung: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten.“ Das griechische ἀφίημι (aphiēmi) bedeutet „loslassen, freilassen, vergeben“; κρατέω (krateō) heißt „festhalten, zurückhalten“. Sloyan betont: „Die Macht zu vergeben ist kein Privileg, sondern Aufgabe, Evangelium in Wort und Tat zu verkörpern.“ (Sloyan, John). Schnackenburg stellt klar: „Die Gemeinde ist Trägerin der Vergebungsbotschaft, nicht ihr Besitzer.“ (Schnackenburg, Das Johannesevangelium). Das heißt: Die Kirche verfügt nicht über Gnade, sondern verkündet und lebt sie. Vergebung wird zugesprochen, nicht verwaltet. Aus meiner theologischen Haltung ergibt sich: Vergebung ist niemals menschliche Macht, sondern immer Dienst an Gottes befreiender Wahrheit (vgl. 1. Johannes 1,9; Epheser 4,32). Das verhindert geistlichen Missbrauch und erinnert an die gemeinsame Verantwortung.

Was aber geschieht mit dem Zweifel? Die Perikope endet nicht in Harmonie, sondern mit dem berühmten Zweifel des Thomas. Thomas von Aquin sieht darin das „lehrhafte Beispiel für den Weg des Glaubens“ (Thomas von Aquin, Commentary on John). Glaube ist nicht einfach – er ringt, fragt, sucht. Die Bewegung vom Zweifel zum Bekenntnis „Mein Herr und mein Gott“ ist der Höhepunkt des johanneischen Glaubensverständnisses. Für Carson ist das ein Lob des Glaubens, „der nicht auf Sicht, sondern auf das Zeugnis vertraut“ (Carson, The Gospel According to John). Sloyan betont: „Der Glaube der Nachgeborenen gründet im Zeugnis – das Wort ist die Brücke zwischen den Zeiten.“ (Sloyan, John). Das bedeutet für mich: Gemeinde bleibt Raum des Suchens, Glaubens und Zweifelns – solange sie am Zeugnis Christi festhält – das „Wort des Glaubens“ ist hier entscheidend (vgl. Offenbarung 12,17; Römer 10,17).

Ein letzter Gedanke bleibt: Der Text öffnet den Raum, in dem Gabe und Auftrag, Friede und Verantwortung, Freude und Furcht nicht einfach geglättet werden. Der Friede Christi (εἰρήνη – eirēnē) ist ein Geschenk, das trägt – aber kein Selbstläufer. Die Sendung bleibt ein Auftrag, der überfordert, solange er nicht im Geist und im Zuspruch Jesu verankert ist. Die Gemeinschaft der Nachfolger lebt aus dem „Atem Gottes“, aber sie bleibt verletzlich, suchend, fragend. Vielleicht ist genau das das Wesen geistlicher Reife: nicht der Besitz von Antworten, sondern das Stehenbleiben im Raum der Spannung.

Was bedeutet es für die heutige Gemeinde, Trägerin von Frieden und Vergebung zu sein, ohne sich dieser Sendung zu bemächtigen? Kann eine Gemeinschaft, die von der Wiederkunft und der Hoffnung auf Gottes neue Welt lebt, zugleich den Zweifel und die Angst in sich zulassen – ohne den Geist zu verlieren? Wo wird Friede sichtbar, der nicht aus dieser Welt ist, und wie bleibt er in einer zerrissenen Realität erfahrbar?

Zentrale Punkte der Ausarbeitung

  1. Jesus kommt in verschlossene Räume – und bleibt da, wo Angst ist.
    • Die Geschichte in Johannes 20,19–23 zeigt nicht das Bild von triumphierenden Glaubenden, sondern von Menschen, die sich zurückziehen. Jesu erste Begegnung ist kein Vorwurf, sondern Frieden mitten in der Unsicherheit.
    • Er wartet nicht, bis alles geordnet ist – er stellt sich in die Mitte unserer Angst, nicht an ihren Rand.
  2. Frieden ist kein Zustand, sondern eine Zusage.
    • Jesu „Friede sei mit euch“ (εἰρήνη ὑμῖνeirēnē hymin) ist kein frommer Wunsch, sondern eine schöpferische Kraft, die eine neue Realität schafft – nicht weil alles gut ist, sondern damit es überhaupt wieder möglich wird, aufzubrechen.
    • Friede wird nicht durch die Umstände erzeugt, sondern durch Jesu Gegenwart zugesprochen.
  3. Sendung geschieht nicht aus eigener Stärke, sondern aus empfangener Begegnung.
    • Die Jünger werden nicht geschickt, weil sie bereit oder stark sind, sondern weil sie Jesus begegnet sind. Sie sollen weitergeben, was sie selbst empfangen haben – ein Auftrag, der nicht fordert, sondern trägt.
    • Sendung ist kein Programm, sondern Teilhabe an Gottes Bewegung – sie bleibt ein Geschenk und eine Aufgabe zugleich.
  4. Der Geist ist Gabe, nicht Lohn – und macht aus Schwäche eine neue Schöpfung.
    • Jesu „Anhauchen“ (ἐνεφύσησενenephysēsen) ist keine private Inspiration, sondern das Gründungsereignis einer Gemeinschaft, die aus Gottes Kraft lebt.
    • Was die Jünger befähigt, ist nicht Wissen oder Erfahrung, sondern der Odem Gottes – der ihnen mitten in der Unsicherheit zugetraut wird.
  5. Vergebung ist keine Institution, sondern ein gemeinschaftlicher Auftrag.
    • Die Vollmacht, Sünden zu vergeben, ist kein Privileg, sondern eine Verantwortung, das Evangelium im Alltag erfahrbar zu machen. Niemand besitzt die Vergebung, alle sind eingeladen, sie weiterzugeben und zu leben.
    • Die Gemeinde lebt davon, Gnade zuzusprechen, nicht zu kontrollieren.
  6. Glaube ohne Sehen bleibt ein Wagnis – und ist trotzdem gesegnet.
    • Der Weg von Thomas zeigt: Zweifel wird nicht moralisch abgewertet, sondern als echter Teil des Glaubenswegs anerkannt. Glaube entsteht, wo Fragen bleiben dürfen.
    • Die Einladung, auch ohne Gewissheit zu vertrauen, ist keine Leistung, sondern die Würdigung eines offenen Herzens.

Warum ist das wichtig für mich? Was ist der Mehrwert?

  • Weil es mir erlaubt, ehrlich zu sein – vor Gott, vor anderen, vor mir selbst. Ich muss meine Unsicherheit nicht verstecken, sondern darf sie als Startpunkt echter Begegnung sehen.
  • Weil es Hoffnung gibt, auch wenn ich keine Lösungen habe. Der Friede, den Jesus zuspricht, ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern seine Nähe mitten im Chaos.
  • Weil ich entdecken darf, dass Sendung nicht an meine Leistung gebunden ist. Ich muss nicht perfekt sein, um gebraucht zu werden – ich werde gesandt, weil ich gehalten bin.
  • Weil Glaube wachsen kann, auch wenn ich nicht alles verstehe. Die Geschichte von Thomas zeigt: Zweifel ist kein Hindernis, sondern kann zum Sprungbrett für neue Erfahrungen werden.
  • Weil ich erleben kann, dass Vergebung nicht Macht, sondern Dienst ist. Es verändert, wie ich auf andere schaue und wie ich mit meinen eigenen Fehlern umgehe.

Kurz gesagt:

Diese Ausarbeitung zeigt mir, dass der Weg mit Jesus im echten Leben beginnt – nicht im Perfekten, sondern im Zerbrechlichen. Frieden, Auftrag, Geist und Gnade werden nicht verdient, sondern zugesagt. Das verändert, wie ich glaube, hoffe und mit meinen Mitmenschen lebe.