Fettgedrucktes für schnell Leser…
Einleitender Impuls:
Das Böse ist ein geschickter Stratege. Es lockt dich in einen Kampf, bei dem du zu gewinnen glaubst – doch sobald du seine Waffen ergreifst, hast du bereits verloren. Hass gegen Hass, Schlag gegen Schlag, Lüge gegen Lüge – du spielst sein Spiel nach seinen Regeln. Und genau hier setzt Paulus mit einem unmöglichen, geradezu göttlichen Vorschlag an: Überwinde das Böse mit Gutem. Nicht durch mehr Härte, nicht durch Gegenwehr auf derselben Ebene, sondern indem du die Spielregeln änderst.
Zunächst fühlt sich das nach Schwäche an. Was, wenn ich dann verliere? Was, wenn der andere einfach gewinnt und ungestraft davonkommt? Aber denk noch einmal nach: Wer hat wirklich gewonnen, wenn du zulässt, dass das Böse dich verbittert, verhärtet und zynisch macht? Wer gewinnt, wenn dein Herz mit Hass gefüllt ist? Du sicher nicht. Das Böse triumphiert nicht nur durch den Schaden, den es anrichtet – es triumphiert, wenn es dich verändert.
Aber was, wenn das Gute tatsächlich stärker ist? Was, wenn die wahre Macht darin liegt, sich nicht in das zu verwandeln, was man verabscheut? Was, wenn Vergebung mehr Kontrolle über die Zukunft hat als Rache? Was, wenn echte Stärke nicht darin liegt, zuzuschlagen, sondern den Schlag ins Leere laufen zu lassen? Das wäre ein anderes Spiel. Eine neue Art zu gewinnen. Eine Strategie, die nicht nur dich schützt, sondern auch die Welt um dich herum verändert.
Genau darum geht es. Nicht darum, naiv zu sein oder sich alles gefallen zu lassen – sondern darum, bewusst zu wählen, wer du sein willst. Das Böse wird dich immer einladen, seine Spielregeln zu übernehmen. Aber du hast die Wahl. Also – wie willst du spielen?
Fragen zur Vertiefung oder für Gruppengespräche:
- Wann hat dich das Böse zuletzt herausgefordert – und wie hast du reagiert?
- Gibt es Situationen oder Menschen, die dich innerlich immer noch gefangen halten, weil du das Böse nicht loslassen kannst?
- Was würde sich in deinem Leben verändern, wenn du dich nicht mehr von Negativität steuern lassen würdest?
Parallele Bibeltexte als Slogans:
Matthäus 5:44 — „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“
Lukas 23:34 — „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“
1. Petrus 3:9 — „Vergeltet nicht Böses mit Bösem, sondern segnet stattdessen“
Sprüche 25:21-22 — „Gib deinem Feind zu essen, wenn er hungrig ist – das ist wahre Stärke“
Wenn du wissen willst, warum wahre Stärke nicht darin liegt, härter zu schlagen, sondern das Spiel zu beenden, dann nimm dir 20 Minuten und tauche tiefer ein – du wirst überrascht sein, was passiert.
Die Informationen für den Impuls hole ich mir meistens aus BibleHub.com damit auch du es nachschlagen kannst.
Schön, dass wir uns die Zeit nehmen, um tiefer in Römer 12,21 einzutauchen. Bevor wir den Vers auseinandernehmen, lass uns die Betrachtung mit einem Gebet beginnen – ein Moment, um uns auf das Wesentliche auszurichten.
Lieber Vater, es ist so leicht, vom Bösen überwältigt zu werden – von dem, was uns verletzt, enttäuscht oder herausfordert. Doch Du rufst uns zu etwas Höherem: Das Böse nicht einfach zu ertragen, sondern es mit Gutem zu überwinden. Das klingt gewaltig, fast unmöglich, aber wir wissen, dass Deine Kraft in uns stärker ist als jede Dunkelheit um uns herum. Hilf uns, Licht zu sein, wo Schatten regieren, und Frieden zu stiften, wo Unruhe herrscht. Lass uns erkennen, dass der wahre Sieg nicht darin liegt, zurückzuschlagen, sondern in der Entscheidung, anders zu handeln – in Liebe, in Gnade, in Deiner Wahrheit.
In Jesu Namen beten wir,
Amen.
Der Text:
Zunächst werfen wir einen Blick auf den Text in verschiedenen Bibelübersetzungen. Dadurch gewinnen wir ein tieferes Verständnis und können die unterschiedlichen Nuancen des Textes in den jeweiligen Übersetzungen oder Übertragungen besser erfassen. Dazu vergleichen wir die Elberfelder 2006 (ELB 2006), Schlachter 2000 (SLT), Luther 2017 (LU17), Basis Bibel (BB) und die Hoffnung für alle 2015 (Hfa).
Römer 12,21
ELB 2006 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!
SLT Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!
LU17 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
BB Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!
HfA Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.
Der Kontext:
In diesem Abschnitt geht es darum, die grundlegenden Fragen – das „Wer“, „Wo“, „Was“, „Wann“ und „Warum“ – zu klären. Das Ziel ist es, ein besseres Bild von der Welt und den Umständen zu zeichnen, in denen dieser Vers verfasst wurde. So bekommen wir ein tieferes Verständnis für die Botschaft, bevor wir uns den Details widmen.
Kurzgesagt… Römer 12,21 ist der große Finale-Moment eines Kapitels, das sich wie eine Kampfansage an das normale menschliche Denken liest. „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.“ Klingt wie ein heroischer Plot-Twist? Ist es auch. Aber bevor wir in die Details gehen, werfen wir einen Blick darauf, was hinter diesem Satz steckt. Denn ohne den Kontext wirkt er wie eine nette Instagram-Weisheit – dabei steckt eine ganze Welt dahinter.
Previously on… der Römerbrief: Paulus schreibt an die Christinnen und Christen in Rom. Ein brisanter Ort zur damaligen Zeit, denn Rom war nicht nur die politische Supermacht, sondern auch ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen, Glaubensrichtungen und sozialer Spannungen. Die junge Gemeinde bestand aus einer Mischung aus ehemaligen Juden und Heiden, die mit einer neuen Identität als Nachfolger Jesu klarkommen mussten. Und als wäre das nicht schon herausfordernd genug, hatten sie es auch noch mit einem nicht besonders christenfreundlichen Umfeld zu tun. Verfolgung, gesellschaftliche Isolation und offene Feindseligkeit standen auf der Tagesordnung.
Der Römerbrief selbst ist wie ein theologisches Meisterwerk, ein Manifest des christlichen Glaubens. Paulus baut darin eine gewaltige Argumentation auf: Erst klärt er, dass alle Menschen – egal ob jüdisch oder nicht – vor Gott gleich sind (Spoiler: nicht so gut, wie sie denken). Dann zeigt er, dass allein Gottes Gnade durch Jesus die Rettung bringt. Und schließlich kommt er im Kapitel 12 zum praktischen Teil: Wie soll ein Leben als Christ eigentlich aussehen? Und genau hier setzt unser Vers ein.
Paulus fordert die Christen dazu auf, ihr Denken zu erneuern (Röm 12,2), sich nicht an die Werte der Welt anzupassen und einen radikalen Lebensstil der Liebe, Vergebung und Demut zu leben. Klingt schön, aber dann wird’s herausfordernd: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Liebt sogar eure Feinde. Segnet die, die euch verfolgen. Und genau hier – wo man als Leser langsam schlucken muss – setzt Paulus mit unserem Vers den Schlussakkord: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Der geistig-religiöse Kontext macht das Ganze noch brisanter: In einer Gesellschaft, die von Macht, Rache und Ehre geprägt war, war diese Botschaft ein Skandal. Rom basierte auf Stärke. Auge um Auge? Logisch. Wer sich unterbuttern ließ, war schwach. Doch Paulus dreht das komplette System um: Wahre Stärke zeigt sich nicht in Vergeltung, sondern in einem radikal anderen Lebensstil – einem, der nicht vom Bösen eingenommen wird, sondern es durch Gutes zerschlägt.
Jetzt stellt sich die Frage: Was genau bedeutet das? Und wie funktioniert das praktisch? Die Antwort steckt in den Schlüsselwörtern dieses Verses: „Böse“ – „überwinden“ – „Gutes“. Klingt simpel, aber das ist der Moment, in dem wir merken, dass hier mehr drinsteckt, als es auf den ersten Blick scheint.
Die Schlüsselwörter:
In diesem Abschnitt wollen wir uns genauer mit den Schlüsselwörtern aus dem Text befassen. Diese Worte tragen tiefere Bedeutungen, die oft in der Übersetzung verloren gehen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wir werden die wichtigsten Begriffe aus dem ursprünglichen Text herausnehmen und ihre Bedeutung näher betrachten. Dabei schauen wir nicht nur auf die wörtliche Übersetzung, sondern auch darauf, was sie für das Leben und den Glauben bedeuten. Das hilft uns, die Tiefe und Kraft dieses Verses besser zu verstehen und ihn auf eine neue Weise zu erleben.
Römer 12,21 – Ursprünglicher Text (Nestle-Aland 28):
μὴ νικῶ ὑπὸ τοῦ κακοῦ ἀλλὰ νίκα ἐν τῷ ἀγαθῷ τὸ κακόν.
Übersetzung Römer 12,21 (Elberfelder 2006):
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“
Semantisch-pragmatische Kommentierung der Schlüsselwörter
- Νικῶ (nikō) – „überwinden“: Hier steckt ein Wort drin, das wir alle kennen: Nike – ja, genau, wie die Marke. Denn nikaō bedeutet „siegen, besiegen, überwinden“. Es ist ein Begriff aus dem Wettkampf und der Kriegsführung. Paulus malt hier also ein Kampf-Szenario: Das Böse ist nicht nur eine abstrakte Idee – es ist aktiv, es ringt mit dir, es will dich zu Boden bringen. Die Form hier ist Präsens, Passiv, Imperativ – bedeutet: Lass dich nicht geschlagen geben! Das Böse hat Macht, aber nur, wenn du es zulässt.
- Κακοῦ (kakou) – „Böses“: Kakos ist ein Wort mit einer breiten Bedeutung: Es reicht von „schlecht“ über „moralisch verdorben“ bis hin zu „destruktiv“. Hier steht es im Genitiv, was darauf hinweist, dass das Böse nicht einfach „irgendwo“ existiert, sondern etwas ist, das aktiv auf dich einwirkt. In der griechischen Philosophie war kakos oft das Gegenteil von aretē (Tugend, Exzellenz). Das heißt: Es geht nicht nur um moralische Fehltritte, sondern um eine Kraft, die das Leben zerstört und das Gute in dir auslöschen will.
- Νίκα (nika) – „überwinde“: Dasselbe Wort wie oben – aber diesmal im Aktiv, Imperativ, 2. Person Singular. Das ist eine direkte Anweisung: Tu etwas! Handle! Während der erste Teil des Satzes warnt, nicht unterzugehen, fordert dieser Teil auf, in die Offensive zu gehen. Es geht nicht darum, sich einfach passiv zu wehren, sondern aktiv das Böse anzugreifen – und zwar nicht mit denselben Waffen, sondern mit einer anderen Strategie.
- Ἀγαθῷ (agathō) – „Guten“: Agathos ist mehr als nur „nett“ oder „freundlich“. Es beschreibt in der antiken Denkweise etwas, das innerlich und äußerlich wertvoll ist, moralisch exzellent, lebensfördernd. Im Gegensatz zu kakos, das zerstört, baut agathos auf. Und das Entscheidende: Es ist nicht einfach eine Handlung, sondern eine Haltung. Du kämpfst nicht gegen das Böse mit „ein bisschen Nettigkeit“, sondern mit radikaler, lebensverändernder Güte.
- Κακόν (kakon) – „Böses“: Dasselbe Wort wie oben, aber diesmal im Akkusativ, also das direkte Objekt des Verbs. Bedeutet: Das Böse ist nicht einfach ein Zustand, sondern etwas, das aktiv überwunden werden muss. Paulus sagt nicht: „Umarme es“, auch nicht: „Ignoriere es“, sondern „Besiege es“ – mit einer Kraft, die dem Bösen fremd ist: dem Guten.
Was bedeutet das also? Paulus beschreibt keinen Kuschelkurs mit dem Bösen, sondern einen echten geistlichen Kampf – nur mit ganz anderen Waffen, als wir es gewohnt sind. Das Böse gewinnt, wenn du auf seine Ebene gehst, wenn du mit Hass auf Hass reagierst, mit Rache auf Unrecht. Doch der wahre Sieg geschieht dort, wo jemand sich entscheidet, nicht nachzugeben, sondern anders zu handeln.
Ein Kommentar zum Text:
Es gibt Sätze, die klingen wunderschön, solange man sie nicht ernsthaft durchdenkt. Römer 12,21 ist so ein Satz. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Klingt stark, fast heroisch. Aber spätestens, wenn dir jemand Unrecht tut, kommt die Frage auf: Wie soll das bitte funktionieren? Ist das nicht ein Rezept, um immer wieder ausgenutzt zu werden? Und warum benutzt Paulus hier eigentlich eine Wortwahl, die nach Krieg und Kampf klingt, aber dann eine Strategie vorschlägt, die völlig untypisch für einen Sieg erscheint? Genau hier wird’s spannend.
Um das zu verstehen, müssen wir Paulus’ Denkweise entschlüsseln. Er war nicht einfach ein römischer Staatsbürger mit einer jüdischen Prägung – er war durch und durch ein Denker der hebräischen Bibel (AT) und gleichzeitig jemand, der das Evangelium von Jesus als radikale Erfüllung dieses Denkens sah. Das bedeutet, dass er nicht nur in moralischen Kategorien dachte („Sei halt nett“), sondern in kosmischen. Für Paulus war das Böse („κακόν“, kakon) nicht einfach eine schlechte Tat, sondern eine feindliche Kraft. Und genau darum benutzt er das Wort „νικάω“ (nikaō) – es geht um einen echten Kampf. Aber, und hier kommt der Twist: Nicht um einen Kampf mit denselben Waffen wie der Feind.
Diese Idee ist nicht neu. Schon in den Weisheitsbüchern des Alten Testaments finden wir ähnliche Gedanken: „Harre auf den HERRN und handle gut; bleibe im Land und übe Treue!“ (Ps 37,3) oder „Antworte nicht dem Toren nach seiner Torheit, damit du ihm nicht gleich wirst!“ (Spr 26,4). Die hebräische Idee dahinter: Wenn du auf Böses mit Bösem reagierst, verstärkst du die Realität des Bösen – du wirst Teil des Systems. Genau das ist die Logik von „Auge um Auge“ – ein System, das nur Gewalt fortsetzt. Aber Paulus fordert das Gegenteil: Durchbreche den Kreislauf.
Hier zeigt sich das Denken Jesu in voller Kraft. Die Bergpredigt (Mt 5–7) ist der ultimative Kontext für diesen Vers. Jesus sagt dort Dinge wie „Liebt eure Feinde“ (Mt 5,44) und „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch die andere hin“ (Mt 5,39). Keine dieser Aussagen bedeutet „Lass alles mit dir machen“ – im Gegenteil! Das ist eine Form von Widerstand, die den Aggressor entwaffnet, weil sie sein Spiel nicht mitspielt. Das „Böse“ verliert seine Kraft, wenn es keinen Gegner findet, sondern nur ein unerschütterliches Gutes.
Aber Moment – funktioniert das wirklich? Die Geschichte zeigt, dass es mindestens zwei Wege gibt, mit Bösem umzugehen. Der eine ist der Machtweg: Gewalt, Kontrolle, Dominanz. Der andere ist der Weg des Guten: Entschiedene Liebe, Unerschütterlichkeit, Wahrheit. Die erste Option scheint kurzfristig erfolgreicher, aber die zweite hat langfristig die Welt verändert. Oder anders gesagt: Das Römische Reich existiert nicht mehr, aber das Evangelium schon.
Und genau hier setzt Paulus noch einen drauf. Sein Appell ist nicht nur ethisch gemeint, sondern strategisch. Das Böse zu besiegen bedeutet nicht nur, sich selbst davor zu bewahren, sondern auch den Angreifer zu verändern. Diese Perspektive findet sich auch in älteren Kommentaren: Wenn du auf Rache verzichtest und stattdessen mit radikaler Güte reagierst, kann das den Gegner entwaffnen und sogar zum Nachdenken bringen. Diese Idee erinnert stark an Sprüche 25,21-22: „Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen; wenn er durstig ist, gib ihm zu trinken. So wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Paulus zitiert genau diese Stelle einige Verse vorher (Röm 12,20) und zeigt damit: Das Böse kann durch das Gute nicht nur neutralisiert, sondern möglicherweise sogar transformiert werden.
Das klingt großartig, aber ist es realistisch? Die größte Bestätigung für die Wirksamkeit dieser Strategie kommt von Jesus selbst. Am Kreuz betet er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34). Er hätte Engel rufen können, er hätte sich rächen können – aber seine Entscheidung für das Gute hatte mehr Macht als jede Waffe. Die römischen Soldaten, die ihn töteten, sahen das und einer von ihnen bekannte: „Wahrlich, dieser war Gottes Sohn!“ (Mt 27,54).
Und genau das ist Paulus’ Argument. Er schreibt an eine Gemeinde, die unter Druck steht. Die römische Gesellschaft funktionierte nach dem Prinzip der Ehre und Vergeltung. Wer sich nicht wehrte, wurde als schwach angesehen. Aber Paulus sieht das anders: Der wahre Sieger ist nicht derjenige, der das meiste Unrecht vergelten kann, sondern derjenige, der sich nicht von Unrecht formen lässt. Und hier kommt der entscheidende Punkt: Das Böse ist nicht besiegt, wenn es zurückgeschlagen wird – es ist besiegt, wenn es keine Kontrolle mehr hat.
Das bedeutet nicht, dass Paulus zur Passivität aufruft. Ganz im Gegenteil. Das Verb „nikaō“ steht im Imperativ – eine klare Aufforderung zum Handeln. Das Böse wird nicht einfach „übersehen“ oder „ertragen“, sondern aktiv durch das Gute besiegt. Und dieses Gute ist keine naive Nettigkeit, sondern eine bewusste Strategie, um den Kreislauf von Gewalt und Hass zu durchbrechen.
Jetzt bleibt die große Frage: Was bedeutet das konkret für unseren Alltag? Wie können wir diese Strategie leben, ohne sie als bloße Theorie abzutun? Hier kommt die SPACE-Methode ins Spiel – eine praktische Strategie, um biblische Prinzipien auf das echte Leben anzuwenden. Aber bevor wir loslegen: Welche konkreten Herausforderungen stehen uns dabei im Weg? Welche Widerstände müssen wir in uns selbst überwinden? Zeit, das herauszufinden.
Die SPACE-Anwendung*
Die SPACE-Anwendung ist eine Methode, um biblische Texte praktisch auf das tägliche Leben anzuwenden. Sie besteht aus fünf Schritten, die jeweils durch die Anfangsbuchstaben von „SPACE“ repräsentiert werden:
S – Sünde (Sin)
Es gibt viele Möglichkeiten, sich vom Bösen „überwinden“ zu lassen, und das Gemeine ist: Es fühlt sich oft richtig an. Ein fieser Kommentar? Man kontert. Jemand lügt über dich? Man stellt ihn bloß. Es gibt eine Art von Gerechtigkeitsempfinden in uns, die uns automatisch nach Vergeltung greifen lässt. Das Problem? Vergeltung ist das Lieblingswerkzeug des Bösen. Es gaukelt dir vor, dass du die Kontrolle hast, während du eigentlich genau in die Falle tappst. Denn in dem Moment, in dem du auf derselben Ebene reagierst, hat das Böse bereits gewonnen – nicht nur äußerlich, sondern vor allem in deinem Herzen.
Paulus nennt hier keine spezifische Sünde, aber der Text warnt indirekt vor einer sehr tief sitzenden Falle: Dem Wunsch, das Böse mit eigenen Mitteln zu bekämpfen. Das kann Rache sein, aber auch Groll, Bitterkeit oder das bloße Vergnügen daran, wenn jemand „seine gerechte Strafe“ bekommt. Es wäre gut, wenn wir uns bewusst machen, dass das Böse nicht nur in der Handlung liegt, sondern vor allem darin, was es in uns auslöst.
P – Verheißung (Promise)
Die offensichtliche Verheißung ist nicht direkt ausgesprochen, aber sie steckt zwischen den Zeilen: Das Böse kann besiegt werden. Das klingt banal, aber denk mal drüber nach. Wie oft fühlen wir uns von Ungerechtigkeit, Hass oder Bosheit regelrecht erdrückt? Manchmal wirkt es, als wäre das Böse die lauteste und mächtigste Kraft in der Welt – aber Paulus behauptet das Gegenteil. Es gibt eine Strategie, die funktioniert. Das Gute ist nicht machtlos.
Eine geniale Parallele dazu findet sich in Johannes 16,33, wo Jesus sagt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Das griechische Wort für „überwinden“ ist hier wieder nikaō, genau dasselbe Wort wie in Römer 12,21. Jesus hat das Böse bereits besiegt – nicht durch Gewalt, sondern durch Liebe, durch Wahrheit, durch Geduld. Und genau das verspricht dieser Vers auch für uns: Es gibt eine Kraft, die stärker ist als das Böse – und sie steht dir zur Verfügung.
A – Aktion (Action)
Okay, aber was bedeutet das praktisch? Soll man sich einfach alles gefallen lassen? Heißt das, dass Christen immer nur nett sein und alles ignorieren sollten? Natürlich nicht. Das Böse zu überwinden bedeutet nicht, es zu ignorieren – sondern eine andere Art von Kraft einzusetzen. Der entscheidende Punkt ist: Wir reagieren nicht nach den Spielregeln des Bösen.
Das erfordert einen Paradigmenwechsel. Normalerweise denken wir in Kategorien von Stärke und Schwäche. Wer sich rächt, wirkt stark, wer vergibt, scheint schwach. Aber in Wahrheit ist es genau umgekehrt: Die größte Stärke zeigt sich darin, dass jemand nicht vom Bösen bestimmt wird. Das ist kein romantisches Ideal – es ist eine geistliche Strategie. Vergeltung bedeutet, dass das Böse dich steuert. Vergebung bedeutet, dass du frei bleibst.
Es wäre gut, wenn wir uns fragen: Wo hat das Böse bereits Einfluss auf meine Reaktionen? Gibt es Menschen oder Situationen, bei denen ich instinktiv negativ reagiere? Die Praxis des Guten beginnt nicht mit großen Gesten, sondern mit kleinen Entscheidungen. Eine gute Übung wäre: Wenn du das nächste Mal das Bedürfnis nach Rache, Abwehr oder einer giftigen Bemerkung spürst – halte kurz inne. Frage dich: Reagiere ich gerade aus einer Haltung des Sieges oder der Niederlage?
C – Appell (Command)
Hier gibt es keine grauen Zonen: „Überwinde das Böse mit Gutem.“ Das ist kein Vorschlag, sondern ein Appell – aber einer, der in Freiheit funktioniert. Du wirst nicht gezwungen, dich für das Gute zu entscheiden, aber du solltest wissen: Wenn du es tust, veränderst du nicht nur die Situation, sondern vor allem dich selbst.
E – Beispiel (Example)
Ein starkes Beispiel ist Josef aus dem Alten Testament (1. Mose 50,20). Seine Brüder verkauften ihn als Sklaven, er wurde betrogen, vergessen und misshandelt – doch als er am Ende Macht hatte, sich zu rächen, entschied er sich anders: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Josef erkannte, dass er nicht auf derselben Ebene wie das Böse handeln musste. Sein Entschluss, nicht nachtragend zu sein, brach einen generationsübergreifenden Kreislauf der Vergeltung.
Und dann natürlich das ultimative Beispiel: Jesus am Kreuz (Lukas 23,34). Während er gefoltert und verspottet wird, betet er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Wenn es jemals eine Situation gab, in der jemand berechtigt gewesen wäre, sich zu rächen, dann diese. Und doch entschied sich Jesus für das Gute. Und dieser Moment hat die Weltgeschichte verändert.
Jetzt bleibt die persönliche Frage: Wo in deinem Leben hat das Böse schon zu viel Raum? Wo gibt es Groll, alte Rechnungen oder ungesunde Reaktionen? Es wäre gut, wenn wir ehrlich reflektieren, ob wir wirklich in Freiheit leben oder ob das Böse uns längst überwunden hat.
Genau darum geht es im nächsten Schritt: Die persönliche Identifikation mit dem Text. Wie tief sitzt das Bedürfnis nach Vergeltung in uns? Welche Beziehungen oder Situationen fordern uns heraus? Und was würde passieren, wenn wir den Mut hätten, diesen Kreislauf zu durchbrechen? Zeit, das herauszufinden.
Persönliche Identifikation mit dem Text:
In diesem Schritt stelle ich mir sogenannte „W“ Fragen: „Was möchte der Text mir sagen?“ in der suche nach der Hauptbotschaft. Dann überlege ich, „Was sagt der Text nicht?“ um Missverständnisse zu vermeiden. Ich reflektiere, „Warum ist dieser Text für mich wichtig?“ um seine Relevanz für mein Leben zu erkennen. Anschließend frage ich mich, „Wie kann ich den Text in meinem Alltag umsetzen/anwenden?“ um praktische Anwendungsmöglichkeiten zu finden. Weiterhin denke ich darüber nach, „Wie wirkt sich der Text auf meinen Glauben aus?“ um zu sehen, wie er meinen Glauben stärkt oder herausfordert. Schließlich frage ich, „Welche Schlussfolgerungen kann ich für mich aus dem Gesagten ziehen?“ um konkrete Handlungen und Einstellungen abzuleiten.
Manchmal frage ich mich, ob Paulus in Römer 12,21 wusste, wie verdammt schwer das sein würde. „Überwinde das Böse mit Gutem“ – als ob das einfach so geht. Als ob ich, wenn mich jemand verletzt, betrogen oder hintergangen hat, einfach so in den „Güte-Modus“ umschalten könnte. Dieser Vers ist eine Kriegserklärung – aber nicht an andere, sondern an mich selbst. An meinen Drang, zurückzuschlagen. An mein Bedürfnis nach Gerechtigkeit, das oft mit Rache verwechselt wird. An die kleine Stimme in mir, die sagt: „Das kann doch nicht ungesühnt bleiben!“
Und dann kommt Paulus mit diesem radikalen Gegenentwurf. „Überwinde das Böse mit Gutem.“ Was für eine absurde Strategie. Es fühlt sich so unnatürlich an, dass es schon wieder göttlich sein muss. Denn wenn ich wirklich drüber nachdenke, dann sehe ich es: Das Böse ernährt sich von sich selbst. Hass bringt mehr Hass hervor. Vergeltung macht aus Opfern Täter. Das System bleibt intakt. Aber Güte – echte, mutige, unerschütterliche Güte – ist der totale Systemcrash. Es ist nicht der einfache Weg, aber es ist der einzige, der aus dem Teufelskreis ausbricht.
Was der Text nicht sagt, ist fast genauso wichtig. Er sagt nicht: „Lass dich ausnutzen.“ Er sagt nicht: „Mach die Augen zu vor dem, was falsch läuft.“ Er sagt nicht: „Tu so, als wäre alles gut.“ Er sagt nur, dass das Böse nicht mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden kann. Und das ist eine unbequeme Wahrheit. Denn mal ehrlich – manchmal fühlt sich das Böse gut an. Der Schlagabtausch, die Genugtuung, das Gefühl, „gewonnen“ zu haben. Aber was genau haben wir dann gewonnen? Einen kurzen Moment der Befriedigung? Einen Pyrrhussieg, bei dem wir selbst ein bisschen mehr wie das geworden sind, was wir eigentlich bekämpfen wollten?
Glauben ist hier keine Komfortzone, sondern eine Entscheidung. Ich kann Römer 12,21 nicht lesen, ohne mich zu fragen: Glaube ich wirklich, dass das Gute stärker ist als das Böse? Denn wenn ich das nicht tue, dann bleibt dieser Vers ein hübsches Konzept, aber nichts, was mein Leben verändert. Aber wenn ich es tue – wenn ich mich darauf einlasse, dass Güte nicht Schwäche ist, sondern die eigentliche Stärke – dann muss sich etwas ändern. Dann heißt das, dass der Weg Jesu nicht nur eine nette Option ist, sondern die eigentliche Revolution.
Wie kann ich das umsetzen? Ich glaube, es beginnt mit kleinen, alltäglichen Kämpfen. Mit der Entscheidung, nicht die letzte Spitze in einer Diskussion zu setzen. Mit der Weigerung, Menschen für immer auf ihre Fehler zu reduzieren. Mit dem Mut, Böses nicht weiterzugeben, sondern an mir enden zu lassen. Es bedeutet, in Konflikten nicht impulsiv zu reagieren, sondern innezuhalten und sich zu fragen: „Worauf läuft das hinaus? Will ich wirklich dieses Spiel spielen?“ Und es bedeutet, mir einzugestehen, dass ich das nicht immer hinkriegen werde – aber dass jeder Versuch zählt.
Am Ende bleibt die Frage: Will ich wirklich, dass das Böse mich definiert? Dass es meine Worte, meine Gedanken, meine Handlungen bestimmt? Oder will ich mich für eine andere Art von Macht entscheiden – eine, die stiller ist, aber tiefer geht? Paulus stellt uns vor die Wahl. Und ehrlich gesagt – ich will es zumindest versuchen. Nicht, weil es leicht ist, sondern weil es mich freimacht. Also, warum nicht? Warum nicht den ersten Schritt in eine andere Richtung wagen? Warum nicht wenigstens einmal ausprobieren, was passiert, wenn man das Böse nicht als Gegner sieht, den man schlagen muss, sondern als etwas, das seine Kraft verliert, wenn man sich ihm entzieht? Es ist nicht immer easy. Aber es könnte sich lohnen.
*Die SPACE-Analyse im Detail:
Sünde (Sin): In diesem Schritt überlegst du, ob der Bibeltext eine spezifische Sünde aufzeigt, vor der du dich hüten solltest. Es geht darum, persönliche Fehler oder falsche Verhaltensweisen zu erkennen, die der Text anspricht. Sprich, Sünde, wird hier als Verfehlung gegenüber den „Lebens fördernden Standards“ definiert.
Verheißung (Promise): Hier suchst du nach Verheißungen in dem Text. Das können Zusagen Gottes sein, die dir Mut, Hoffnung oder Trost geben. Diese Verheißungen sind Erinnerungen an Gottes Charakter und seine treue Fürsorge.
Aktion (Action): Dieser Teil betrachtet, welche Handlungen oder Verhaltensänderungen der Text vorschlägt. Es geht um konkrete Schritte, die du unternehmen kannst, um deinen Glauben in die Tat umzusetzen.
Appell (Command): Hier identifizierst du, ob es in dem Text ein direktes Gebot oder eine Aufforderung gibt, die Gott an seine Leser richtet. Dieser Schritt hilft dir, Gottes Willen für dein Leben besser zu verstehen.
Beispiel (Example): Schließlich suchst du nach Beispielen im Text, die du nachahmen (oder manchmal auch vermeiden) solltest. Das können Handlungen oder Charaktereigenschaften von Personen in der Bibel sein, die als Vorbild dienen.
Diese Methode hilft dabei, die Bibel nicht nur als historisches oder spirituelles Dokument zu lesen, sondern sie auch praktisch und persönlich anzuwenden. Sie dient dazu, das Wort Gottes lebendig und relevant im Alltag zu machen.
